Strindberg in Galiläa

■ Das Khan-Theater Jerusalem gastiert mit »Cheure« von Hanan Peled im Maxim Gorki Theater

Wer einmal Interviews mit israelischen Siedlern in den besetzten Gebieten gesehen hat, kann sich vorstellen, daß deren Psychogramm massenhaft Stoff für Theater- und Filmproduktionen bietet. Sie wirken oft seltsam abgewandt von der steinschleudernden Gegenwart. Der biblischen Vergangenheit zugewandt, für die immer noch Galiläa heißt, was der Rest der Welt schon lange Westbank nennt, beziehen sie ihre Legitimation aus einem (fiktionalen) Text. Das ist ein bekanntermaßen wackliger Boden. Dieser Spagat kann nicht ohne Wirkung auf das Innenleben eines solchen Kollektivs bleiben, und genau dieses Innenleben ist das Thema von Hanan Peleds Stück Cheure, das zur Zeit im Rahmen des Beiprogramms zur Ausstellung Jüdische Lebenswelten im Maxim Gorki Theater zu sehen ist.

Das Wort »Cheure«, ein umgangssprachlich-liebevoller Ausdruck für Clique oder Mischpoke, stammt aus der Zeit des großen zionistischen Aufbau-Enthusiasmus, in dem das Wohl des einzelnen vom Blühen des Kollektivs, und beides von der (Wieder-)Aneignung des Landes abhing. Schon damals, noch lange bevor der Holocaust oder die Intifada diesen Aufbau belasteten, mußten die jungen Zionisten die Realitäten des Landes verdrängen. Nicht etwa sie waren die ersten, die das Land urbar machen sollten, sondern die arabischen Bauern und die Beduinen.

Die Bibel diente als Sprungbrett aus der ungeliebten Wirklichkeit, und so betreten auch die Schauspieler in Cheure die Spielfläche mit ihrem Text in der Hand. Die Bühne, das ist eine schiefe, wüstensandfarbige Ebene vor einer azurblauen Leinwand — levantinisches Lokalkolorit für Low-Budget-Produktionen. Chagi und Nava, die Gastgeber, sind aus Südamerika nach Israel zurückgekehrt und haben ihre alte Mischpoke, drei Paare und eine Journalistin (!), in ihr neues Heim auf einem Hügel in Galiläa eingeladen. Das Stück nimmt nun mächtig Anlauf: gut eine halbe Stunde geht für lauwarme, anzügliche Scherze drauf, und wie in einer Strindberg-Maschine werden sie immer schärfer, je mehr Aggression sie in Schach halten müssen. Am Abend, wenn die Paare sich zurückgezogen haben, wird hemmungslos Gift gespritzt, keine der Beziehungen ist, was sich die Beteiligten von ihr versprochen haben. Auch das Gesamtgefüge der Gruppe gerät aus den Fugen, als einer wieder orthodoxer werden will — der Zionismus hatte nie viel mit der Orthodoxie im Sinn — und als die Frauen sich gegen die Männer zusammentun.

Dann tippt das Stück ins Groteske: Fleisch verfault im Kühlschrank, Rami versucht, Michal zu vergewaltigen, die Männer gehen mit lächerlich großen Gewehren auf die Jagd, Chagi zielt auf ein Tier — nicht wissend, was es ist — und trifft ein Schaf, das einer Beduinen-Familie gehört. Daraufhin taucht später ein Araber, den wir nie sehen, in der Küche auf und wird von Chagi erschossen. Das Blut an seinen Händen bringt die Gruppe endgültig aus der Fassung, eine gemeinsame Zukunft in einer neuen Siedlung scheint unmöglich, aber auch alles andere ist verbaut: Der Rückweg zur Religion, das Auswandern in die Diaspora, das metropolitane Leben in Tel Aviv (»Ich verstehe die Sprache dort nicht«, meint Rami) erscheinen ebenso ausgeschlossen wie das Bleiben im Niemandsland.

Leider haben sich weder Autor Hanan Peled noch Amit Gazit, der Regisseur des Stückes, getraut, das Umkippen in die Groteske wirklich auszuspielen, und so bewegt sich das Stück immer zwischen Highschool- Reunion, Soap Opera, Gesellschaftskomödie und existentialistischem Psychodrama — ein mitunter etwas ermüdendes Gemisch. Mariam Niroumand