AKW Lingen vor Gericht

■ Verfahrensfehler bei Genehmigung? / Durch EG-Recht darf Niederländer klagen

Mit der Frage, ob bei Erteilung der ersten Teilgenehmigung für das Atomkraftwerk Emsland in Lingen an der Ems vor zehn Jahren Verfahrensfehler begangen und eine hinreichende Vorsorge gegen menschliches Versagen getroffen wurden, muß sich seit Montag der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg befassen. Kläger ist ein 45 Jahre alter Niederländer aus dem zwanzig Kilometer entfernten Lattrop, der leitender Beamter in der Gesundheitsfürsorge und Bürgermeister in der grenznahen Gemeinde Denekamp ist. Der Mann, der noch in der ersten Gerichtsinstanz vor dem Verwaltungsgericht in Osnabrück wegen nicht vorliegender Klagebefugnis als Ausländer unterlag, profitiert jetzt in der zweiten Instanz als erster in Niedersachsen von der vom Bundesverwaltungsgericht eingeläuteten Wende angesichts kommenden EG-Rechts: die Berliner Richter hoben das Osnabrücker Urteil wegen des Verfahrensfehlers auf, daß der Holländer nicht zum Zuge kam. Wann der Atomsenat des OVG Lüneburg entscheidet, ist noch offen.

Am ersten der beiden angesetzten Verhandlungstage drehte sich die juristische Diskussion im wesentlichen um die Frage, wie weit im vorliegenden Fall das Verwaltungsverfahrensgesetz greift: danach führen bestimmte Fehler nicht zur Aufhebung einer einmal erteilten Genehmigung, wenn in der Sache nicht anders entschieden werden kann. Der Kläger, Coenraad Cornelius H., sollte nach den Vorstellungen des vor zehn Jahren noch zuständigen niedersächsischen Sozialministeriums als Genehmigungsbehörde in dem Öffentlichkeits-Beteiligungsverfahren nur Zaungast, nicht aber gleichberechtigter Einwender sein. „Dabei liegt es in der Natur der Sache, daß von Atomkraftwerken ausgehende Gefahren nicht an Staatsgrenzen Halt machen“, stellte am Montag der Vorsitzende des Atomsenats, Dieter Czajka, fest. Das Kernkraftwerk Emsland bekam schließlich im März 1988 seine endgültige Betriebsgenehmigung.

In seiner siebzigseitigen Berufungsbegründung bemängelt der Niederländer, daß die Anlagetechnik unvollkommen konstruiert sei, daß neuere Forschungsergebnisse über ein mögliches Versagen der Schutzumhüllungen der Reaktoren nicht berücksichtigt wurden, daß es keine Sicherheit gegen Flugzeugabstürze gebe und daß die Entsorgungsfrage völlig ungelöst sei. dpa