Trauriger Clown

■ Ozzy Osbourne — ein schlappes Idol mit mittelmäßiger Show

Heavy Metal ist die letzte Bastion im Glaubenskampf um die ewigen Werte des Rock 'n' Roll. Schnell muß er sein. Jetzt hat er sein Domizil in der Neuen Welt gefunden. Manchmal werden dort auch Opfer gebracht, werden kleine Fische wie die arbeitseifrige Vorgruppe Love/Hate der Meute zum Fraß vorgeworfen. Denn gegen das englische Urgestein aus dem Hause Osbourne hatten die Kalifornier nichts auszurichten vermocht. Wütend waren sie zwar, aber der Herr hinter den Mischpulten ließ sie ganz in der Tradition des genretypischen Einpeitschens schrill, zahm und zugemacht klingen. Vom Publikum wäre sowieso keine Unterstützung zu erwarten gewesen. In der ersten Reihe standen die eingefleischten Ozzy-Fans stramm und reckten empört ihre Eintrittskarten in die Höhe, als Love/Hate die Bühne betrat. Dafür hatten sie schließlich keine 44 Mark bezahlt. Die Band gab flugs dem Mehrheitswillen nach und spielte lediglich so lange, wie es in den Verträgen vereinbart worden war. Kein Gruß, kein Kuß, vielleicht ein Wiedersehen.

Doch der Sound wurde keinen Deut besser, als Ozzy leibhaftig vor die Massen trat und sich von einer Sturmwelle aus hysterischer Schuljungenvorfreude und ergriffenem Erinnerungsgejohle empfangen und feiern ließ: Dumpf wie ein Chinaböller im Pissoir. Und dort drückte sich auch schon bald ein Großteil der angereisten Mannen herum.

Während Frauen nämlich vernünftig genug sind, den Getränkestand nicht mit einem Refugium der geknechteten Seele zu verwechseln, bleiben Männer dort allzubald in kleineren Gruppen kleben: zwei Bier, austreten, zwei Bier...

In der Tat eine seltsame Gesellschaft vor dem stillen Ort der Herren. In Ermangelung einer ausreichenden Anzahl Becken konnte mann entweder kollektiv pinkeln (was aus Angst vor ansteckender Feindberührung ausblieb) oder Schlange stehen, das dafür dann aber auch gleich im vierfachen Dutzend. Bei prallvoller Blase entwickelten sich Gespräche über Ozzy und die Waldbühne, den nächsten Sommer und den zukünftigen Ozzy, alles vom schlichten Esprit fröhlicher Trinker erfüllt, denen nur das Bier langsam ein wenig den Geist benebelt. Jünglingen, die noch nicht des standhaften Trinkens mächtig waren, wurde von geübten Althasen unter die Arme gegriffen, um sie in die Halle zurückzustemmen. Dort überließ man sie meist wieder ihrem Schicksal.

Das Schicksal sollte eigentlich Ozzy Osbourne verkörpern — in Form von hart hämmerndem Rock. Aber es hätte ebensogut ein Laienmime zu den gängigen Satanismen aufrufen können. Schon bald ist klar: Heute hat Ozzy nicht einmal den Blues. Er ist einfach unpäßlich. Nicht Leiche genug und zur lebenden Legende zu nahbar. Es ist, als wolle er nur dieses eine Mal noch gefeiert werden. Bereits nach zehn Minuten versinkt die motiviert angetretene Begleitband in kalkulierter Schlappheit, und Ozzy darf ein bißchen posen oder Wassereimer über Lockenköpfe ausschütten. Der Clown zeigt seine beste Nummer, aber eine sehr sehr traurige. Bloß ein Schatten des Metalidols und einstigen Black-Sabbath-Sängers schleppt sich ausgelaugt über die Bühne, den anderen Osbourne müssen sich seine Fans mit eigener Anstrengung herbeimemorieren.

Ozzy Osbournes Gesang war immer eiskalt den Rücken heruntergelaufen. Heute liegt sein Schrei ungefähr eine große Quint unterhalb der Tonhöhe, in der ein normaler Metaller keift. Deswegen kann man Ozzy immerhin zuhören. Außerdem hat es zur Folge, daß die darüber hinwegrasenden Gitarrenläufe in einer angenehm verschmierten Lage verbleiben, in der Musik noch mit Motorengeräuschen vergleichbar bleibt. Die Solisten bei Skorpions oder Judas Priest müssen statt dessen wie Kolibris zirpen, um dem Kopfstimmenfalsett ihrer »Screamer« gerecht zu werden.

Ozzy Osbournes Musik hat Masse, physische Qualität. Das unterscheidet den Adel der dunklen Gefühle vom Jahrmarktszauber hochtoupierter Metalmassenware. Doch auch der Meister konnte tief stürzen, wenn die Industriegötter es wollten. Zur vorvorletzten LP ließen sie ihn im Video mit 130 Schweinen zu christlich-sodomitischen Freistilübungen antreten, und das, obwohl weder er noch die ängstlichen Ferkel vor der Kamera Gefühle füreinander aufbringen konnten. Vielleicht lag das daran, daß Osbourne damals bereits zum dreiundvierzigsten Mal auf Entzug war. In einem Dokumentarfilmbeitrag zitterte er so stark, daß ihm bei einer Einstellung am Frühstückstisch beinahe die gußeiserne Pfanne aus den Händen geglitten wäre. Für die neue Tour haben ihn Therapeuten, Mediziner und Manager ein weiteres Mal auf Vordermann gebracht.

Auf der Bühne hopst er auf und ab, flattert hier wie eine Ente, brüllt dort wie ein Löwe und singt über die War Pigs wie zwanzig Jahre zuvor. Diesen einen Song erkennt man, doch sonst spielt Ozzy Osbourne ein erinnerungsloses Gemisch aus mindestens 4.700 anderen Metalplatten herunter. Bei No More Tears übertönt das Playback den Brei auf der Bühne. Irgendwann ist Schluß.

Die hartgesottenen Fans werden sich demnächst in der Waldbühne wiedertreffen. Dann spielen Guns'n'Roses, und Ozzy ist vergessen. Harald Fricke