...und die schlechten ins Kröpfchen

Italiens Privatisierungskampagne gerät zur Satire/ Während ertragreiche Firmen verschleudert werden, kaufen die Minister trotz Wahlkampfs weitere notleidende Firmen teuer hinzu  ■ Aus Rom Werner Raith

Die Sache steht zwar schon seit einem Jahrzehnt an, doch eingefallen ist sie, so scheint's, der Regierung erst im allerletzten Moment: Die bereits anfang der 80er Jahre beschlossene weitgehende Privatisierung staatlicher Betriebe bedarf dringend präziser Durchführungsbestimmungen. Die will nun die Regierung, mitten im Wahlkampf und während die bisherigen Koalitionäre Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten und Liberale heillos zerstritten sind, mit Hilfe eines Gesetzesdekretes verabschieden.

Mehr als 40 Prozent der italienischen Wirtschaft gehörten in den 70er Jahren dem Staat; derzeit sind es noch immer mehr als 25 Prozent. Teilweise handelt es sich dabei um von den Faschisten gegründete und dann vom demokratischen Staat übernommene Betriebe aus der Waffen- und Petroindustrie. Zum großen Teil aber sind es Firmen, die der Staat nach Pleiten aufgekauft oder saniert und dann übernommen hat. Ein eigenes „Ministerium für Staatsbeteiligungen“ managt seither die gewaltige Masse von Industriebetrieben, Versicherungen, Bankbeteiligungen und Medien: ein geradezu unerschöpfliches Reservoir zur Ausbeutung staatlicher Gelder für die Klientel der Politiker.

Der zuständige Ressortchef gehört zu den mächtigsten Menschen im Kabinett, verfügt er doch über mehr ausgabefähiges Geld und mehr attraktive Posten als jedes andere Regierungsmitglied. Der derzeitige Außenminister Gianni De Michelis leitet seine Hausmacht bis heute von seiner Zeit als „Ministro per le partecipazioni statali“ her.

Einige Jahrzehnte lang funktionierte das Ausbeutungssystem vorwiegend über die Postenbesetzung zugunsten der eigenen Gefolgsleute (zur Bändigung Oppositioneller wurden auch diesen einige Stellen zugestanden) und das Zuschanzen mächtiger staatlicher Zulieferungsaufträge an nichtstaatliche Unternehmen. Doch Ende der 70er Jahre geriet dieses System an seine Grenze: Der Staat hatte kein Geld mehr, war überschuldet, die öffentlichen Haushalte wurden immer unseriöser, von den Einnahmen verschwanden immer mehr in den Schlünden der Beutelschneider und Schmiergeldempfänger. Zudem wurden die Staatsbetriebe nicht modernisiert und sanken so in ihrer Wettbewerbsfähigkeit rapide ab.

Da kam den Sozialisten, die 1983 bis 1987 den Ministerpräsidenten stellten, die rettende Idee: Nun sollte es umgekehrt gehen. Man erhoffte sich riesige Einnahmen durch den Verkauf der Betriebe. Manche Unternehmen sollten ganz verscheuert werden, treuhandmäßig sozusagen, andere in Aktiengesellschaften verwandelt und so in die Börse eingeführt werden. Der Staat sollte so seine Haushaltslöcher stopfen, die für die Vergabe zuständigen Minister und Parteien erhofften sich ein kräftiges Schnäppchen für die Parteikasse (oder, wie immer wieder Skandale gezeigt haben, für die eigene).

Schlitzohrig, wie man sich eben fühlt, dachten jedoch die staatlichen Unternehmenshüter bei der Privatisierung an ganz andere Betriebe als die zunächst einmütig begeisterte potentielle Käuferschaft.

Als ob Industrielle nicht Zeitungen lesen würden

Zunächst boten die Herren des „Ministeriums für Staatsbeteiligungen“ durchwegs unrentable Liegenschaften an. Als ob die potentiellen Käufer nicht zeitunglesen oder fernsehen würden, pries man ihnen die seit Jahren zusammenbrechende Stahlindustrie als „zukunftsträchtige Branche“ an und suchte auch die aus Umweltschutzgründen in Krisen geratenen Teile der Kunststoffwerke noch immer als Hit loszuschlagen. Die munter in den Haushaltsansatz eingefügten 25 Milliarden Mitte der 80er Jahre blieben also durchwegs aus. Man mußte die Firmen entweder schließen, etwa die großen Stahlwerke in Bagnoli bei Neapel, oder für ein Butterbrot faktisch verschenken.

Also versuchte man es nun mit den lukrativen Unternehmen, von der Chemieindustrie bis zu Versicherungen. Allerdings: Das Bestimmungsrecht wollten die Politiker doch wieder nicht aus der Hand geben. Was wiederum sehr enge Grenzen für Käufer setzte. Als sich auf dem Chemiesektor ein schwerer Konflikt zwischen der mittlerweile zu fast 50 Prozent beteiligten Firma Ferruzzi und dem staatlichen Management ankündigte, kaufte der Fiskus die vorher übergebenen Anteile wieder zurück — zu wesentlich höheren Preisen als zuvor. Umgerechnet mehrere Milliarden DM fehlten aufgrund solcher Dummheiten in der Staatskasse.

Da kam einem Ministerialen eine neue Idee: Man könne doch attraktive Gebäude aus historischer Zeit, Parks und ähnliches an private Geldgeber veräußern — gesagt, getan. Schlösser und Burgruinen, Villen und antike Einfriedungen wechselten den Eigentümer.

Viel Geld kam nicht herein, weil die Neuen die Restaurierungskosten gleich vom Preis abzogen. Und dann stellte sich auch noch heraus, daß manche Verträge schlicht ungültig waren, weil die Güter unter Denkmalschutz oder unter dem Schutz der Unesco standen, andere Gebäude und Terrains mußten wieder zurückgekauft werden, weil der Sanierungsplan für eine Gegend, beispielsweise in Rom, Eingriffe vorsah, die nur mit Enteignung und damit hoher Ausgleichszahlung zu bewerkstelligen waren; oder weil die Kommune, wie in Mailand, ihre eigenen Parks aus unterschiedlichen Gründen abrunden wollte oder mußte.

Regelungsbedarf ist also sehr wohl vorhanden, und Ministerpräsident Giulio Andreotti hat versprochen, das noch „vor meinem Ausscheiden, vor den Neuwahlen und vor allem vor neuen Verkäufen“ zu realisieren, zumal gerade die Privatisierung besonders lukrativer Staatsbetriebe wie der Petroleumgesellschaften Agip und SNAM ansteht. Andreotti: „Schluß mit dem Tohuwabohu.“ Goldene Worte. Aber während sich die Regierungspolitiker bei den Industriellen mit der Parole der Totalprivatisierung einzuschmeicheln versuchen, hören kritische Experten aus dem Ministerium für Staatsbeteiligungen schon wieder Sprüche wie „Aber die Oberaufsicht werden immer wir behalten“. Die Parteikassierer lassen grüßen.

Zeitungszukauf zum Ausgleich der Parteiinteressen

Vor allem aber: Just mitten in der Privatisierungskampagne ist durchgesickert, daß das Ministerium, statt zu privatisieren, im Gegenteil munter neue Käufe tätigt. So soll eine weitere Tageszeitung zum Staatsbesitz 'Il Giorno‘ kommen (um die dortige Hegemonie der Sozialisten durch ein christdemokratisches Blatt auszugleichen), und gleichzeitig will der Staat den nahe der Pleite dümpelnden Mineralwasserkonzern Fiuggi aufkaufen. Der Eigner der Fiuggi- Betriebe ist ausgerechnet Giuseppe Ciarrapico — einer der engsten Vertrauten von Ministerpräsident Andreotti und innerhalb der Partei sein persönlicher Statthalter im südlichen Lazium.