„Die Stunde der Kommunalpolitiker“

■ Noch stößt der Münchner SPD-Oberbürgermeister Kronawitter mit seinem Asylvorstoß gegen die eigene Partei bei bayerischen Kollegen auf Widerstand/ Doch Hintertürchen stehen schon offen

Nürnberg/Berlin (taz) — Noch steht Münchens sozialdemokratischer Oberbürgermeister Georg Kronawitter mit seiner Forderung nach einer Änderung des Asylartikels im Grundgesetz unter seinen SPD-Bürgermeisterkollegen in Bayern allein da. Kronawitter sieht zwar „die Stunde der sozialdemokratischen Kommunalpolitiker“ gekommen, doch seine Kollegen in Nürnberg, Regensburg, Fürth und Erlangen vertreten weiterhin die offizielle Parteilinie. Demnach betrachten sie eine Grundgesetzänderung nicht als Beitrag zur Lösung des Problems.

Nürnbergs SPD-OB Peter Schönlein hatte schon nach dem ersten Kronawitter-Vorstoß vor zwei Wochen deutlich gemacht, daß sein Münchner Kollege „sicher gute Gründe“ für seinen Unmut habe, aber daß man „nicht zu gleichen Schlußfolgerungen“ kommen müsse. Die Regensburger Oberbürgermeisterin Christa Meier, der Fürther Uwe Lichtenberg und der Erlanger Dietmar Hahlweg sind zwar gegen eine Grundgesetzänderung, fordern jedoch „dringend mehr Unterbringungsmöglichkeiten“ für Flüchtlinge, eine Beschleunigung der Verfahren und die „Ausschöpfung der bestehenden Rechtslage“. Hahlweg macht jedoch gleichzeitig deutlich, daß es ein Hintertürchen zur Grundgesetzänderung gibt: „Wenn dies keine spürbare Entlastung für die Städte bringt, müssen wir weitere Überlegungen anstrengen.“

Kronawitter will dies möglichst jetzt und sofort. Er lasse sich sein „Rückgrat nicht von seiner Parteizentrale verbiegen“, tönte er aus dem Münchner Rathaus und nimmt einen Krach im rot-grünen Bündnis in Kauf, um seinem Kreisverwaltungsreferenten Hans-Peter Uhl von der CSU Rückendeckung zu geben. Auf Kronawitters Betreiben hin ist Uhl als Leiter des „Stabes für außergewöhnliche Ereignisse“ zuständig für die Unterbringung der Flüchtlinge. Uhl hatte, um auf die Asylproblematik in der bayerischen Landeshauptstadt hinzuweisen, von „Asylfront“, „gespenstischen Vorgängen“ und von einer „Gefährdung des sozialen Friedens“ gesprochen.

Gegen den Vorwurf des grünen Landesvorsitzenden Gerald Häfner, er sei ein „willfähriger Helfer der menschenverachtenden Asylpolitik der Unionsparteien“, verweist Kronawitter auf seine gleichzeitigen Angriffe gegen die bayerische Staatsregierung. Diese betreibe ein „politisches Spiel“ mit dem Ziel, daß es „zuerst in einer sozialdemokratisch geführten Großstadt zum Kollaps“ bei der Unterbringung von Flüchtlingen kommen solle.

Unterdessen hat Kronawitters dissidente Asyl-Haltung Unterstützung erfahren. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Rappe erklärte am Montag im Saarländischen Rundfunk, auch er sei für eine Änderung des Grundrechts auf Asyl, „wenn die europäischen Regelungen oder Absprachen es verlangen“. Außerdem könne er dem Münchner OB nur recht geben, wenn dieser verlange, daß die Frage der Verfassungsänderung „im Verlauf dieses Jahres zu einer Entscheidung“ kommen müsse.

Die Äußerung des Abweichlers Rappe folgte einer Drohung des SPD-Bundesgeschäftsführers Karlheinz Blessing, dem gestern im Hessischen Rundfunk öffentlich der Kragen geplatzt war. Im Hinblick auf Genossen, die sich anmaßten, der Bonner Parteilinie zu widersprechen, entfuhr es ihm im Äther: „Wer ausbüxt, der kriegt auch was aufs Dach.“ Empört über die „mangelnde Disziplin von oben“ kritisierte er, daß führende SPD-Politiker mit Zugang zu den Medien immer wieder ihre abweichende Position transportierten, statt still zu schweigen. Dies führe zu einem diffusen, zerstrittenen Bild der Partei. Blessing bitter: „Da hat der Schorsch bayerisch-barock übertrieben.“

Friedhelm Farthmann wiederum, ein SPD-Bundesvorstandsmitglied mit Zugang zu den Medien, erklärt in der heute erscheinenden 'Rheinischen Post‘ (Düsseldorf) ein Spur von Verständnis für Kronawitters Vorstoß. Ihm stünden die Haare zu Berge, wenn er von Mißbrauchsfällen höre, wie sie der Münchner OB geschildert habe. Allerdings bringe eine Änderung des Grundgesetzartikels 16, wie von Kronawitter angeregt, keine Verbesserung der Situation. Bs/bg