Doppelagenten im Schalck-Imperium

Eine Sondereinheit der Stasi in Schalck-Golodkowskis Schattenreich „Kommerzielle Koordinierung“ war auf BND-Agenten, Manager und das eigene KoKo-Personal angesetzt  ■ Von Thomas Scheuer

Der Bundesnachrichtendienst hatte seine Maulwürfe im Untergrundimperium „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) des Stasi-Obristen Alexander Schalck-Golodkowski in den oberen Etagen, mitunter gar auf den Sesseln von Geschäftsführern und Vizedirektoren plaziert. Bei einigen der BND-Lieferanten handelte es sich wiederum um Stasi-Agenten, die sich nur zum Schein von den Spähern aus Pullach hatten anwerben lassen, um dann als Doppelagenten Aufschlußreiches über „Anwerbemethoden, Interessen und Instruktionen des BND“ in die Normannenstraße zu rapportieren. Einblick in das deutsch-deutsche Fingerhakeln der Geheimdienste gewähren die Unterlagen einer ganz speziellen Truppe in Erich Mielkes Stasi-Apparat: der AG BKK.

Das Kürzel steht für „Arbeitsgruppe Bereich Kommerzielle Koordinierung“. Zu Diensten stand diese 1983 gegründete MfS-Sondereinheit dem berühmt-berüchtigten KoKo- Boß Alexander Schalck-Golodkowski, den manche Medien noch heute grob verharmlosend als „Devisenbeschaffer“ der gewesenen DDR titulieren. Den Tschekisten der AG BKK oblag gemäß Mielke-Befehl 14/83 „die politisch-operative Absicherung“ der Geschäfte der KoKo- Firmen im In- und Ausland. Schließlich wirkten Schalcks Schattenunternehmen in so heiklen Branchen wie dem verdeckten Waffenhandel oder der illegalen Beschaffung von Embargogütern. Da war geheimdienstlicher Beistand gefragt; zumal Schalck seine Geschäftskanäle in den Westen ausgiebig zur Wirtschafts- und Politspionage nutzte. „Wie ein Kokon“, schilderte ein Gauck-Mitarbeiter dem Schalck-Untersuchungsausschuß in Bonn, habe die AG BKK der Stasi den eigentlichen Bereich Kommerzielle Koordinierung „umsponnen“. 106 Agenten zählte die Sondereinheit, von ihnen waren 22 Offiziere im besonderen Einsatz (OibE).

Die Aktivitäten der Schalck- Wächter schlugen sich in 1.900 Aktenordnern nieder, die unter anderem 700 Personen- und 343 Firmendossiers umfassen. Sie lagern in den Depots des Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Stasi-Akten, Joachim Gauck in Berlin. Über ihre Auswertung ist es jetzt zum Streit zwischen Gaucks Amt und dem Schalck-Ausschuß des Bundestages gekommen. Bislang mochte Gauck den Parlamentariern lediglich ein drei Ordner umfassendes Inhaltsverzeichnis mit Kurzbeschreibungen überlassen. Doch schon dieses Verzeichnis läßt das ungeheure Ausmaß der Aktivitäten der Schalckschen Schnüffel- und Spitzeltruppe ermessen.

BND-Anwerbeversuche bei KoKo-Chargen

Seine Untergrund-Geschäfte rückten den Schieberpapst Schalck-Golodkowsi naturgemäß ins Fadenkreuz der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden. Steuerämter, Zollfahndung und Bundeskriminalamt, vor allem aber Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz versuchten in die KoKo-Struktur einzusickern. Deren Abwehr wiederum war die Hauptaufgabe der Stasi-Sondereinheit AG BKK. Mit den operativen Maßnahmen „Viper“ und „Prüfer“ versuchten BKK-Agenten beispielsweise Westberliner Steuer- und Zollfahnder anzubaggern, die wegen illegaler Geschäfte gegen KoKo-Ableger im Westen ermittelten. Die BKK-Agenten verfaßten zahlreiche Berichte über „Maßnahmen von BfV, BKA und BND“. In einem Band werden „BND-Anwerbeversuche“ bei einem halben Dutzend höherer KoKo-Chargen erfaßt und dokumentiert. Besonders intensiv widmeten sich die BKK-Aufpasser Angestellten von KoKo-Firmen mit vermuteten oder tatsächlichen Kontakten zu westlichen Geheimdiensten. Besonders scharf beäugt wurden die Reisekader der Schalck- Firma Asimex. Schließlich hatte deren früherer Chef jahrelang für Pullach spioniert, bevor er sich in den Westen absetzte. BND und BfV müssen teilweise recht erfolgreich in den Reihen des KoKo-Personals rekrutiert haben. So enthalten die Dossiers eines Herren mit dem Decknamen „Buntspecht“ ausführliche Beschreibungen über die Kontakte eines von ihm observierten KoKo- Händlers zu BND-Leuten, einschließlich Fotos von Geldverstecken. Die AG BKK führte eine regelrechte Kartei mit Treffpunkten und Kontaktpersonen des BND. Im Zusammenhang mit solchen Abwehrmaßnahmen der Schalck-Wächter wird in mindestens einem Fall ein ominöser Todesfall erwähnt. Nicht nur die westdeutschen Dienste beackerten Schalcks Firmennetzwerk. Ein französischer Geschäftsmann etwa geriet bei den BKK-Aufsehern unter „Verdacht der Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst Israels“. Ein amerikanischer Waffenhändler erhielt im Außenhandelsministerium „Haus- und Handelsverbot“ wegen vermuteter CIA-Anbindung.

Mit den reichsten Waffenhändlern der Welt

Besonders aktiv wurden Schalcks Schnüffler des Nächtens: Da stieg etwa der BKK-Agent „Unke“ zwecks „konspirativer Durchsuchung“ in das Büro ausländischer Firmen im Ostberliner Internationalen Handelszentrum (IHZ) ein. Seine Kollegen spähten derweil durchs Video-Schlüsselloch die Bettgewohnheiten westdeutscher Industriekapitäne aus, durchwühlten deren Aktentaschen oder widmeten sich der „inoffiziellen Sicherstellung“ von Notizbüchern und Terminkalendern. Neben feindlichen Geheimdiensten waren westliche Firmen und Manager bevorzugte Zielgruppe der „Überwachungsmaßnahmen“ der AG BKK. Nahezu lückenlos wurden die rund 110 Vertreterbüros ausländischer Firmen im Internationalen Handelszentrum (IHZ), gleich neben dem Bahnhof Friedrichstraße gelegen, überwacht. Die „operativen Maßnahmen“ gegen den britischen Chemie-Multi etwa liefen unter dem Titel „Kessel“, diejenigen gegen den schwedischen Möbelkonzern Ikea unter dem Stichwort „Holz“.

„Lieferanten und Beschaffungslinien von Embargowaren“, „Kontaktaufnahme mit der Firma „XY“ zur Beschaffung von Embargowaren“ oder „Angebot der Firma XY, Unterlagen über den Militärflughafen Bitburg zu verkaufen“ — solche Kurzbeschreibungen der BKK-Dossiers über westliche Firmen lassen noch manche Enthüllung über das Gebaren manch honoriger Westfirma im ost-westlichen Handelsalltag erwarten. Die Akten enthalten zahlreiche Hinweise auf Firmen, die illegal Embargowaren, etwa superschnelle VAX-Computer oder rüstungstaugliche Werkzeugmaschinen, in die DDR lieferten. Dünkte doch Schalcks BKK-Spitzeln hier die Gefahr besonders groß, daß sich westliche Agenten einschlichen.

Dokumentiert sind auch Schalcks verdeckte Aktivitäten im internationalen Waffenhandel, etwa die Verbindungen seiner Firma Imes „zu den reichsten Waffenhändlern der Welt“, wie es in einer Kurzbeschreibung heißt. Bei einem der umfangreichen Vorgänge ist für Insider trotz des geschwärzte Namens unschwer zu erkennen, daß es sich bei Schalcks Kunde um den saudischen Kriegsmaterialgroßhändler Adnan Kashoggi gehandelt haben muß. Zu einigen Firmen aus dem Nahen Osten ist vermerkt, es handle sich um Tarnfirmen der PLO. Dazwischen immer wieder Stasi-typisch Banales, beispielsweise die „Kaffeeliste des Zimmers 213 im MfS“.

Prominent in den BKK-Büchern vertreten sind erwartungsgemäß die bayerischen Metzger-Konzerne März und Moksel, die im Zusammenhang mit der Liaison Schalck- Strauß ohnehin bereits mächtig in die Schlagzeilen geraten sind. Ein BKK- Ordner enthält beispielsweise „Informationen über Praktiken zur Verschleierung der Herkunftsländer importierter Fleischwaren“ der Firma Moksel. Auf gut deutsch: Hier werden Umgehungsgeschäfte des Schlachtviehgroßhändlers beschrieben. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Schalck-Golodkowski nach taz-Recherchen höchstpersönlich dafür sorgte, daß die Vertretung der Rosenheimer Firma März seinerzeit nicht im IHZ untergebracht wurde. Offenbar lag dem KoKo-Boß daran, daß seine Rosenheimer Spezln nicht gerade im Zentrum des BKK-Überwachungssystems logierten. Vielleicht war der Grund ja die „geplante Zusammenarbeit mit der Firma März durch Gründung von Gemeinschaftsfirmen“, so jedenfalls die Inhaltsangabe eines BKK-Bandes. BKK- Agenten bespitzelten KoKo-Geschäftspartner nicht nur in der DDR, sondern operierten — in enger Zusammenarbeit mit der HVA — auch im westlichen Ausland, meist unter der Legende von Außenhändlern. Der Agent „Peter Reimann“ (Deckname) etwa meldete 1976 Erspähtes von der „Feierstunde 100 Jahre Henkel“ nach Hause.

Streit um die Herausgabe der Akten

Um die Überlassung der BKK-Akten ist es zwischen der Gauck-Behörde und dem Schalck-Untersuchungsausschuß des Bundestages zum Konflikt gekommen. Die Parlamentarier ordnen die BKK-Aktivitäten logischerweise dem Kernbereich ihres Untersuchungsauftrages zu. Schon im vergangenen Jahr hatten sie die BKK-Akten beantragt, dann aber brav das Inkrafttreten des Stasi- Unterlagen-Gesetzes am 1. Januar 1992 abgewartet. Obwohl Gauck selbst dem Ausschuß mitgeteilt hatte, die BKK-Akten seien von den insgesamt 202 Kilometer Stasi-Akten die „vergleichsweise am besten vorsortierten Materialien“, wartet das Parlamentsgremium immer noch auf die Dokumente. Am 30. Januar mahnte der Ausschußvorsitzende Horst Eylmann (CDU) die BKK-Akten als „überfällig“ an.

Gauck hat laut Gesetz bei der Offenlegung von Stasi-Unterlagen „die überwiegenden schutzwürdigen Belange Betroffener und Dritter“ im Auge zu behalten. Da Schalcks Schnüffler bei der „operativen Bearbeitung“ westlicher Manager den Hebel nicht selten unterhalb der Gürtellinie ansetzten, bewegen sich die BKK-Aufzeichnungen streckenweise auf einem recht schmierigen Niveau. Zudem sind die Aufzeichnungen natürlich größtenteils auf illegale Weise (z.B. durch Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses) zustande gekommen. Daß einzelne Personen durch die Überstellung der BKK-Akten nicht in ihrem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt werden, wie es Paragraph 1 des Stasi-Akten-Gesetzes verlangt, sieht Gauck in einem Schreiben an den Ausschuß nur dadurch gewährleistet, daß im Einzelfall „von einer Herausgabe entsprechender Unterlagen an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß Abstand genommen wird“. Das wiederum mag der Ausschuß so generell nicht akzeptieren. Der Ausschußvorsitzende und promovierte Jurist Eylmann an Joachim Gauck: „Ich möchte (...) klarstellen, daß der Untersuchungsausschuß Anspruch auf alle den Untersuchungsgegenstand betreffenden Akten hat und es nicht hinnehmen kann, daß ihm für ihn wesentliche Daten wie Personen- und Firmennamen durch Schwärzung vorenthalten werden.“ Einige CDU- Abgeordnete haben sich nun auf den in ihren Reihen sowieso nicht sehr beliebten Gauck eingeschossen und den Konflikt hochgekocht. Im Prinzip will natürlich weder Gauck dem Ausschuß Akten vorenthalten, noch ist Eylmann auf das protokollierte Bettgeflüster schwergewichtiger Westmanager scharf. Ein Kompromiß bahnt sich an: Gaucks Behörde hat dem Ausschuß Ende Februar ein drei Ordner umfassendes Inhaltsverzeichnis der BKK-Unterlagen zugestellt. Darin sind Personennamen fast durchgängig und Firmennamen teilweise geschwärzt. Aufgrund des Verzeichnisses soll der Ausschuß nun entscheiden, welche Akten er für seine Arbeit benötigt. Dann soll im Einzelfall entschieden werden, wo was geschwärzt wird, welche Unterlagen als geheim eingestuft werden und welche ganz heiklen Dokumente möglicherweise im stillen Kämmerlein der Geheimschutzstelle nur vom Ausschußvorsitzenden stellvertretend für den Ausschuß eingesehen werden dürfen.