„Ein jüdisches Grab gehört den Toten auf Ewigkeit“

In Hamburg gibt es Streit zwischen Juden aus aller Welt und Investoren, die auf einem von den Nazis eingeebneten Friedhof ein neues Einkaufszentrum bauen wollen/ 1952 stimmte jüdische Gemeinde dem Geländeverkauf zu  ■ Aus Hamburg Sannah Koch

Nicht nur Hamburger Politikern und den Investoren bereitet der Neubau eines Einkaufszentrums im Hamburger Stadtteil Ottensen Kopfzerbrechen: Auch amerikanische Kongreßabgeordnete, der stellvertretende US-Außenminister Lawrence Eagleburger und Bundeskanzler Helmut Kohl befassen sich inzwischen mit dem rund 300 Millionen Mark teuren Kaufhauskomplex.

Auf dessen Baugrund befinden sich Reste eines alten jüdischen Friedhofes: Dieser entwickelte sich in den letzten Monaten zum Pilgerort jüdischer Delegationen aus aller Welt. Rund 150 orthodoxe Juden aus England, Amsterdam, Belgien und Israel besetzten gestern morgen für einige Stunden die Baufahrzeuge auf dem Gelände, um dort zu beten. „Dies ist kein ehemaliger Friedhof — ein jüdisches Grab gehört den Toten auf Ewigkeit“, erklärte der Zürcher Sprecher der Delegation, Berysz Rosenberg. „Wir werden nicht hinnehmen, daß hier jüdische Gräber geschändet werden.“ Noch radikaler formulierte der Präsident der Gesellschaft zum Erhalt jüdischer Friedhöfe „Athra Kadisha“, Rabbi Zvi Kestenbaum. „Wir werden eher sterben, als die Zerstörung dieses Friedhofes zu erlauben“, ließ er aus New York verlauten.

Auf dem etwa 400 Jahre alten Friedhof waren 1934 die letzten Toten beerdigt worden. Die Nationalsozialisten zerstörten die Grabsteine und bauten auf dem Gelände einen Luftschutzbunker. Nach dem Krieg ging das Grundstück in den Besitz der jüdischen Gemeinde zurück, mit deren Zustimmung der Baugrund 1952 von der Vermögensverwaltung „Jewis Trust Corporation“ verkauft wurde. „Hertie“ errichtete ein Kaufhaus. Die Gebeine und Grabsteine waren zuvor in einen anderen jüdischen Friedhof überführt worden. „Es war falsch, das Grundstück zu verkaufen“, gibt heute der Vorsitzende der jüdischen Gemeinschaft in Hamburg, Heinz Jaeckel, zu. Auf die Rechtslage verweist der Hamburger Senat: Das Grundstück sei im Privatbesitz, und der Senat habe „keine rechtlichen Möglichkeiten zu intervenieren“, so die offizielle Stellungnahme.

Weltweite Proteste kündigten jedoch die ausländischen jüdischen Gemeinden an. Als ersten Erfolg verbuchen sie einen Brief von 34 amerikanischen Kongreßabgeordneten an Bundeskanzler Kohl: Sie forderten ihn auf, den Neubau zu stoppen. Heinz Jaeckel hofft jedoch auf einen Kompromiß: „Vielleicht kann man das Einkaufszentrum bauen und das Friedhofsgelände dabei umgehen.“ Für einen Rückkauf fehlte ihnen das Geld. Der Geschäftsführer der Investorengruppe, Peter Voß, hielt sich bedeckt. Auf die Frage, ob das Bauvorhaben nun gefährdet sei, mochte er sich nur zu einer knappen Äußerung durchringen: „Wir warten die Proteste ab.“