INTERVIEW
: „Fixer werden nicht verfolgt und sind Teil der Gesellschaft“

■ Der Psychologe Roel Hermanides arbeitet seit zwölf Jahren in einer Amsterdamer Therapieeinrichtung

taz: Im Gegensatz zur Bundesrepublik werden in Amsterdam bereits seit mehr als 15 Jahren Drogenabhängige substituiert. Wie viele sind es inzwischen?

Hermanides:Über die staatlichen Stellen etwa 3.000 von 8.000 Abhängigen von harten Drogen in Amsterdam. Aber auch die niedergelassenen Ärzte vergeben Substitutionsmittel.

Wie sieht die Vergabepraxis aus?

Es gibt mehrere Methadonstellen in der Stadt, einige mit psychosozialer Beratung, andere ohne. Die Abhängigen entscheiden selber, wo sie ihr Methadon abholen. Sie werden in einem Zentralcomputer registriert, um sicherzustellen, daß sie immer nur eine Stelle anlaufen und nicht mehrfach ihre Dosis abholen.

Sie haben keine obligatorische psychosoziale Betreuung wie zum Beispiel in Berlin?

Nein. Wir glauben nicht, daß Zwangsbetreuung sinnvoll ist. Nach unserer Erfahrung wollen die Leute irgendwann von selbst mit uns reden. Das Methadon gibt ihnen die Möglichkeit, sich überhaupt wieder soweit zu stabilisieren.

Ist die Beschaffungskriminalität gesunken, oder ist der Drogengebrauch gestiegen?

Die Gewaltkriminalität ist gesunken. Diebstahl und Einbruch haben nicht abgenommen, obwohl wir das gehofft haben. Zum Drogengebrauch haben wir inzwischen zahlreiche Studien. Der Verbrauch ist etwa gleich geblieben. Die meisten Subsituierten nehmen auch noch andere Drogen. Aber unsere Befürchtung, daß Methadon zu einer verstärkten Abhängigkeit führt, hat sich nicht bestätigt.

Sie haben also immer noch Kriminalität, und die Junkies haben nun eine Droge mehr. Warum hilft dann Methadon?

Methadon als solches hilft niemandem. Aber es eröffnet eine Möglichkeit, mit den Leuten zu reden, Kontakt zu bekommen, sie in das Gesundheitssystem zurückzuholen. Und es hilft, weil ihre körperliche Verfassung sich verbessert — und auch die soziale. Das Methadon versetzt die Leute in die Lage, wieder über sich selbst nachzudenken. Sie brauchen weniger Zeit, um Drogen zu organisieren. Natürlich ersetzt Methadon keine Therapie. Aber es erleichtert den Schritt, sich in die Richtung zu bewegen.

Wie tolerant ist denn die Amsterdamer Bevölkerung gegenüber den 8.000 Junkies?

Es gab natürlich Ärger mit den Anwohnern, als die ersten Methadonstationen eröffnet haben. Die Leute haben sich Sorgen um ihre Kinder gemacht. Heute ist die öffentliche Meinung recht neutral. Natürlich sind die Leute gegen Abhängigkeit. Aber sie haben keine Angst mehr. Drogenabhängigkeit wird als Krankheit betrachtet oder auch als schlechtes Benehmen, das es zu beobachten gilt. Aber wenn ein Junkie sich normal benimmt, benehmen sich auch die anderen normal.

Worauf führen Sie das zurück? In Deutschland ist die Einstellung oft sehr abweisend.

Die Amsterdamer wissen inzwischen, daß nur wenige Abhängige für die gesamte Kriminalität verantwortlich sind. Auch das Methadonprogramm hat geholfen, weil Drogenabhängige sich seitdem weniger auffällig benehmen und weniger gewalttätig sind. Auch die Politik von Polizei und Regierung trägt dazu bei. Fixer werden nicht verfolgt. Sie können sich normal bewegen und sind ein Teil unserer Gesellschaft. Das Interview führte Jeannette Goddar