Der Ringer als Schriftsteller

■ John Irving hat heute Geburtstag

Zwei Ziele hat die Hauptfigur Garp in John Irvings berühmtestem Roman: Ringer werden und Schriftsteller. Beide Ziele erreicht er — und mit ihm sein Autor, der heute noch bei allen PR-Reisen darauf besteht, täglich zwei Stunden Zeit für die „Arbeit“ im Kraftraum zu haben. Garp kostet die Schriftstellerei das Leben: Er legt sich hartnäckig mit einer abstrusen Feministinnen-Sekte an, den „Ellen-Jamesianerinnen“, die sich freiwillig die Zungen abschneiden lassen, weil ein Mädchen namens Ellen James vergewaltigt und anschließend blutig zum Verstummen gebracht wurde.

Eine Ellen-Jamesianerin erschießt Garp, als er knapp über dreißig ist. John Irving, dessen bekannteste Romane Hotel New Hampshire, Garp und Gottes Werk und Teufels Beitrag ihm eine hysterisch begeisterte Fan-Gemeinde eingebracht haben, wird heute 50. Die ersten drei Romane, sagt der in Exeter/New Hampshire geborene Irving, waren Vorübungen — bei Laßt die Bären los, Mittelgewichtsehe und der Wilden Geschichte vom Wassertrinker kann man zwar schon den oft leicht makabren Irving-Humor entdecken; auch die schwächlichen, von einer lebensgeschichtlichen Sackgasse in die andere tappenden Männer und die unverwüstlich starken Frauen sind schon vertreten.

Aber Irving kam wohl mit den „Stadtplänen“ seiner Romane (wie er selbst die pedantische Vorbereitung der Stories nennt) noch nicht zurecht. Erst Garp liest sich so, als sei er in einem Rutsch und Rausch geschrieben — die bis zu 18 Monate lange Planungszeit merkt man dem wilden, grellen, von tiefster Verzweiflung bis zu entfesselter Komik pendelnden Roman nicht an. Das Hotel New Hampshire und Garp sind auch der Filmindustrie zum Opfer gefallen (in Garp spielt Irving selbst eine kleine Rolle als nervöser Ringrichter) — beide Filme gefallen dem Autor nicht, für Gottes Werk und Teufels Beitrag schreibt er selbst das Drehbuch, hat sich erhebliche Mitspracherechte in Sachen Regie und Besetzung vertraglich zusichern lassen.

Gottes Werk und Teufels Beitrag, Irvings erster historischer Roman, ist wohl sein bisheriges Meisterwerk. Die Lebensgeschichte eines jungen Waisen namens Homer Wells und seines Waisenhausdirektors und Mentors, des äthersüchtigen Dr. Wilbur Larch, eine Dreiecks-Liebe zwischen Homer, der Hummerfischer-Tocher Candy und dem Upper-Class-Sprößling Wally — ein weiter Bogen läßt diese und andere Stories wieder ins Waisenhaus von St.Clouds münden. Merkwürdig: Wenn man versucht, Irvings Romane nachzuerzählen, hören sie sich immer wie wüste Trivial-Schwarten an. Man müßte wohl sehen, hören und schreiben können wie Irving selbst, um ihn auch nur angemessen würdigen zu können. Wer sich ins wohlgeordnete Labyrinth seiner (stark von Heroen des 19. Jahrhunderts wie Flaubert, Hawthorne, Melville beeinflußten) Geschichten begibt, wird viel eigene Biographie wiederfinden — über Kontinente und Jahrzehnte hinweg.

Heute wird er fünfzig — wenn er noch dreißig Jahre mit seinen Gewichten trainiert, können wir uns noch auf 15 bis 20 Romane freuen. Klaus Nothnagel

John Irvings Romane erscheinen in passabler deutscher Übersetzung bei Diogenes; außer Garp (fehlerhaft übersetzt, bei Rowohlt).