Zuschauer genervt über »innerjüdischen Streit«

■ Auf einer Diskussionsveranstaltung über die Ausstellung »Jüdische Lebenswelten« wurde kaum über die Konzeption gestritten/ Kritik am Klischee des »reichen, intelligenten, gebildeten, erfolgreichen, assimilierten, deutschen« Juden

Kreuzberg. Gleich am Eingang des Martin-Gropius-Baus verteilte die Jüdische Gruppe Berlin ein Flugblatt gegen die Großausstellung Jüdische Lebenswelten. Wem dient dieses Bild von jüdischer Kultur und Geschichte, fragten sie. Wem dient eine Ausstellung, in der die schwierige jüdische Geschichte »ohne jede Spur von Zerstörungen und Verletzungen« gezeigt wird, ohne soziale und ideologische Konflikte, ohne die Lebenswelten im Schatten der Shoa und vor allem ohne Darstellung der Ostjuden im Berlin der 20er Jahre.

Die Festspielleitung und die Ausstellungsmacher hatten Kritiker am Montagabend geladen, um zur Halbzeit und in einem öffentlichen Rahmen Bilanz zu ziehen, Fragen zu beantworten und Anregungen aufzunehmen. Und das war ein Novum. Wo hat es das sonst schon gegeben, daß mitten in einer laufenden Ausstellung dem Publikum Gelegenheit gegeben wird, Dampf abzulassen. Und dies wurde von den zahlreich erschienenen Mitgliedern der Jüdischen Gruppe, des Jüdischen Kulturvereins, von Freunden der orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel auch weidlich getan. So gründlich, daß ein entnervter Tourist aus Aachen protestierte, »das wäre ja gar keine Diskussion über das Ausstellungskonzept«, sondern ein »innerjüdischer Streit«. Der Mann hatte recht: Die Chance, über das Bonmot des Festspielleiters Ulrich Eckhardt, die Ausstellung sei »nützlich und wichtig«, weil sie dem Antisemitismus durch »Aufklärung« den Boden entziehe, zu reden, wurde nicht genutzt. Eckhardt meinte damit, daß die Konzeption und die Exponate darauf zielten, zu zeigen, daß die Juden keine »Fremden« seien, sondern Menschen mit Würde, Kulturreichtum und einer langen Geschichte.

Vertreter der Jüdischen Gruppe kritisierten hingegen, daß die Ausstellungsleiter Andreas Nachama und Gereon Sievernich das alte Bild vom »reichen Juden« weitertrügen und damit das antisemitische Stereotyp des »jüdischen Ausbeuters« wiederholten. Mit ihrer Kritik stießen sie aber analytisch genau in das gleiche Horn wie Eckhardt. Denn warum soll ein Antisemit zum vernünftigen Menschen werden, wenn er in Vitrinen und an Wänden Zeugnisse von unterdrückten, armen und orthodoxen Berliner Juden mit Kaftan und Schläfenlocken sieht — wie es die Jüdische Gruppe fordert. Die Antisemiten brauchen keine Juden, um ihre Vorurteile zu pflegen — weder reiche noch arme Juden.

Die Kritik der Opposition beschränkte sich ausschließlich auf das, was fehlt — nämlich die andere Seite der goldenen Medaille. Die einen beklagten, daß im Israel-Raum die Lebenswelten der Palästinenser fehlen, die anderen vermißten die Frauen, wieder andere kritisierten, daß Adass Jisroel zuwenig vorkomme, keine Bilder von Betstuben im »Scheunenviertel zu sehen sind« und daß die heutigen täglichen »Verletzungen« durch die Gesellschaft kein Thema der Ausstellung sind. »Wir sind kein vergoldetes und verstorbenes Volk wie die Etrusker«, wehrte sich Fritz Teppich, »wir leben noch.« Und dies zu sehen und zu hören war eigentlich das Schönste am ganzen Abend. aku