Babymörder und Urinpantscher

Eine thüringisch-hessische Tagung zur Moral in den Massenmedien  ■ Von Karl-Heinz Stamm

Der 'Spiegel‘ hatte gerade über die angebliche Tötung von Frühgeburten in der DDR berichtet, Katrin Krabbes Urinproben wurden von allen Seiten beleuchtet und „Sekretär“ und „Notar“ gingen wieder mal um. Da beschäftigte sich eine Veranstaltung in der Neufünfländerstadt Erfurt mit der „neuen Moral“ der Massenmedien — oder besser mit der Unmoral, die sich gegenwärtig nicht nur via 'Super‘ in den neuen Bundesländern breitmacht. So konstatierte Heiko Gebhardt vom 'Stern‘ in bezug auf die Stasi-Enthüllungen habe das Konkurrenzmagazin 'Spiegel‘ „jede humane Orientierung“ verloren. Daß öffentliche Meinung auch töten kann, das hatte der Freitod des PDS-Abgeordnete Riese gezeigt.

Die Stasihysterie, sie wird von vielen als Hetzkampagne begriffen gegen die Ostdeutschen begriffen. „Wenn man diese Presse liest“, so der Erfurter Pfarrer Hans-Jörg Dost, „sieht es so aus, als wären wir ein Volk von Babymördern, Denunzianten und Urinpantschern.“ Und so war denn auch das zweitägige Gesprächsforum, zu der die hessische Landesanstalt für Privaten Rundfunk geladen hatte, vor allem durch Trauer und Wut über den Sensations- und „Enthüllungs“-Journalismus gekennzeichnet.

Zwar wird auch in den neuen Bundesländern eine Medienstruktur ganz nach West-Vorbild aufgebaut, doch ist, das zeigt nicht nur das eingangs erwähnte Beispiel, manches anders. So berichtete der stellvertretende Chefredakteur der 'Ostthüringer Nachrichten‘, Volkmar Fischer, vom Redaktionsstatut seiner Zeitung, das festlegt, daß der Chefredakteur von den Redakteuren gewählt wird — was vor allem bei den Westlern auf ungläubiges Erstaunen stieß. Die Mitarbeiter der ehemaligen Bezirkszeitung hatten sich nach der Wende zusammengesetzt und nach der Devise, die Zeitung müßte denjenigen gehören, die sie machen, ihr Mitspracherecht in dem Statut fixiert. Ungläubiges Erstaunen, als Fischer berichtete, der 'WAZ‘-Konzern, der die Zeitung aufkaufte, habe die Regelung voll übernommen.

Auf große Aufmerksamkeit stieß die Frage, ob es möglich sei, eine neue Zeitung mit den alten Journalisten zu machen. Es scheint zu gehen. Zwar gibt es auch Zeitungen deren Redaktionen etwas durchmischt sind, oft aber arbeiten die ostdeutschen Tageszeitungen mit ihren alten Mitarbeitern. Der stellvertretende Chefredakteur vom 'Freien Wort‘ in Suhl brachte das Dilemma vieler Ostjournalisten auf den Begriff: Wenn es die Aufgabe der Medien ist, die Macht zu kontrollieren, dann heißt das doch hier „die Bösen kontrollieren die Guten.“ Gemeint ist damit, daß die alten „roten Socken“ von der CDU kontrolliert werden. Beim MDR haben die ehemaligen Korrespondenten des DDR-Fernsehens erst gar keine festen Anstellungen bekommen. Sie arbeiten als freie.

Zwar kamen sich die Chefredakteure diverser thüringischer Tageszeitungen über die Frage nach den handwerklichen Fähigkeiten in die Wolle — beherrscht der Ostler das Schreiben von Nachrichten oder nicht? — Konsens schien aber zu sein, daß diejenigen, die einst die Planerfüllung verkauften, sich heute nur „mit gebremstem Schaum“ an die Aufarbeitung der Vergangenheit machen sollten. Höhepunkt der zweitägigen Veranstaltung war ohne Zweifel die Gesprächsrunde mit Günter Wallraff, der durch die von 'Super‘ losgetretene Kampagne, er habe mit der Stasi zusammengearbeitet, wieder im Licht der Öffentlichkeit stand. Daß da ein Westler in die „Enthüllungs“-Hysterie mit einbezogen wurde, machte deutlich, daß von einer gesteuerten Kampagne nicht die Rede sein kann. Immerhin bescheinigte Wallraff einem Teil der Medien „Lernfähigkeit“. Daß die seriöse Presse sich an der Kampagne gegen ihn nicht beteiligte, das hat, so Wallraff, „mein Vertrauen in sie gestärkt“.

Überraschend und doch einhellig war die allseitig formulierte Krititk am Programm des Mitteldeutschen Rundfunks. Vor allem aber scheint sich auf Landesebene ein massiver Widerstand gegen die Leipziger Zentrale zu formieren. Der Fraktionsvorsitzende der thüringischen CDU, Jörg Schwäblein, meinte: „Nach dem Zentralismus aus Berlin haben wir jetzt den Zentralismus aus Leipzig.“ Olaf Stepputat von der Thüringer Landesanstalt für Privaten Rundfunk sprach gar davon, daß angesichts der Dominanz aus Leipzig die thüringische Lobby für öffentlich-rechtlichen Rundfunk jetzt auf den Privatfunk warte, um so den MDR unter Druck zu setzen.

Auch wenn man sich in der Sache oft uneins war, wurde länderübergreifend diskutiert. Zu wünschen wäre eine solche Veranstaltung auch im Großraum Berlin.