"Ich widerspreche also"

■ betr.: "Ein Sekretär" (Videokitsch über die Varnahagen: Durstjahre bei Jutta Brückner) von Ulf Erdmann Ziegler, (Berlinale-) taz vom 22.2.92

betr.: »Eine Sekretär« (Videokitsch über die Varnhagen: Durstjahre bei Jutta Brückner) von Ulf Erdmann Ziegler, (Berlinale-)taz vom 22.2.92

Mit den Aufschreibesystemen ist das so eine Sache: ihre Tauglichkeit läßt sich nicht voreilig verleugnen — entweder setzen sie sich durch oder dann versanden sie wieder. Der Kritiker zum Film Kolossale Liebe meint sich allerdings einen Sonderstatus erlauben zu dürfen, wenn er Jutta Brückners Handschrift denkbar eindimensional, ziemlich abgeschmackt und gar persönlich verletzend durch den Schmutz zieht. Dabei böte sein eigener Text unter dem Stichwort »Eine Sekretär« den ungleich viel saftigeren Nährboden zur Infragestellung eines Mediums (dem des Kritikenschreibens), das gewollt aussagekräftig ein anderes Medium (das Filmemachen) zerfleischt.

Aber der/die arg gebeutelte LeserIn steht schon bei der Frage Kopf: wie haben sich wohl diese haarsträubenden Druckfehler eingeschlichen? Mit Verlaub, das sich postmodern aufspielende Gesaber verweist bestenfalls auf den Schreibenden selbst, aber keineswegs auf den Film. Denn verbale Mutproben und Zusammenbrüche ist eines, audiovisueller Analphabetismus was anderes.

Ich widerspreche also: die Manipulation der Bilder (Video-Post-Produktion) in Jutta Brückners Film machen Sinn, und wenn dieser auch nur darin bestünde, den bloß konsumistisch geprägten Pseudorealismus »naturalistischer« Filmbilder zu unterwandern. In keinem Fall jedoch kann pauschal klassifizierend von »Kitsch« gesprochen werden — auch wenn es besonders mutig erscheinen mag, ein solches Wort wieder ins Vokabular aufzunehmen.

Einem Klassifizierungsstreben steht Brückners Bilderschrift und die darin eingeschriebene Experimentierlust entgegen. Des Kritikers Kommentar hingegen, sein »böse gemeintes«, aber im Grunde sich selbst verratendes Geständnis, nichts gesehen zu haben, disqualifiziert sich selbst: Will man Inhalte nicht wahrnehmen, vertreibt man am einfachsten die Bilder. Kommunikationsformen zeichnen sich jedoch gerade durch Unebenheiten aus, ohne diese wäre tatsächlich nichts zu sehen. So mag es wohl den Blick des prüfenden Kritikerauges gefährden, wenn »mal der eine und mal die andere herausragt« (gemeint sind Varnhagen und Rahel), aber inhaltlich trifft es den Kern. Und siehe da, bereits die unscheinbarsten Verlautbarungen aus des Kritikers Feder, etwa der Ruf nach historisch ausgefülltem Dekor, entpuppen sich als Bekenntnisse zum Unverständnis. Vielleicht würde der Rezensent sich wohler fühlen, Rahel Levin alias Frederike Varnhagen im Kabinett der Romantiker als zierliches Wachspüppchen zu wissen, als welches eine Frau der Romantik ja nur allzu oft gesehen wurde. Den Varnhagen hätte er sich vielleicht als Zinnsoldaten in einer benachbarten Vitrine Deutscher Geschichtsschreibung gewünscht...

Soweit ein paar Stichworte, die von mangelnder Bereitschaft zeugen, etwa Varnhagens Kriegs-Auszug — oder vielmehr den sowohl formal als auch inhaltlich ausgewiesenen Kriegsschauplatz des Hoch- und Runterziehens in zwischenmenschlichen Beziehungen überhaupt wahrzunehmen.

»Kopieren macht Liebe« meint der Kritiker (allerdings nahezu unleserlich notiert). Ungewollt, weil augenfällig undifferenziert die ganzen romantischen Inhalte über diese eine Leiste schlagend, spricht er dennoch ein ihm zwar mangelndes, dem Film hingegen exakt entsprechendes richtiges Verhältnis aus: Kopieren, Verfremden, Überlagern, Ausblenden, Einflechten — diese seltsamen Artefakte am Filmbild und anderswo — zeichnen die Spur einer Suche; sie zeigen ein Liebesverhältnis auf, das die Filmautorin jenen Figuren, jener Zeit, jenen Zeugnissen äußerster Empfindsamkeit gegenüber einzugehen bereit ist. Um den Kritiker scheint es anders zu stehen. Er hat aufgehört, das Medium (den Film) zu begehren, und fordert doch gleichzeitig, selbst von ihm begehrt zu werden (eine Gefühlslage, die er dem hilflosen, liebesunfähigen Varnhagen wiederum nicht zugestehen will); vielleicht weiß er sich den Ausweg aus dem Dileamma (daß nämlich der Film den Zuschauer primär ökonomisch begehrt: »zehn Mark für die Dunkelheit«...) dadurch zu sichern, daß er als Filmhetzer eine eigentliche Frustriertengemeinde um sich zu scharen bemüht. Dagegen wäre angesichts des harten Kritikerloses (im Gegensatz zum Briefeschreiben wird hier tatsächlich Sekundärliteratur produziert) nichts einzuwenden — nur bitte beim richtigen Film!

Vielleicht — und da geht es uns wohl allen ähnlich — war unser Gewährsmann auch einfach etwas müde, nachdem er sich schon zwei Tage vorher in sogenannt »verfrühte Grübeleien« (taz vom 20.2.92) vertieft hatte. Die Idee, daß auch eine schlechte Kritik eine gute Kritik sein könnte, scheint er in solchen Tiefen vergessen zu haben. Lautes Grübeln ist ziemlich erosionsgefährdet — was aber soll Buchstabenschutt vor den Füßen der LeserInnen? Sören Senn, 1058 Berlin