Die Bombe, dein kleiner Freund

■ Eine Ausstellung in der Galerie Vincenz Sala mit dem Titel »1986«

Vergangenheitsbewältigung ist nur etwas für Menschen mit verletzten oder pastoralen »mea culpa«-Gefühlen. Eine Ausstellung in der Galerie Vincenz Sala mit dem Titel 1986 versucht eine Rückschau auf die jüngste Geschichte. Die Künstler der Galerie, alle im Alter um die Dreißig, haben jeweils eine Arbeit, die in der Mitte der achtziger Jahre in Berlin entstanden ist, ausgewählt — das ist die Spielregel der Exposition.

Eine verbindliche Aussage über das Jahrzehnt ist nicht beabsichtigt, das Konzept der Ausstellung hinterfragt vielmehr solche Erwartungen. Der »seminartauglichen Rede von den achtziger Jahren« soll vielmehr deren Ironisierung entgegengesetzt werden.

Die ausgestellten Arbeiten bebildern aber keine theoretischen Überlegungen zu den Tendenzen der Kunst des letzten Dezenniums — sie sträuben sich vielmehr gegen historisierende Archivierungsversuche. Zwar ließe sich mit empfindsamem Blick an ihnen die Charakteristika des jeweiligen »×uvres« ablesen, doch solche Überlegungen sind nicht zwingend. Keine vordergründigen Stilvergleiche, keine Orientierungsmöglichkeiten aus der Perspektive der bereits abgesteckten Kunstareale werden vorgeführt. Die hier ausgestellten »Frühwerke« machen die Probe aufs Exempel einer zeitgeistigen Zeitlosigkeit.

Eine von Fritz Balthaus konzipierte Fotosequenz bezieht sich auf den tragischen Unfall der Raumfähre Challanger. Eine Wunderkerze, mit spielerisch verbogener Büroklammer versehen, brennt die Christbaum-Sterne speiend wie eine Wunderwaffe ab und es passiert, trotz außerordentlichem Aufwand und pyromanischem Effekt: so gut wie nichts. Dieser Kommentar zum damaligen Desaster ernüchtert auch heute noch jede Techno-Euphorie.

Eine Skulptur von Axel Lieber verwendet alltägliche Materialien aus Holz, Linoleum und Lack. Die gewöhnlichen Baumarktartikel sind vom Nowhere-Produkt zur ästhetischen Form aufgewertet. Das Kunstwerk verzichtet somit auf eine allgemeingültige Sinnbehauptung. Im spielerischen Umgang mit den Ausgangsmaterialien entsteht ein ungewöhnliches Objekt, das auch als zeitlos-futorologisches Mobiliar in einem Science-fiction-Film dienen könnte.

Hans Hemmert und Georg Zey präsentieren jeweils eine Box. Hemmerts schwarzer Kasten ist durch einen Gitterzaun hermetisch abgeriegelt. Weder Zugang noch Zusicht ist hier möglich. Das Objekt hält den neugierigen Galeriebesucher auf Distanz. Ein Wunderkasten voller Geheimnisse?

Die Kubusform der Arbeit von Georg Zey entsteht durch ein Geflecht aus Gummi und Metall. Der einsichtige technische Aufbau der Skulptur sperrt sich der assoziationsträchtigen Aufladung. Ihre Form kommentiert sich selbst und entzieht sich mit dieser Strategie den Hochglanz-Kategorien von In und Out. Nicht zeitgebunden heißt für Zey auch: nicht der Mode unterworfen.

Der Maler Markus Linnenbrink stellt als Beitrag ein monochromes, quadratisches und anthrazitfarbenes Gemälde zur Verfügung. Das Bild beschäftigt sich mit einem Verfahren der Bildproduktion, das seit dem letzten Weltkrieg angewendet wird. Linnenbrink ironisiert den Anspruch, durch künstlerische Ausdrucksmittel auf akute gesellschaftliche Zustände antworten zu wollen.

1986 war ein Bombenjahr. Wir erinnern uns: Schwedens Ministerpräsident Olaf Palme wurde nach einem Kinobesuch von einem Unbekannten erschossen, Besucher der Berliner Diskothek »La Belle« fielen einer Bombenexplosion zum Opfer, die USA bombardierten Ziele in Libyen, und schließlich explodierte in Tschernobyl der Atomreaktor und setzte radioaktive Substanzen frei. Treffend formulierte eine Chansonnette in dieser Zeit: »Ich seh' die Zeiten vergehen, und es bleiben nur Trümmer stehen.«

Und hier und heute? Eine von Andreas Ginkel produzierte Bombe schwebt im Galerieraum über den Köpfen der Besucher: Der trockenen, aufklärerischen Überzeugungsarbeit setzt Ginkel jedoch die Ambivalenz der Gefahr entgegen. Die Frage »Attrappe oder mit Sprengstoff gefüllt?« behält bis zur endgültigen Klärung ihre Aktualität.

Was läßt sich demnach als Quintessenz der zusammengetragenen Fundstücke formulieren? Zwar stellen die Kunstwerke die Frage nach ihrem Zeitbezug, doch zu erwarten, daß die Exponate der Galerie den tatkräftigen Ereignissen der Geschichte etwas Gleichwertiges entgegensetzen könnten, wäre des Bombastischen zuviel. Die Forderung nach einer innovationsorientierten Avantgarde erwidert die Ausstellung mit zeitgenössischen »Klassikern«. In einer Zeit, wo jedes Mineralwasser und jede krönende Kaffeemischung mit der Bezeichnung »classic« wirbt, ist dieses Vorgehen nur konsequent. Herbert Jochmann

Bis 14.3., Galerie Vincenz Sala, Manteuffelstr. 41, Kreuzberg, Di., Mi., Fr. 17-20, Sa. 11-14 Uhr.