Tote bei Hungerrevolten in Albanien

■ Armee trieb Ausreisewillige auseinander/ Opposition vermutetet Störmanöver gegen die Wahlen

Tirana (afp/dpa/taz) — Der Hunger trieb am Wochenende Tausende von Albanern auf die Straße. Mit Steinen und Feuerwaffen versuchten sie, sich Essen zu verschaffen. Bei den Plünderungen von Geschäften und Lebensmittellagern gab es zwei Tote — ein 17jähriger Jugendlicher und ein Polizist — zahlreiche Menschen wurden verletzt.

In der Hafenstadt Durres trieb die albanische Armee gestern eine vieltausendköpfige Menge von Ausreisewilligen auseinander, die dort seit mehreren Tagen ausharrte. Zuvor hatte sich im Land das Gerücht verbreitet, die Häfen würden geöffnet.

Drei Wochen vor den Parlamentswahlen schieben sich Regierung und Opposition gegenseitig die Verantwortung für die explosive Lage im Land zu. Der Führer der oppositionellen Demokratischen Partei Albaniens (DPA), Sali Berisha, warf der sozialistischen Regierung vor, sie habe die Unruhen geschürt, um einen normalen Ablauf der Wahlen am 22. März zu verhindern.

Der DPA-Chef von Tirana, Ylli Vejsiu, ergänzte, der Aufruhr sei ein „gut vorbereitetes Szenario“ der Regierung. Der Vorsitzende der ehemals kommunistischen, jetzt Sozialistischen Partei, Fatos Nano, wehrte sich gegen die Anschuldigen. Er betonte, die Unruhen seien in Lushnja, 60 Kilometer südlich von Tirana, und in Pogradec, 100 Kilometer südlich der Hauptstadt, aufgetreten, wo die DPA die Kontrolle habe.

Vor allem auf dem Land, wo zwei Drittel der rund 3,2 Millionen Albaner leben, ist die Versorgungslage katastrophal. Die im August 1991 im Rahmen der Landreform beschlossene Privatisierung der Produktionsgenossenschaften ist längst nicht abgeschlossen. Viele Bauern warten noch auf ihr Land. Auch wer bereits seine Scholle bekommen hat, kann sie wegen des Mangels an Saatgut und Maschinen meist doch nicht bearbeiten.

Die Wut der Bauern richtete sich in den vergangenen Tagen gegen Kindergärten, Schulen, Büros und Geschäfte. Stellenweise paarte sich die Hungerrevolte mit Übergriffen gegen die griechische Minderheit. So wurden nach Berichten des albanischen Fernsehens in Lushnje zunächst die griechischen Geschäfte geplündert. Nach Ansichts Athens leben rund 400.000 Griechen in Albanien, während Tirana nur von 60.000 spricht.

In Pogradec, wo es am Freitag zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen war, begann am Samstag ein Generalstreik — nur die Brotfabrik arbeitet weiter. Nach Angaben von Radio Tirana weigerte sich die Polizei, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen.

In Lushnja versuchten etwa 300 Menschen, das Gebäude der Regierungspartei und weitere Verwaltungsgebäude anzuzünden. Angesichts der Befehlsverweigerungen verlangte Ministerpräsident Vilson Ahmeti mehr Disziplin von Polizei und Armee.

dora