So zärtlich war der Hermann

Die Geschichtskommission des VS lud zum Gespräch mit Höpcke, Kant und Engelmann: Es ging um Biermanns Ausbürgerung  ■ Aus Berlin Christian Semler

Die behäbigen Villen auf dem Majakowski-Ring in Pankow beherbergten vor der Wende berühmte Witwen (Frau Becher, Frau Ulbricht) und „Kundschafter“ der Stasi, die sich für ein paar Wochen von den Strapazen der Westspionage erholten. Jetzt sind die diskreten Herren verschwunden, dafür hat sich — im alten Kulturambiente — eine Literaturwerkstatt eingerichtet. Auf- oder besser Bearbeitung der Vergangenheit stand am Sonnabend auf dem Programm. Eine aus ost- und westdeutschen SchriftstellerInnen paritätisch besetzte Geschichtskommission des VS stellte sich vor. Thema waren die „Ereignisse“ während und nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Mit Hermann Kant und dem ehemaligen Kultur-Vize Klaus Höpcke war die Bösewichter-Seite der Aufführung gut besetzt, aber leider, leider, die „Opfer“ fehlten fast gänzlich. Sie hatten, wie Biermann, die Einladung ignoriert, hatten kurzfristig abgesagt oder waren gar nicht erst benachrichtigt worden. Der Geschichtskommission, die bis jetzt nur prozedurale Fragen behandelt hat, fehlt es an Kontakten und Erfahrungen. Die Mitglieder stecken voller guter Absichten. Sie wollen kein Tribunal, kein Urteil, sondern „die Annäherung der Autoren von Ost und West durch Aufhellung der Vergangenheit beider Schriftstellerverbände“. Aber sie stehen hilflos einer Situation gegenüber, in der die Kommunikation mehr über Anwälte läuft als über Aussprachen. Noch immer dominiert auf seiten der ehemals Literaturgewaltigen die aggressive Rhetorik. So zum Beispiel Kant gegenüber der Lyrikerin Angelika Hoffmann: „Sie schreiben so schöne Gedichte, konzentrieren Sie Ihre Energie doch darauf.“ Und gegenüber Henryk Broder: „In welcher Eigenschaft treten Sie hier auf?“ Darauf dieser, nicht maulfaul: „Als Mossad-Agent!“

Zum Thema der Biermann-Ausbürgerung war seitens der Zeitzeugen nichts Aufklärendes zu hören. Dennoch entstand so etwas wie ein Widerschein jener Situation, wo ein Wink „von oben“ genügte, um Zweifel verstummen zu lassen. Woher die Anordnung zur Ausbürgerung kam? Niemand weiß es heute zu sagen — außer daß das Politbüro involviert gewesen sein muß. Sowohl Kant als auch Höpcke, der von dem Entscheid auf einer Tagung „in Goethes Kabinett in Weimar“ erfuhr, sagen heute, sie hätten die Ausbürgerung für eine kapitale Dummheit gehalten. Für Höpcke war der Entscheid wegen der „Familientradition“ Biermanns (seine antifaschistische Mutter? seine jüdische Herkunft?) besonders unglücklich. Kant meint sogar, kein Politikum außer dem Bau der Mauer habe der DDR so nachhaltig geschadet. Warum, so fragte Monika Maron aus dem Publikum heraus, habe Kant diese seine Meinung damals nicht öffentlich gemacht? Warum habe er, statt sich dem Protest der Kollegen anzuschließen, nicht nur geschwiegen, sondern später sogar den Einpeitscher der Partei gemacht? Er habe, so die Replik Kants, auf keinen Fall den Westmedien in die Hände spielen wollen. Warum habe er dann nicht eine eigene Stellungnahme formuliert? Kant verwies auf die „äußerste Zurückhaltung“ in seinem Artikel für das 'Neue Deutschland‘, auf seine „Zärtlichkeit“ gegenüber Biermann. Und dann: „Eine hochprozentige Idiotie ändert nichts daran, daß es meine Genossen waren, die sie begangen haben.“ Da ist es wieder, das Credo „Lieber mit der Partei irren, als gegen die Partei recht zu behalten“. Eigentlich, so Kant, war auch Kurt Hager, dem Politbüro-Verantwortlichen, die Ausbürgerung unangenehm. Also ist Honecker der Alleinverantwortliche. Einige im frustrierten Publikum fühlten sich an Entschuldigungen nach 1945 erinnert.

Warum aber konnte Biermann überhaupt zum Konzert nach Köln ausreisen? Waren ihm Auflagen gemacht worden, und war in diesem ganzen Verhandlungsprozeß das Ministerium für Kultur überhaupt nicht eingeschaltet? Höpckes Antwort: null Information, null Beteiligung. Warum, so eine Frage aus dem Publikum, hat der Vizeminister 1976 nicht den Mut aufgebracht, den er 1989 bewiesen habe, als er sich für den inhaftierten Vaclav Havel eingesetzt habe? Er habe dazugelernt, so Höpcke. Ihm sei 1976 nichts geblieben, als den Konflikt zu mildern. Und schließlich — damals habe noch der kalte Krieg geherrscht.

Es war dieses Thema, daß auch der als Zeitzeuge geladene Berndt Engelmann virtuos variierte. Im Westen habe zur Zeit der Biermann- Ausbürgerung die Sympathisantenhatz ihren Höhepunkt erreicht. Die linken Schriftsteller seien als „Ratten“, „Pinscher“ und „Schmeißfliegen“ tituliert worden. Als die aus der DDR exilierten Kollegen, denen man nach Kräften geholfen habe, „zu unseren Gegnern“ gegangen seien, hätte die unselige Konfrontation ihren Lauf genommen. Diese Sicht der Dinge blieb nicht unwidersprochen. Vor allem der beredte Manfred Wilke, damals einer der Initiatoren eines Schutzkomitees, das außerhalb des Schriftstellerverbandes für die verhafteten DDR-Kollegen agitierte, warf der Verbandsführung vor, die demokratische Opposition nach Kräften behindert zu haben. Wilke zitierte den damaligen Vorsitzenden der IG Druck und Papier, Leonard Mahlein, der, um Hilfe für die Gefangenen ersucht, geantwortet haben soll: „Wir unterstützen keine fünfte Kolonne in den Ländern des Sozialismus.“ Darauf Engelmann: „Verleumden Sie nicht das Andenken dieses großen Gewerkschafters.“

Angesichts solchen Loyalitätsdrucks hatten es selbstkritische, nachdenkliche Stimmen an diesem Abend schwer. Zu ihnen zählte vor allem Peter O. Chotjewitz, der nachzeichnete, wie der Einsatz des VS für die Menschenrechte von der ständigen Besorgnis konterkariert wurde, „kein Wasser auf die Mühlen der Reaktion zu leiten“. Vor allem seinem Einfühlungsvermögen war es zu danken, daß nach der Veranstaltung nicht alle Besucher das Unternehmen „Geschichtskommission“ für von vornherein gescheitert erklärten.