Gedenktafeln immer

■ Ottobrunn will kein Mahnmal seiner NS-Vergangenheit — nicht einmal geschenkt

Nicht zufällig sprach Otto Schily über „Vergangenheit in Ost und West“, als er zu Ehren von Theater- und Filmregisseur Imo Moszkowicz nach Ottobrunn im Südosten von München kam. Ein Grund war die Biographie von Moszkowicz, der Auschwitz entkommen ist, aber dort Mutter und sechs Geschwister verlor. Und der für seine künstlerische Arbeit im vergangenen November mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden war. Andererseits hatte Schily die nationalsozialistische Vergangenheit von Ottobrunn im Auge — und das unrühmliche Nein der Gemeinde zu einem Mahnmal. Eine Bürgerinitiative, unterstützt von SPD und Grünen, wollte dies in Erinnerung an ein KZ-Außenlager von Dachau errichten. Noch im letzten Kriegsjahr mußten hier Häftlinge Zwangsarbeit für das Dritte Reich leisten. Ein Kapitel, das auch eng mit der Entstehung des Rüstungskonzerns MBB, dem größten örtlichen Arbeitgeber, zusammenhängt.

Massiver Widerstand kam vor allem seitens der CSU. Diese fürchtete das Image einer „KZ-Gemeinde“ — und das für einen Ort, der sich der höchsten „Akademikerdichte“ in Europa rühmt. Nach fast vier Jahren Diskussion haben sich die Konservativen jetzt durchgesetzt. In Ottobrunn gibt es keinen Platz für ein Mahnmal — sie wollten es nicht einmal geschenkt.

Angefangen hatte alles am 30.Januar 1983, als SPD, Grüne und mehrere Jugendgruppen zum 50.Jahrestag der Machtergreifung Hitlers demonstrierten. Der evangelische Pfarrer Matthias Flothow begann mit einer Gruppe von SchülerInnen und StudentInnen, der „Spurensicherungsgruppe“, seine Recherche: Ehemalige Häftlinge — sogar der „Kapo“ des Lagers — wurden interviewt. Flothow selbst wälzte im Münchener Staatsarchiv wochenlang die Akten über Ottobrunn in den letzten Kriegsjahren. Das KZ-Außenlager war, so die Recherche, ein Arbeitslager und kein Vernichtungslager gewesen. Dennoch — auch in Ottobrunn wurde gefoltert.

Die Dokumentation der „Spurensicherungsgruppe“ galt aus CSU-Sicht noch 1988 als unseriös. Deshalb engagierte der damalige CSU-Bürgermeister Horst Stähler-May den Historiker und Gymnasiallehrer Willi Eisele, um die Geschichte Ottobrunns in den letzten Kriegsjahren zu beleuchten.

Inzwischen hatte sich aus der „Spurensicherungsgruppe“ eine Bürgerinitiative, die „Initiative Mahnmal“, gebildet. Ihre erste Veranstaltung im Herbst 1988 leitete die Soziologieprofessorin Sabine Kudera, die ein halbes Jahr später als SPD-Bürgermeisterkandidatin den CSU-Amtsinhaber aus dem Rathaus verdrängen sollte. Politiker anderer Kommunen — unter anderem aus Dachau — zeigten, daß Erinnerung an nationalsozialistische Vergangenheit in ihren Gemeinden parteiübergreifend möglich war.

Ein Modell eines Mahnmals war damals bereits vorhanden. Der Bildhauer Wolfgang Sandt, Grünen-Gemeinderat im Nachbarort, hatte eine Vierergruppe von Zwangsarbeitern entworfen — das Modell ist aus rotem Sandstein und 1,80 Meter groß. Es sollte an die Leiden der Inhaftierten — italienische Partisanen, Kriegsgefangene aus Frankreich und den Niederlanden, Norweger, Polen, Russen, Tschechen und Slovenen, politische Gefangene, sogenannte Arbeitsscheue und Zeugen Jehovas — erinnern.

Ihnen ging es „im Vergleich zu Dachau relativ gut“, wie der evangelische Pfarrer einmal bemerkte. Hatten sie doch noch im letzten Kriegsjahr ein gigantisches Rüstungsprojekt mitaufzubauen. In der „Luftfahrtforschungsanstalt München“ sollte die gesamte Forschung der Luftfahrt des Dritten Reiches unter einem Dach vereint werden. Luftwaffenchef Herman Göring war der Hauptinitiator des Vorhabens, Namen wie Messerschmidt und Dornier finden sich unter den Gründern der Gesellschaft, die 1940 im bayerischen Wirtschaftsministerium ins Leben gerufen wurde. Bis 1945 entstanden hier eine Reihe von Forschungskomplexen, darunter Windkanäle und Versuchsstände zum Raketenantrieb. Die von den Alliierten weitgehend demontierte „Luftfahrtforschungsanstalt München“ bestand als eingetragener Verein mit einem Barvermögen von 1,5 Millionen Mark weiter. 1958 vermittelte die damalige Treuhand diese an Ludwig Bölkow. Der Rüstungskonzern MBB erwuchs aus den Resten der nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie.

Wenn auch das KZ-Außenlager ein „Arbeitsreservoir“ für die Nazis war, wurden die Häftlinge dennoch schikaniert. Verantwortlich dafür war in erster Linie der stellvertretende Lagerleiter, ein SS-Rottenführer, der heute in München lebt. Noch 1967 stand er — zum drittenmal — vor Gericht, weil er vermutlich den Tod eines Häftlings verschuldet hatte. Mit einem Brett soll er den Häftling auf den Kopf geschlagen haben — dieser starb einige Tage später, nachdem er verlegt worden war, im KZ Dachau. Der Prozeß wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Ein Häftling schilderte der „Spurensicherungsgruppe“ seine Erlebnisse im Lager: „Mir wurden die Hände rückwärts zusammengebunden, mit einem anderen Strick wurde ich 60 Zentimeter über dem Boden an einer Querstange aufgehängt. Meine Füße wurden zusätzlich mit 20 Pfund Steinen beschwert, wodurch sich der Abstand meiner Beine zum Boden verringerte, nun mußten Mitgefangene anschaukeln.“ Der Strafakt war damit nicht abgeschlossen. Der so Gepeinigte mußte die „obligatorische Strafe“ im Stehbunker verbüßen. Eine winzige Zelle, in der eine Eisenstange das Sitzen verhinderte. Die „Spurensicherungsgruppe“ dokumentierte eine Reihe derartiger Ereignisse im KZ-Außenlager. Zur täglichen Routine gehörte auch der Dauerlauf entlang des Zaunes, der unter Starkstrom stand — Verbrennungen waren keine Seltenheit.

Die Studie von Willi Eisele, dem Gutachter im CSU- Auftrag, trug im vergangenen Oktober zur Versachlichung der Diskussion um das KZ-Außenlager bei. Mit seinen Nachforschungen bestätigte Eisele die Recherchen der „Spurensicherungsgruppe“. Die Debatte um ein Mahnmal spitzte sich im November zu, als eine knappe Mehrheit von Ottobrunnern ein Denkmal auf der jährlichen Bürgerversammlung ablehnte.

Regisseur Moszkowicz, er lebt seit 20 Jahren in Ottobrunn, reagierte daraufhin mit einem offenen Brief: „Wer ein Mahnmal als Schuldzuweisung versteht, der will anscheinend nicht begreifen, daß zur deutschen Historie sowohl Goethe, Schiller, Fichte, Hegel, als auch Dachau und sämtliche Nebenlager gehören.“ Nur die Gedemütigten selbst, so Moszkowicz, könnten das, was in jenen Lagern „schlimm und unerträglich“ gewesen sei, beurteilen. „Jedwede Verniedlichung dieser degradierenden Vorgänge hat einen ekelhaften Beigeschmack.“

Gedenktafeln, hierfür haben sich auch die Christ-Sozialen ausgesprochen, sind allerdings eine Option. „Ottobrunn ist eine geschichtsbewußte Gemeinde.“

Daniel Stroux