Ivo Andric stürzte von der Brücke in die Drina

In Visegrad, einer Grenzstadt zwischen Bosnien und Serbien, befehden sich Serben und Muslimanen erbittert/ Noch ist eine Brücke nicht zerstört: Die hatte der Nobelpreisträger Ivo Andric in seinem Roman „Die Brücke über die Drina“ beschrieben  ■ Von I. Standeker/E. Hladnik

Visegrad (taz) — Im Jahre 1571 ließ Mehmed Pascha Sokolovic in Visegrad eine Brücke über die Drina bauen. Als Zehnjähriger hatte er zum ersten Mal den Fluß überquert. Damals noch ging das nur per Floß. Er war ein serbischer Junge, der von Janitscharen ins ferne Istanbul verschleppt wurde. Dort erzog man ihn am Hofe und bald wurde er ein gefeierter Kriegsherr des Osmanischen Reiches. Der serbische Junge wurde sogar zum mächtigen Herrscher, als er die Kaiserstochter zur Frau bekam. Doch eine nicht greifbare Traurigkeit nagte an seinem Herzen, schrieb Ivo Andric in seinem Roman Die Brücke über die Drina, für den er 1964 den Literaturnobelpreis bekam. Und diese verschwand erst, als er am Ende seines Lebens eine Brücke über die Drina bauen ließ. Die Brücke, die seither den reißenden Fluß überquert, ist für Andric ein Symbol: Sie überbrückt den Gegensatz zwischen Ost und West. Und sie steht für das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichen Völker sowie das Nebeneinander der Religionen in diesem Land.

Heute ist die Brücke wieder zur Grenze zwischen Ost und West geworden. Sie hat Glück gehabt. Denn viele Brücken wurden seit dem Beginn des Krieges gesprengt. Von denen über die Sava ist kaum noch eine heil geblieben. Die Brücke über die Drina, die alte Brücke des Paschas, muß aber gegen ihre Bestimmung die bosnischen Muslimanen im Westen von den Serben im Osten trennen. Die Statue von Ivo Andric ist von ihrem Sockel gestürzt und ruhmlos irgendwo in den braunen Fluten verschwunden.

Der Mann, der sich einen Eisenhammer nahm und sie niederriß, heißt Murat Sabanovic und er wohnt in Visegrad. Noch bevor seine Frau den üblichen türkischen Kaffee bringt, wird von der ältesten Tochter die Haus-Kalaschnikow vorgezeigt. Gewehre sind in Visegrad wie „bissige Hunde, die in ihrer Ecke liegen und darauf warten, daß ein Fremder vorbeikommt“. Murat Sabanovic ist gläubiger Moslem. Und wie die anderen Muslimanen in seiner Stadt fühlt er sich von allen Seiten bedroht. Zwar hat die „Partei der Demokratischen Aktion“, die Partei des muslimanischen Präsidenten Bosniens, Alia Izetbegovic, bei den Wahlen gesiegt und hält die Stadtverwaltung fest in ihren Händen, doch die Muslimanen sind eingekesselt: auf einer Seite von den serbischen Enklaven in Bosnien und auf der anderen von der serbischen Republik.

Murat, ein hundertzwanzig Kilo schwerer ehemaliger Seemann, ist ein glänzender Erzähler dieses neuen Kapitels der Geschichte der berühmten Brücke. Er begann seine neue Karriere als Zerstörer damit, daß er vor einigen Jahren die Milosevic- Plakate, die man in der Stadt anbrachte, immer wieder abriß. „Man hat mich vor Gericht gestellt, und um die Strafe zu bezahlen, mußte ich unsere beste Kuh verkaufen“, lächelt er zufrieden. „Doch leid tut es mir nicht. Ich konnte einfach nicht länger mitansehen, wie man die Türken und ihre Bräuche mit dieser Propaganda schlecht machte.“ Murat ist natürlich nicht Türke, doch wie alle bosnischen Muslimanen spielt er ironisch mit diesem Vorurteil, weil viele andere jugoslawischen Völker vergessen haben, daß auch die Muslimanen Slawen sind, nur eben mit moslemischem Glauben, dem „besseren Glauben“, wie er hinzufügt. „Letztes Jahr, während des Bairams, gerade als wir beim morgendlichen Gebet waren, kamen zwei Busse voll mit Tschetniki hierher mit ihren Totenkopfflaggen und riefen, dies hier sei Serbien.“ Die aufgebrachten Muslimanen nahmen ihnen die Flaggen ab und verbrannten sie.

Der Kampf um die Brücke

„Dann kamen Panzer der Bundesarmee. Wir bauten Barrikaden auf und hinderten sie daran, über die Mehmed-Pascha-Brücke zu rollen.“ Die Brücke ist nach all den Jahrhunderten auch schon ein bißchen mitgenommen und würde solche Strapazen sicher nicht heil bestehen. „Den beiden Muslimanen, den beiden Kroaten und dem Slowenen, die wir in dem ersten Panzer fanden, gaben wir Zivilkleidung und schickten sie nach Hause. Alle anderen waren Tschetniki. Die zogen wir heraus und scherten ihnen ihre Bärte und langen Haare ab, und zwar auf die grobe Weise, mit Trockenrasur. Aber das Leben ist eben hart hier und die Menschen auch.“

Als einige Tage später die Armee mit vierhundert Panzern und anderen Fahrzeugen anrückte, sprengten die Muslimanen einen Tunnel und hielten sie 48 Stunden lang auf. „Dies war die Armee, die später Dubrovnik angriff und das Kroatendorf Ravno dem Erdboden gleichmachte. Wenn wir das gewußt hätten, hätten wir lieber die Brücke gesprengt. Aber es war schon zu spät und damit begann die Okkupation Bosniens.“ Die Armee postierte zwei Kilometer entfernt eine Einheit. „Wir umzingelten sie und drehten ihnen das Wasser und den Strom ab. Es spitzte sich schon ganz schön zu, als man in Sarajewo einen Pakt mit der Armee schloß, so daß wir uns zurückzogen. Aber hier sind noch immer mindestens fünfhundert bewaffnete Männer jederzeit einsatzbereit.“

Tatsächlich lungern einige dieser Grünen Barette in einem Billardsaal unweit der Brücke Tag und Nacht herum. Im Haus gegenüber, in einem Café, hat es sich ein Trupp von ihnen gemütlich gemacht. Sie warten auf ihren Einsatzbefehl. Nur der Führung der muslimanischen Partei werden sie gehorchen, die Gesetze Jugoslawiens spielen keine Rolle mehr. „Gute Jungs“, schmunzelt Murat und blickt mit Genugtuung auf die Waffen, die von einem Trupp der Grünen Barette getragen wird. „Die Partei kauft diese Waffen nicht. Das muß jeder schon selber tun. Aber den Frieden kann man nur so erhalten, indem man genauso viele Gewehre hat, wie die anderen. Schau mal, diese Automatik kostet 2.500 Mark. Ich habe sie gekauft, damit sie mein Heim beschützt. Dafür gibt man auch seine letzte Kuh, die die ganze Familie ernährt. Wir mußten einmal schon teuer bezahlen, daß wir es versäumten, uns zu bewaffnen. Damals, im Zweiten Weltkrieg, als die Tschetniks hier viele Moslems umbrachten. Jetzt haben wir Panzerfäuste, Mörser und leichte Artillerie. Denn wenn es hier zum Krieg kommt, dann wird das ein Glaubenskrieg, Dschihad“, fügt Murat Sapanovic hinzu. Aber warum hat ausgerechnet Ivo Andric seinen Zorn auf sich gezogen? „Er verdiente die Strafe, weil er sein ganzes Leben kein gutes Wort für die Moslems fand. Immerzu stellte er sie als Diebe, Lügner und Idioten dar. Darum haben wir seine Statue niedergeschlagen und sie mit dem Ruf Allahu Akbar in die Drina geworfen.“ Vielleicht, so denken wir beim Hinausgehen, haben wir unterschiedliche Bücher gelesen.