Räuber und Gendarm

■ Ein Gespräch zwischen George Tabori, István Eörsi und Thomas Langhoff im Hebbel-Theater

Wie man weiß, sprechen alte Herren mit sich selbst.« Um solchen senilen Zwiegesprächen zuvorzukommen hat George Tabori, der ungarische Dramatiker und Regisseur, »einiges an Schreien und Flüstern für den nicht zu normalen Leser abgesondert«, um die »Spinnweben« aus seinem Hirn zu vertreiben und die Richtigkeit seiner Hand- und Fußnoten zu überprüfen. So sagt es Tabori in den Betrachtungen über das Feigenblatt, seinem 1991 erschienenen Handbuch für Verliebte und Verrückte.

Tabori ist ein Verliebter, ein leidenschaftlich gern Verrückter. Während der »Literarischen Begegnungen Budapest/Berlin« hat er sich mit seinen Freunden Thomas Langhoff und István Eörsi auf der Bühne des Hebbel-Theaters unterhalten. Eigentlich sollte es eine kleine Lesung aus Werken von Tabori und Eörsi werden, aber die Gäste fieberten vor allem dem echten, dem Tabori aus Fleisch und Blut entgegen.

Zunächst präsentiert sich der in Gestalt eines fünfjährigen Lausejungen, der mit seinem älteren Bruder am Gellertberg in Budapest Revolution spielt. Die Geschichte heißt Räuber und Gendarm, und Langhoff liest sie den Gästen mit Hingabe vor: 1919, in der Dämmerung, erschießen die Jungs den fetten Hugo, der — mit Papierkrone und Zepter bestochen — den Zaren spielt. Dann stürmen sie einen »zahnförmigen Felsen«, ihren Winterpalast. Tabori spielt Trotzki, obwohl er eigentlich niemand lieber als Stalin sein will, der Mann, der mit »seiner verkümmerten Hand und den wunderschönen georgischen Augen die Postkutsche ausraubte, um den Armen zu helfen.« Anderentags werden die Jungen von der Politischen Polizei Ungarns verhört und verraten ihren revolutionären Akt; Taboris Vater wird daraufhin verhaftet. Man schlägt ihm die Schneidezähne aus.

Diese wahre Kindheitserinnerung zeigt für Tabori das Spiel von Hoffnung und Horror und neuer Hoffnung trotz des Terrors. Erwachsene, die sich jagen, mal als Räuber, mal als Gendarm, sind Taboris Thema — vor allem, wenn Räuber sich, wie Stalin, als Gendarmen entpuppen und so »die Hoffnung zum Horror machen bis der Berg in die gleichgültige Luft fliegt.«

Ruhig sitzt der 78jährige Tabori da, die Beine grazil übereinandergeschlagen, Langhoff und Eörsi nur aus den Augenwinkeln wahrnehmend. Und so, als säßen keine Opfer, keine Täter des Stasi-Terrors in den Rängen, so, als wäre es ein netter Samstagabendplausch, fängt Tabori an zu erzählen, von seine Erfahrungen mit »seiner Akte«. Dem nationalsozialistischen Terror mit Müh' und Not entkommen, hat Tabori nämlich 1947 immense Schwierigkeiten, von England nach Amerika einzuwandern. Das englische FBI legt Notizen über den unbequemen Linken an. Glücklich in Amerika bringen ihn dann McCarthy und dessen Kommunistenhatz in die Bredouille. Immer geht es darum, »wie man einen Menschen moralisch isoliert, wie man ihm das Rückgrat bricht«, sagt Tabori. Wie soll er sich verhalten? »Man könnte die Aussage verweigern, man könnte heroisch sagen, daß man dagegen ist — oder aber, man versucht es mit einer List.« Tabori spielt dem Einwanderungsbüro den »englischen Scheich« vor. In bestem Oxfordenglisch verkündet er, von nichts eine Ahnung zu haben. Der Beamte läßt sich nicht lumpen. Er schleppt Taboris Akte an. Der Vorwurf lautet, der Autor habe 1947 den Stockholmer Friedensappell unterschrieben — wie 300.000 mit ihm — und somit eine kommunistische Aktion unterstützt. Weil Tabori ein Schreiberling ist, geht die Sache glimpflich aus. Tabori kann einreisen, aber er muß versprechen, fortan »keine Spielchen mehr zu spielen und brav zu bekennen: Ja, ich habe einmal den Stockholmer Appell unterschrieben...«.

Wann immer Tabori seine Akte erwähnt, hält er sie — als imaginären Gegenstand — an seine Seite. Je mehr er erzählt, desto größer gerät ihm die Akte, desto absurder erscheint sie den Zuhörern. Es ist wahr, bei allem Ernst entbehren diese akribisch verfaßten Machwerke nicht nur der »literarischen Qualität«. Sie sind dilettantisch durch und durch, aussagekräftig nur für das System, das sie verfassen läßt. George Tabori will nichts verharmlosen. Aber er will den Aktenschreibern und -schiebern, den Denunzianten nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als der Wonne, zu leben und kreativ zu sein. Heiter entläßt Tabori seine Zuhörer und tröstet den eilfertigen Langhoff damit, irgendwann nach Berlin zum Theater zurückzukehren — wie man weiß, sprechen alte Herren auch gerne von sich selbst. Mirjam Schaub