Versicherungsvertreter — eine kurze Karriere

Mit dubiosen Methoden heuern westdeutsche Unternehmen Ostdeutsche für Drückerkolonnen an/ Zwei Lebensversicherungen für eine Rentnerin sind keine Seltenheit/ Über 30.000 Beschwerden beim Bundesaufsichtsamt  ■ Aus Berlin Heide Platen

Herbert G. traut sich nicht mehr in seine Stammkneipe: „Die hauen mir eine rein!“ Mit dem Onkel, den Neffen, der Tante und der Großtante hat er es sich verdorben. Dabei hatte alles so gut begonnen. Der arbeitslose Techniker aus Sachsen-Anhalt antwortete Anfang 1990 auf eine vielversprechende Zeitungsanzeige: „Wollen Sie im Monat 10.000 Mark verdienen?“ Herbert G. wollte gar zu gerne. Ein paar Wochen hörte er nichts, dann flatterte ihm außer einigen Unterlagen eine Einladung zu einem Wochenendseminar in einem süddeutschen Hotel ins Haus, Essen und Übernachtung inclusive. Herbert G. warf sich in Schale, reiste an, und alles war vom Feinsten. Er fühlte sich, mit neuem Wissen vollgestopft, als frischgebackener Versicherungsvertreter mit Aussicht auf eine glänzende Karriere. Wenn er sich bewähre und viele Verträge bringe, habe er die Chance seines Lebens, könne selber Untervertreter anheuern und als deren Vorgesetzter an ihrem Gewinn teilhaben. Das in zwei Tagen antrainierte Verkaufsgespräch, durch Tonband- und Videoaufnahmen vervollkommnet, hatte er „voll drauf“— und Schwung und Ehrgeiz dazu.

Er sei begabt und solle seine neuen Qualifikationen, sagten ihm die Teamer freundschaftlich, erst einmal im Kreis seiner Verwandten und Bekannten erproben und ordentlich Verträge schreiben. Gesagt, getan. „Und jetzt“, seufzt er, „habe ich keine Bekannten mehr, und die Verwandtschaft schneidet mich.“ Sie schlagen sich statt dessen mit den bei Herbert G. abgeschlossenen Versicherungen herum, versuchen, aus den Verträgen wieder herauszukommen, sind überversichert oder zahlen zu hohe Prämien für alles mögliche, vor allem Hausrat-, Unfall- und Lebensversicherungen.

Herbert G. ist kein Einzelfall. „Fragen Sie mal auf der Straße oder in der Kneipe“, sagt Anita S., die in ihrer Heimatstadt in Thüringen eine Agentur betreibt: „Hier macht zur Zeit jeder zweite in Versicherungen.“ Viele sind ebenso Opfer von Versprechungen geworden wie Herbert G., ehe sie ahnungslos ihr „Umfeld“ übervorteilten oder bis zum Betrug hin täuschten. Sie werden, ohne es zu wissen, nicht von einer Versicherung angeworben, sondern von einem sogenannten Strukturvertrieb, einer Vertriebsorganisation, die im Auftrag von Versicherungen Leute anheuert, die der Volksmund „Drücker“ nennt. Die Schulung, weiß Anita S., ist Augenwischerei: „Die Leute werfen nur mit nichtssagenden Floskeln um sich, die beeindrucken und einschüchtern sollen, aber kennen nicht einmal die Tarife.“ Sie lernen auch, die Schutzbestimmungen für die neuen Bundesländer geschickt zu umgehen oder den Jahresbeitrag gleich bar zu kassieren. Wenn sie ihren Freundeskreis abgegrast haben, klettern sie nicht etwa wie angekündigt auf der Karriereleiter empor. Sie werden durch die von ihnen selbst angeworbenen „Untervertreter“ ersetzt, die dann ihrerseits, ebenso geschult, auf ihre Umgebung losgelassen werden.

Anita S. gerät darüber in Rage: „Die Unerfahrenheit der Leute hier wird schamlos ausgenutzt!“ Sie rät zuallererst: „Keine, unter gar keinen Umständen, Versicherung bei Bekannten abschließen!“ Seit sie ihre eigene Agentur aufgemacht hat, verbringt sie einen großen Teil ihrer Zeit damit, Betroffenen aus Verträgen wieder herauszuhelfen. Sie schreibt Briefe und droht manchmal auch eine Beschwerde beim Bundesaufsichtsamt für Versicherungen in Berlin an. Meist hilft das. Einer, der ratsuchend zu ihr kam, hatte sich gleich sieben Unfall- und Lebensversicherungen aufschwatzen lassen. Einer älteren Dame, die auf eine Kreditanzeige schrieb, war eingeredet worden, die Bedingung dafür sei eine Unfallversicherung. Eine andere, ebenfalls über 65 Jahre alt, fand sich im Besitz von zwei Lebensversicherungen. Anita S.: „Das ist eine kleine Mafia. Das ist schon gewissenlos.“ Aber: „Die Leute sind skeptischer geworden und fangen an, sich zu wehren.“ Viele, die arbeitslos werden, können die Prämien nicht mehr bezahlen und merken erst jetzt, worauf sie sich eingelassen haben.

Das Bundesaufsichtsamt für Versicherungen in Berlin registrierte deshalb im Jahr 1991 über 30.000 Beschwerden. Sie kommen vor allem, heißt es im Geschäftsbericht, „aus dem Beitrittsgebiet“. Das Amt listet illegale Methoden auf. Da werden Kunden über die Widerrufsfrist getäuscht, Verträge rückdatiert, bei Unterschrift andere Verträge untergeschoben. Vertreter fälschen Einzugsermächtigungen oder werben mit verfälschten Ergebnissen von Tests der Verbraucherberatungen.

Friedel Rohde vom Berliner „Fairsicherungsbüro“ registriert auch Mängel bei der ehemaligen staatlichen Versicherung der DDR, der Deutschen Versicherung. Die Beratung sei mangelhaft, und fällige Zahlungen dauerten zu lange. Von frischgebackenen FNL-Vertretern weiß er: „Die drehen einem nicht bewußt was Böses an.“ Auch sie fallen auf die Phantasienamen der Produkte ihrer Firma herein. Der „Hattrick“, sonst drei Tore eines Fußballers und hier ein ganzes Versicherungspaket, erweist sich als Eigentor für den Kunden: „Banal, überteuert, ein schlechtes Produkt.“

Die Dresdner Verbraucherberatung hatte schon im Herbst 1991 gewarnt und eine Hitliste der „schwarzen Schafe“ der Branche genannt. Mit dabei waren die Iduna, die Berlinische Leben und die Hamburg- Mannheimer, von Insidern spöttisch die „Hamburg-Mülleimer“ genannt. Deren Vorstandschef Schreiber hat sich inzwischen allerdings positiv zu einer solchen Kontrolle geäußert. Seither herrscht Streit in der Branche. Der Präsident des Gesamtverbandes, Büchner, kündigte bei einer Veröffentlichung der Liste durch das Bundesaufsichtsamt gerichtliche Schritte an.