Rhapsody in Pink

■ »Damals in Brooklyn« von Neil Simon in der »Komödie«

Seit über zwanzig Jahren schreibt Neil Simon für den Broadway, Kino und Fernsehen. Seine Komödien lieferten den Stoff für einige Filmklassiker: Ein seltsames Paar zum Beispiel, mit »Oscar, der Schlampe« (Jack Klugman) und »Felix«, seinem ordnungsfanatischen Mitbewohner (Tony Randall). Oder Barfuß im Park mit Robert Redford und Jane Fonda in den Hauptrollen; Sunny Boys mit dem Komikerduo George Burns und Walther Matthau. Was »drüben« auch ernst zu nehmende Regisseure und Schauspieler reizt, genießt hier meistenteils den zweifelhaften Ruf der allzu leichten Muse — Neil Simon, der Boulevard-König. Und solange ausgerechnet die Komödie am Kurfürstendamm seine Stücke immer wieder verniedlichen darf, wird sich daran wohl auch nichts ändern.

An der autobiographischen Komödie Damals in Brooklyn hat sich Hausregisseur Jürgen Wölffer dieses Mal versucht. Erzählt wird aus dem Alltag einer armen jüdischen Familie in New York zur Zeit der großen Depression, Ende der 30er Jahre. Arbeitslosigkeit und der bevorstehende Krieg in Europa bedrohen die vordergründige Harmonie der Familie: Geschwisterkonflikte brechen auf, Berufswünsche kollidieren mit den Familieninteressen, eingebildete und echte Krankheiten erschweren Entscheidungen. Damals in Brooklyn bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Komik und Tragik. Das Komische oder, besser: der Galgenhumor gewinnt letztendlich um Haaresbreite.

Von dieser Gratwanderung ist in der »Komödie« nichts zu spüren. Schon der geöffnete Vorhang läßt Fürchterliches ahnen. Was mit Gershwin musikalisch so wunderbar »blue« beginnt, schlägt sich auf der Bühne als geschmacklose Rhapsody in Plastikpink und Schmutzig-Hellblau nieder. Hier könnte »Barbie« mit ihrer Familie wohnen, so nett und adrett zwischen zwitschernden Blümchentapeten, so ekelhaft langbeinig und kolossal unerotisch. Da nützt es auch nichts, daß ganz am Rande eine Mauer mit einem Plakat darauf zu sehen ist, eine Mülltonne und eine leere Obstkiste davorstehen — es ist ein scheußlich »cleanes« Arrangement, oder, wie meine Sitznachbarin begeistert ihrem Gatten ins Ohr trompetet: »so frisch und fröhlich«.

Und damit völlig unpassend. »So frisch und fröhlich« führt auch »Eugene« (René Heinersdorff) durch die Episoden. Er ist der fünfzehnjährige Sohn der Familie, das »Alter ego« Neil Simons und Erzähler der Geschichte. Damit man dem Schauspieler die pubertierende Jugend auch glaubt, zappelt und grimassiert er aufs heftigste; er ist widerwärtig gut gelaunt, Mamas Liebling eben — hohlköpfig und anpasserisch. Den werdenden Schriftsteller, den sein erwachsener Bruder unbedingt fördern und aufs College bringen will, nimmt man ihm beim besten Willen nicht ab. Aber René Heinersdorff ist der ungekrönte Star des Premierenpublikums: wenigstens ein — wenn auch unbeabsichtigter — Moment der Tragik an diesem Abend.

Weniger überinszeniert die anderen Figuren: Peter Schiff spielt den souveränen Familienvater und verläßlichen Ansprechpartner, wenn es um die kleinen Sorgen und Nöte geht. Er benötigt kein mimisches Overacting, um präsent zu bleiben. Aber: Im Zweifelsfall muß auch er komisch sein, für die geforderten Untertöne bleibt ihm wenig Platz. Und das gilt für alle Rollen — die der Mutter mit ihrer recht eigenwilligen Logik (Luitgard Im), die der verwitweten Schwester Blanche (Margitta Heyn) oder die der Cousine Nora (Adela Florow), die von Eugene und seinem Bruder heimlich verehrt wird, aber selbst nur von ihrer Tänzerinnenkarriere träumt.

Es ist schade, daß niemand sich traut, mehr aus seiner Figur herauszuholen. So bleibt diese Aufführung ein fader Kompromiß zwischen Neil Simon und dem Publikum vom Kurfürstendamm. Und technisch verschläft diese Produktion die schönen Möglichkeiten des Stücks: überlappende Dialoge von Zimmer zu Zimmer, gute Pointen, die nicht alltägliche Erzählerrolle — in der Komödie aber wird eifrig das Licht auf- oder abgedreht, wenn Eugene sich an das Publikum wendet. Das soll erst mal jemand nachmachen. Anja Poschen