„premiere“ zündet erste Geburtstagskerze an

■ Noch in den roten Zahlen, aber mit Deutschlands einzigem Pay-TV-Channel geht es aufwärts

Man stelle sich eine Familie in der Kleinstadt vor, nette Eltern, Mitte dreißig, und zwei aufgeweckte Grundschulkinder. Das Haushaltsgeld reicht immer bis zum Ende des Monats, und deshalb fällt es leicht, ein bißchen davon abzuzwacken, auf daß das häusliche Leben weniger langweilig werde. 39Mark im Monat kostet es, mittels eines codierten Schlüssels „premiere“ zu empfangen. Mit den Worten des einzigen deutschen Pay-Channel gesprochen, hat unsere Familie so Zugang zu einem „anspruchsvollen Ergänzungsprogramm“ für „selektive Zuschauer mit einem überdurchschnittlichen Interesse an Spielfilm und Sport“.

Faßt man die Daten zusammen, die der Spartensender ein Jahr nach dem Sendestart vorgelegt hat, entspricht unsere Familie den typischen Abonnenten. Bisher haben 220.000 mit Kabelfernsehen oder Satellitenschüssel (darunter 20.000 in den neuen Bundesländern) ausgestattete Haushalte für 120Mark Leihgebühr „premiere“ abonniert. Hinzu kommen 100.000 Kunden, die der Sender vom siechen Vorgänger „Teleclub“ übernommen hatte.

Skeptiker, die beim „premiere“- Start von einem „programmierten Flop“ sprachen, verstummen zunehmend. Abgesehen von MTV und den reinen Sportkanälen hat kein Sender einen so übersichtlichen Aufbau: „premiere“ traktiert den Konsumenten nicht mit Nachrichten oder Gameshows, es gibt weder Serien noch Werbung. Film reiht sich an Film (mit mehrfachen Wiederholungen pro Monat), wohldosiert aufgelockert durch Konzertübertragungen, Dokumentationen sowie — täglich — ein Musikmagazin und die Interviewsendung 0137 mit Roger Willemsen und Sandra Maischberger oder das Polit-Magazin Tacheles mit Desiree Bethge, Johannes Gross und Theo Sommer.

Mit Gesamtinvestitionen von einer halben Milliarde Mark wollen die „premiere“-Betreiber — die Bertelsmann-Tochter Ufa, die französischen TV-Giganten „Canal plus“ (je 37,5Prozent Anteile) und die Kirch- Gruppe (25Prozent) — bis 1994 750.000 Kunden erreichen und somit erstmals schwarze Zahlen schreiben. Für das Ende des Jahrzehnts rechnet der Sender gar mit zwei Millionen Kunden und einem Umsatz von einer Milliarde Mark.

Und was lockt die Käufer? Das Zauberwort des Pay-Channel heißt „Exklusivität“ und bedeutet im Filmangebot nichts weiter als Zeitvorsprung vor der TV-Konkurrenz. Gleich nach Kino- und Videoauswertung hat „premiere“ durch Verträge mit den großen Verleihern — die mit den Gesellschaftern identisch sind — Zugriff auf all die Spielfilme, die unsere Jungfamilie eigentlich immer schon mal sehen wollte. Weil ein Gang ins Kino oft mühsamer und Videoverleih auch nicht gratis ist, nehmen die Kunden eine Abonnement gerne in Kauf. Dazu kommt, daß „premiere“ längst nicht mehr alle Filme erst zwölf bis achtzehn Monate nach dem deutschen Kinostart ins Programm nimmt.

Für viele ist der Name „premiere“ jedoch nicht als Kinosender, sondern wegen seines Fußballprogramms zum Begriff geworden. Die exklusiven, technisch aufwendigen Live- Übertragungen von 25 Bundesligaspielen pro Saison gelten intern als Zugpferd und werden zu Werbezwecken bisweilen ins unverschlüsselt ausgestrahlte Programm aufgenommen. Knapp ein Drittel der Abonnenten schafft sich den Decoder an, um allwöchentlich aus der Fernsehsesselperspektive live Stadionatmosphäre zu genießen.

Einen Weg zum Erfolg weist „premiere“-Miteigentümer „Canal plus“. Dieser in Frankreich längst etablierte Pay-Channel profiliert sich als finanzgewaltiger Filmproduzent. Erste Schritte Richtung Eigenproduktion machte auch schon „premiere“ mit Peter Lindbergs Models und Werner Herzogs Lektionen in Finsternis. Darüber hinaus ist „Canal Plus“ in Frankreich auch Pflichtprogramm für Fußballfans, weil er exclusiv die Übertragungsrechte für die erste Liga gekauft hat. Hierzulande stünde diesem Aufstieg eines Pay-Channel zum Primärprogramm derzeit noch ein Leitsatz des Deutschen Fußballbundes entgegen, der beim Verkauf der Übertragungsrechte darauf pocht, daß „alle deutschen Haushalte“ versorgt werden. Doch die erbitterte und erfolgreiche Preistreiberei der Privatsender RTLplus und Sat.1 in Sachen Bundesligarechte hat bewiesen: Die Moral des Fußballverbandes sinkt mit der Höhe des Schmerzensgeldes. Katrin Weber