Die „Partei der Liebe“ auf dem Weg ins Parlament

In Italien bewerben sich über 300 Organisationen für die Wahlen im April — von der „Ökonomischen italienischen Bewegung“ bis zur Partei der Autofahrer/ Im Wahlkampf geht die Angst vor der Zersplitterung der Parteienlandschaft um  ■ Aus Rom Werner Raith

Ein Gespenst geht um in Italien: es heißt „Effetto pollacco“. Schläfrige Ausländer vermuteten hinter dem zu Jahresanfang geborenen Schlagwort vom „polnischen Effekt“ zunächst wieder einmal eine der bewährten wahltaktischen Kampagnen gegen den Papst, der bekanntlich aus Polen stammt und sich kräftig in die Interna auch außerhalb seines Vatikanstaates einmischt. Doch nichts davon: Was umgeht, ist die Angst vor einer Zersplitterung der italienischen Parteienlandschaft wie in Polen, wo sich die Stimmen auf mehrere Dutzend Gruppierungen verteilten, so daß keine durchsetzungskräftige Mehrheit mehr geblieben ist.

Die Angst scheint nicht unbegründet: mehr als 300 Parteien und Organisationen haben sich im Innenministerium gemeldet, um bei Deputierten- und Senatorenwahlen am 5. und 6. April Listen aufzustellen. Neben dem derzeit vertretenen guten Dutzend Altparteien oder durch Gesetze geschützte Vertreter ethnischer Minderheiten präsentieren sich Gruppen wie die „Ökonomische italienische Bewegung“, die „Partei der Liebe“, die „Bewegung der ehrenhaften, gerechten, freien und gleichen Bürger“. Auch die Autofahrer steigen mit einer eigenen Liste in die Arena, ebenso die Pensionäre, dazu kommen Exotika wie die „Liste des Giovanni von der Schwarzen Flagge“.

Die Liste wird sich auf den Wahlzetteln natürlich erheblich reduzieren. Doch zwischen dreißig und vierzig Vorschläge werden bleiben, und viele davon haben Aussicht, die vom italienischen Wahlgesetz vorgesehene Mini-Hürde von gut einem Prozent zu überspringen: Das ergibt bereits sieben Abgeordnete und drei Senatoren — und stellt bei einer numerisch knappen Koalition einen ernsthaften Mehrheitsbeschaffer dar. Daß künftige Koalitionen nur knapp regieren werden, gilt bei allen Wahlforschern als ausgemacht, vor allem weil den etablierten Parteien Gefahr von sogenannten „Bewegungen“ droht. Vom Süden her hat sich die „Rete“ des ehemaligen antimafiosen Bürgermeisters Leoluca Orlando aus Palermo in Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative „Società civile“ des Soziologieprofessors Nando dalla Chiesa aus Mailand mit seinem Programm für eine administrative Transparenz über das ganze Land ausgebreitet. Im Norden drohen massive Einbrüche durch die „Ligen“, die gegen den traditionellen Zentralstaat kämpfen und mit teilweise rassistischen Parolen arbeiten; sie haben bei Regionalwahlen bereits 25 und mehr Prozent erreicht. Darüber hinaus präsentieren sich einige in den vergangenen Jahren mit Volksabstimmungen erfolgreiche überparteiliche Gruppierungen.

Neue Gruppen bringen Wahlkampf in Schwung

Gemeinsam ist all den Neuen, daß sie sich auf politische Teilaspekte konzentrieren — doch gerade darin kommen sie dem Unmut der Bürger entgegen, die nach Meinungsumfragen das Gesamtsystem Italiens nicht ablehnen, aber in Einzelfragen völlig gegen das derzeitige Parteien- und Regierungssystem sind. Wenn der Wahlkampf endlich auf Touren kommt, dann nur durch diese Gruppen.

Die derzeitigen Regierungsparteien haben dem nur wenig entgegenzusetzen: Christdemokraten suchen ihre Anhänger vor allem mit Familienfragen zu mobilisieren. Sozialisten nehmen Rekurs auf die dreieinhalb Jahre währende Regierung ihres Vorsitzenden Bettino Craxi (1983-87) und versuchen die damals von der Weltkonjunktur begünstige Lage in Italien als Werk ihres Chefs hinzustellen; beide Parteien können nach Umfragen ihre bisherigen 34 beziehungsweise 14 Prozent nur schwer halten.

Liberale und Sozialdemokraten, beide bei circa zwei Prozent, werden ebenfalls kaum zulegen. In der Opposition ist die beim letzten Mal noch 27 Prozent starke Kommunistische Partei in zwei Gruppierungen zerfallen, „Partito democratico della sinistra“ (PDS) und „Rifondazione comunista“, die böse zerstritten sind und derzeit zusammen kaum zwanzig Prozent erreichen. Die Neofaschisten glauben sich nach Jahren des Niedergangs alleine schon deshalb im Aufwind, weil sie vorbehaltslos alle Angriffe des derzeitigen machthungrigen Staatspräsidenten Francesco Cossiga unterstützen.

Die Grünen, die 1987 zum ersten Mal ins Parlament kamen und ihre knapp drei Prozent durch Teile der aufgelösten Radikalen Partei auf etwa fünf Prozent aufgestockt haben, müssen mit einem massiven Ansehensverlust kämpfen: mit der Fusion ist der Charakter einer breiten Bewegung verlorengegangen, der Rest ist zu einer ganz normalen Partei geworden — mehr dem üblichen Machtspiel denn der Ökologie zugetan.

In Ermangelung zugkräftiger Programmpunkte verfielen die bisherigen Parlamentsparteien zunächst auf eine bewährte Methode: die Bewältigung der Vergangenheit — die der anderen. Mal tauchen neue Details über die Entführung und Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Aldo Moro 1978 auf und schaden den Christdemokraten, mal ein infamer Brief des 1964 verstorbenen KP-Führers Togliatti — der sich dann aber als teilweise gefälscht erweist. Dann wieder gibt es ungute Einzelheiten der Fluchthilfe hoher Katholiken für ehemalige Nazis.

Zulegen könnte unter solchen Umständen die industrienahe Republikanische Partei (PRI). Sie war voriges Jahr aus der Regierung ausgetreten und bildet seither mit präzisen Forderungen nach einem konsolidierten Haushalt, einer entschlackten Administration und einer modernisierten Gesetzgebungsmaschinerie die eigentliche Opposition. Ihr Chef Giogrio La Malfa erweist sich als anziehend für kritische Intellektuelle. Für die PRI kandidieren der international bekannte Schauspieler Michele Placido (Allein gegen die Mafia) und der durch Palastintrigen von seinem Amt vertriebene ehemalige Chefankläger im Mafia-Prozeß, Giuseppe Ayala, die landesweit geschätzte Gynäkologin Elda Pucci, der EG-Umweltkommissar Ripa de Meana. Der Regisseur Federico Fellini, früher den Kommunisten nahe, hat für die PRI einen Zehnminuten- Videoclip gedreht, der zum Wahlkampfschlager wird.