Auch Heike Henkel ist gedopt

■ Die Weltrekordlerin im Hochsprung verteidigt ihren Titel bei der 22. Hallen-Europameisterschaft in Genua und verrät ihr Dopinggeheimnis/Siebenkämpfer Christian Plaziat mit neuem Weltrekord

Berlin/Genua (dpa/taz) — Hochspringerin Heike Henkel, seit dem Dopingskandal um Katrin Krabbe als letzte Sauberfrau der deutschen Leichtathletik hochgehalten, ist auch gedopt. Nachdem die 27jährige bei den Hallen-Europameisterschaften in Genua ihren Titel mit 2,02 Metern verteidigte, gestand die eifrige Verfechterin des pillenlosen Sports, daß auch sie Doping „als Treibstoff“ zur Leistungssteigerung einsetzte. Und zwar das Doping der anderen: „Der Umstand, daß gedopt wird, ist ein Ansporn, da hole ich mir die Kraft. Ich bin von Höchstleistungen ohne Doping überzeugt und habe meine Abscheu frühzeitig kundgetan.“

So sind ihre Höhenflüge praktisch das Resultat des Ekels vor den gemeinen Machenschaften der anderen — Braindoping auf höchstem Niveau, ohne schädliche Nebenwirkungen und vor allem nicht nachweisbar: „Ich finde die Dopingkontrollen nicht lästig, bei mir können sie jeden Tag gemacht werden.“

Derart unbelastet und moralisch gefestigt, schwang sich die Hallen- Weltrekordlerin (2,07) ab 1,91 Meter Höhe jeweils im ersten Versuch über die Latte, erst bei 2,04 war Ende der Fahnenstange. Auch für Stefka Kostadinowa, die Freiluft-Weltrekordlerin aus Bulgarien. Sie mußte sich jedoch mit Platz zwei begnügen, weil sie insgesamt einen Versuch mehr benötigte. Für Heike Henkel, deren EM-Titel der zwölfte Sieg in Folge war, ist die Bulgarin sicherlich die größte Olympia-Konkurrentin, sie traut aber auch Jelena Jelessina (GUS) und der Kubanerin Silvia Costa einiges zu.

Der gefeierte Mann im Sportpalast der italienischen Hafenstadt war jedoch Christian Plaziat. Zum einen, weil der hübsche Franzose so wunderbar blondes Haare hat, zum anderen, weil er zusätzlich einen neuen Weltrekord im Siebenkampf aufstellte: Mit 6.418 Punkten verbesserte er seine gerade 27 Tage alte Bestmarke gleich um 129 Punkte. Damit avancierte der eitele, jedoch schüchterne Europameister aus Lyon zu Europas unangefochtenem Mehrkampfkönig. Bereits am ersten Tag lag er auf Rekordkurs. 64 Punkte hatte er nach den ersten vier Disziplinen (60 m: 6,83 Sek., Weit: 7,58 m, Kugel: 14,53 m, Hoch: 2,13 m) mehr auf dem Konto, als bei seinem Weltrekord am 1./2. Februar bei den französischen Meisterschaften in Nogent-sur-Oise. Als er am Samstag die 60-Meter-Hürden in 7,97 Sek. und den Stabhochsprung mit 5,20 m beendete, war die neuerliche Bestmarke vor dem 1.000-Meter-Lauf (2:40,52 min.) nur noch Formsache.

Ebenfalls geweitete Augen produzierte Konstantin Krause aus Wattenscheid. Der Mann, den keiner kannte, wurde plötzlich und unerwartet mit 8,04 Metern Vize-Europameister im Weitsprung. Nur der Gusse Dmitri Bogrianow (8,12 m) segelte weiter als der Erfurter. Der beste Nachwuchsspringer der DDR wurde seinerzeit nicht außer Landes gelassen. „Die Stasi sagte nein. Ich saß am Fernseher, das war schlimm.“ Im Oktober 1989 türmte er samt seiner ungarischen Frau über Ungarn in die Bundesrepublik, wo er aus Zufall zum TV Wattenscheid stieß. Die Darbietung von Weitsprung-Europameister Dietmar Haaf war hingegen eine Enttäuschung. Mit 7,69 Metern erreichte er nicht einmal den Endkampf. „Ich bin guten Mutes hier hergekommen und wollte 8,20 Meter springen. Es ist nicht gelaufen, aber ich bin schließlich keine Maschine“, meinte der 24 Jahre alte entthronte Hallen-Europameister.

Dafür schaffte Fünfkämpferin Birgit Clarius mit 4.628 Punkte einen neuen deutschen Rekord. So richtig freute dies jedoch keinen, denn diese Leistung reichte knapp an der Bronzemedaille vorbei für Platz vier. Schlauer aus der Affäre zog sich Siebenkämpfer Frank Müller aus Norden, der nach drei Fehlversuchen im Weitsprung duschen ging.

Als eifrigste Goldmedaillen- Sammler zeigten sich die Athleten der GUS, die den zweiten Tag mit insgesamt fünf EM-Siegen beendeten. Weltmeisterin und Weltrekordlerin Alina Iwana aus Tscheljabinsk setzte sich über 3.000 Meter Gehen gegen die Italienerin Ileana Salvador (11:53,23) sowie Beate Anders (11:55,41) durch und erzielte mit 11:49,99 Minuten die zweitbeste Zeit nach dem Weltrekord (11:44,00). Den Dreisprung, der erstmals EM-Disziplin war, gewann die Sportstudentin Inessa Krawets aus Kiew vor der Favoritin Sofia Boshanowa (Bulgarien/13,98 m) und Helga Radtke (Rostock/13,75 m).

Das Kugelstoßen der Männer gewann Alexander Bagatsch (GUS) mit 20,75 Meter, das der Frauen seine Landsfrau Nadescha Lissowskaje mit der Jahresweltbestleistung von 20,70 Meter. Europameisterin Astrid Kumbernuss kam mit der neueingeübten Drehstoßtechnik auf den dritten Platz (19,37).

In Abwesenheit von Titelverteidigerin Irina Priwalowa und den suspendierten deutschen Sprinterinnen Katrin Krabbe, Grit Breuer und Silke Möller rannte Shanna Tarnopolskaja in scheints ungedopten 7,24 Sekunden über 60 Meter zum Gold. In die Fußstapfen seines britischen Landsmann Lindford Christie trat Jason Livingston, der den kurzen Männer- Sprint in 6,53 Sekunden gewann. Die deutschen Sprinter Steffen Bringmann (Mannheim/6,81 Sek.) und Sven Matthes (Berlin/6,84 Sek.) überstanden leider nicht einmal den Vorlauf. miß