Funkenloses Mariechen

■ Nina Hagen war mit ihrer „Street Party“ im Astoria / Fliegende Perückenwechsel mit Gesang

Wenn seriöse Mittelklassefrauen auf zwei Fingern pfeifen, ist Nina Hagen in der Stadt. Aber auch kleine Mädchen und besoffene Jungs schauen zwischen New Kids on the Block und Hape Kerkeling gerne mal vorbei. Da kann auch ich nicht hintansteh'n, sondern will nach vorne, und manchem Biologielehrer geht es ebenso.

Und so finden sich an einem Rosenmontag abend lauter strikte Wesensfremde auf ein und derselben Treppe im Astoria zusammen und harren auf ihre einzige Verbindung: Nina. Warum? Wegen ihrer anarcho-konzertanten Dröhnung mit bißchen was zum Mitzappeln auch für Steiflinger? Wegen ihres ariösen Klamauks? Vor allem wohl wegen ihrer Stimmgewalt zwischen Tarzan und Jane und Anna Moffo — ach, wie sie lianengleich von hoch nach tief schwingt, von allen guten Geschmacksgeistern verlassen! Das macht ihr keine nach, wir lieben sie, wir lieben sie. Und hoffen auf ein bißchen infantil- esoterisches Gequatsche mit Kostümzwang.

Aber was war das? Da schlenkerten und schleierten eine Handvoll Perücken und Umhänge über die Bühne; und da zappelte auch was und legte sich auch mal hin zu was Langsamem. Und drunter unter den flammenden Perücken da sang es wohl auch laut rauf und runter — aber es waren halt die neuen Songs von der neuen Platte mit Namen „Street“. Und diese neue Nina ist eine laue Disco- Miezen-Nina: mit etwas Schrill und Trill, aber ohne Herz und Schmerz. Für die gruselige Schepper-Akustik kann sie ja man nichts, aber von ihrer sonst so differenzierten Volltönung war nicht viel zu hören.

Ach, sie gab durchaus auch ihr und unser altes „New York, New York“; und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n“ hat sie einmal kurz angesungen — da blinkte und blitzte sie wieder, die Gossenopern-Röhre, die komische Zarah-Göre. Natürlich ist auch unter ihren neuen Nümmerchen das ein oder andere Hübsche, aber es geht uns nicht mehr ins Gedächtnis oder unter die Gänsehaut. Trotzdem geht Nina Hagen immer, sagen die Plattenverkäufer. Vielleicht liegt's an den Perücken. Nach mäßigem, aber resolutem Jubel drei Zugaben. Veritablen Grund zur Freude hat vor allem der Ritterhuder Waldthausen-Verlag, auf dessen Aids-Buch Nina innerhalb ihres Kosmo-Gebrabbels noch hinwies.

Möge sie mit ihrem rosa Kiddy-Car in einen Himmel ihrer Wahl fahren, dort in sich gehen und dann von mir aus wiedergeboren werden. Vielleicht als frühe Nina? Claudia Kohlhase