Säugling aus Verzweiflung getötet

■ Mutter, die ihr Neugeborenes getötet hatte, zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt/ Der Kindesvater hatte sich nach Schwängerung der Frau abgesetzt/ Richter: »Im Knast fehl am Platz«

Berlin. Die Tat kam nur ans Tageslicht, weil zwei Sozialarbeiterinnen durch eine Zeitungsmeldung stutzig geworden waren: In Höhenschönhausen sei ein totes neugeborenes Kind in einem Müllcontainer gefunden worden. Die beiden Sozialarbeiterinnen beschlich der Verdacht, daß das tote Kind der spurlos verschwundene Säugling der 29jährigen Reinigungsfrau Ute Sch. sei, und erstatteten Strafanzeige. Ute Sch. legte bei ihrer Vernehmung sofort ein Geständnis ab. Wenig später stellte sich heraus, daß der Leichnam ein ganz anderes Kind war. Ute Sch.s totes Kind, das sie gleichfalls in einen Müllcontainer in Treptow gelegt hatte, wurde nie gefunden.

Gestern wurde Ute Sch. von der 29. Strafkammer des Landgerichts wegen Kindstötung zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die Strafe wurde auf vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt. »Die Tat«, so der Vorsitzende Richter Hüller, »war ein Akt der absoluten Verzweiflung und geschah aus völliger Hilflosigkeit.« Die Angeklagte habe weder ein noch aus gewußt, als sie ihren Säugling in der Nacht des 30. Januar 1991 kurz nach der Geburt tötete. Ute Sch., die während der gesamten Verhandlung völlig in sich zusammengesunken auf der Anklagebank gesessen und den Blick kaum vom Boden gelöst hatte, nahm das Urteil mit regloser Miene hin.

Sie war bereits Mutter eines einjährigen Mädchens, als sie ihr zweites Kind zur Welt brachte. Der Vater beider Kinder ist der Gebäudereiniger Frank D. Der Mann hatte Ute Sch. schon einige Monate zuvor verlassen, als sie im September 1989 feststellte, daß sie mit dem ersten Kind im sechsten Monat schwanger war. Sie zog die Tochter Daniela mit Unterstützung ihrer Eltern auf, die ihr aber androhten, sie bei einer erneuten Schwangerschaft aus der Familie zu verstoßen. Im Mai 1990, Daniela war erst wenige Monate alt, traf Ute Sch. Frank D. zufällig auf der Straße und verbrachte mit ihm die Nacht. Im Sommer stellte sie fest, daß sie schon wieder schwanger war. Sämtliche Versuche, den Kindesvater ausfindig zu machen, scheiterten. Ute Sch. traute sich nicht, zum Arzt zu gehen, und hielt die Schwangerschaft auch vor den Eltern, ihrer Schwester und den Sozialarbeiterinnen im Hort ihrer Tochter geheim.

Am 30. Januar 1991 erzählte sie der Leiterin des Hortes, daß sie sich nicht wohl fühle und bat darum, die Tochter für die Nacht dort zu behalten. Zu Hause setzten die Wehen ein. Vor Gericht berichtete Ute Sch. gestern mit tonloser Stimme, sie habe das Kind im dunklen Flur ihrer Wohnung ganz allein zur Welt gebracht. »Ich konnte es nicht anfassen und habe es einfach liegengelassen.« Später habe sie den Säugling in einen Kopfkissenbezug und eine braune Decke eingewickelt und in eine Plastikwanne gelegt. Die Zipfel der Decke habe sie dem Kind zweimal über dem Gesicht zusammengewickelt. »Damit es keine Luft bekommt?« fragte der Vorsitzende Richter Hüller und bekam zur Antwort ein leises Kopfnicken. Danach, so Ute Sch., habe sie sich für ein paar Stunden hingelegt, habe aber nicht schlafen können. Am frühen Morgen sei das Kind tot gewesen. Sie habe es in eine Plastiktüte gepackt und zu einem entfernten Müllcontainer getragen.

Die Sozialarbeiterinnen des Hortes und der Mütterberatung versicherten als Zeuginnen vor Gericht, daß Ute Sch. Daniela eine sehr liebevolle, fürsorgliche Mutter sei. Sie sei aber stets sehr hilfebedürftig gewesen — »sie stand ganz schön allein da«. Wer Danielas Vater sei, habe sie nie angegeben. Die gerichtspsychiatrische Sachverständige beschrieb die Angeklagte als intellektuell minderbegabte Frau. Ute Sch. wirke emotional stabil, sei aber tatsächlich depressiv und voller Trauer und Einsamkeit. Daß Frank D. die Vaterschaft Danielas geleugnet und sich einfach abgesetzt habe, bereite ihr große Schamgefühle.

Auf die Frage von Richter Hüller, wie sie heute über die Tat denke, sagte Ute Sch. gestern: »Das war für das Kind das beste.« Die Antwort behagte dem Richter zwar überhaupt nicht, »aber« so Hüller, »wir wollen das der Angeklagten nicht übelnehmen. Im Knast wäre sie völlig fehl am Platze. Wir wünschen ihr alles Gute.« Plutonia Plarre