Liebes-Genozid?

■ Ein Interview mit der Regisseurin Helke Sander über ihren neuen Film

taz: Sie haben auch in der Sowjetunion gedreht und mit Swetlana Alexewitsch zusammengearbeitet, die gerade einen Film über den Einsatz der Roten Armee in Afghanistan gemacht hat und ein Buch über den Zweiten Weltkrieg schrieb mit dem Titel »Der Krieg hat kein weibliches Gesicht« (Verlag Galgenberg, 1990). In ihrem Film interviewen Sie eine Frau aus Moskau, Gardeleutnant in der Roten Armee, und diese Frau hat vom Liebes-Genozid gesprochen. Was meinte sie damit?

Helke Sander: Frau Schweskaja, die Historikerin ist, ist aus vielen Gründen sehr interessant, weil sie auch diejenige war, die mit anderen, in der Reichskanzlei die Leiche von Hitler gefunden und identifiziert hat. Und diese Frau hat die Vergewaltigungen nicht verleugnet, sondern ist eine von den wenigen Russinnen, die ihre Augen so weit aufgemacht und gesehen haben, was mit den deutschen Frauen passierte. Bei meinen Recherchen in der Sowjetunion habe ich zwar mit Männern gesprochen, die darüber Bescheid wußten und mit ehemaligen Soldatinnen auch, aber normalerweise wußten die Rotarmistinnen darüber nichts. Diese Geschichte ist ihnen offensichtlich entgangen. Die Männer haben alle relativ offen mit mir gesprochen. Frau Schewskaja ist die einzige, die ich traf, die diese Vergewaltigungen gesehen hat, erschüttert darüber war und auch mit anderen Frauen darüber gesprochen hat — auch mit den Männern ihrer Einheit.

Sie hat gesagt, was aus Gründen der Länge nicht mehr im Film ist: daß ihr Verhältnis zur Armee sich dadurch sehr geändert hat. Sie hatte, wie sie sagte, ein sehr teures Gefühl in bezug auf die Soldaten dieses Krieges, die die Heimat verteidigten und gegen Hitler kämpften — sie geriet sehr durcheinander nach dem, was sie miterlebt hat. Sie meint, daß die Männer ihrer Einheit daran nicht beteiligt waren, aber sie sagte auch, daß es Männer waren. Aber sie waren davon nicht in diese Verzweiflung getrieben über das, was sie gesehen haben. Im Film sagt sie das Wort Liebes-Genozid und erklärt, sie habe gesehen, daß es eine massenhafte Erscheinung war. Sie erklärt auch, daß Frauen, die vergewaltigt worden sind, das im Grunde nie vergessen können und einen Abscheu gegen den sexuellen Akt entwickeln. Und von daher die Nähe zu einem Menschen, zu einem Mann, nach der eine Frau sich wahrscheinlich gesehnt hat, nicht mehr möglich ist. Das hat sie als Genozid bezeichnet. Das hat mich sehr beeindruckt, dieser Ausdruck, und vor allem, daß er von einer russischen Frau kommt.

Wie kommt es, daß die Frauen so lange geschwiegen, sich nicht zusammengeschlossen haben?

Ich habe nach Zeichen gesucht und keine einzige Frau getroffen, die es gewagt hätte, ihre Wut zu äußern. Das war immer seltsam gedrückt. Ich glaube, daran wird klar, daß es für viele Frauen offenbar unberechtigt war, Wut zu äußern. Sie waren das besiegte Land, sie gehörten zur Nation der Faschisten, und sie hatten gewissermaßen kein Recht, nachdem sie erfahren hatten, was die Deutschen anderen angetan hatten, sich selber noch über irgend etwas zu beklagen. Und das hat zu einer unglaublichen Deformation der Gefühle geführt. Wenn ein dreizehn-, vierzehnjähriges Mädchen vergewaltigt wird, kann man nicht sagen, die ist bestimmt eine Faschistin gewesen. Aber sie hatte ganz tief verinnerlicht, daß darüber nicht zu reden ist, daß es Schuld ist. Und wenn sie es überlebt hat, dann hat sie den Mund gehalten, weil sie dann auch irgendwann — im Umfeld, nehme ich an — gelernt hat, daß sei eine Form gerechter Rache gewesen. Dahinter steckt eine ganz furchtbare Logik: daß man Unrecht aufrechnet. Das ist gerade in dieser Frage oft passiert. In dem Augenblick, wo über die Greuel der Vergewaltigungen gesprochen wird, kommt mit Sicherheit der Satz: »Aber was haben die Deutschen — die deutschen Männer — in der Sowjetunion gemacht.« Das ist eine schreckliche Logik. Das wird jeder zweite Mann sagen. Frauen sind da zurückhaltender.

War das auch ein Grund dafür, daß Sie mit der Finanzierung Ihres Films Schwierigkeiten hatten?

Ganz gewiß. Ja. Das wurde mir auch so gesagt. Und daß das Thema Glasnost und Perestroika störe.

Verschweigen und vergessen als Basis der Völkerverständigung?

Das ist eine hochpolitische Frage. Die Frauen wurden im Grunde dazu gedrängt zu vergessen. Und auf der anderen Seite muß man die gleiche Zeit erinnern. Dieser Widerspruch hat mit Sicherheit Konsequenzen. Ich denke, daß auf Grund dieser herausgefundenen Fakten die Nachkriegsgeschichte noch einmal neu geschrieben werden muß. Mit Helke Sander sprach

Gesine Strempel

Wir bitten die dafür Verantwortlichen um baldige In-die-Kino-Bringung des Films. Danke.