DOKUMENTATION
: Offener Brief

■ Herrn Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG Edzard Reuter, Epplerstraße 225, 7000 Stuttgart 80

Sehr geehrter Herr Vorstandsvorsitzender,

die Firma Dornier, die zu Ihrer Daimler-Benz-Holding gehört, wird vier militärische Aufklärungsflugzeuge an den Iran liefern. Dies wurde uns aus zuverlässiger Quelle bekannt. Es ändert nichts an dem verbrecherischen Charakter dieses Exports, wenn Dornier diese Lieferung jetzt als Vermessungsflugzeuge tarnt. Ich bin entsetzt, daß die Daimler-Benz-Holding, die einmal einen guten Namen hatte und die so oft in den letzten Jahren im Zusammenhang mit den „Exporten des Todes“ vor allem in den Irak genannt worden ist, noch immer fortfährt, tödliche Waffen in Krisengebiete zu liefern. Ich brauche Ihnen wohl nicht noch einmal deutlich zu machen, daß der Iran zehn Jahre lang in einen furchtbaren Krieg mit dem Irak verwickelt war, das iranische Kurdistan niederwarf, Zehntausende von politischen Gefangenen hinrichtete. Gerade in diesen Tagen bemüht sich der Iran um den Erwerb von Atomwaffen, während sich in den Nachbarländern des Iran, in Zentralasien und im Kaukasus, neue Krisenherde entwickeln.

Sehr geehrter Herr Reuter, Sie werden sich erinnern, daß ich am 6.September 1990 um 16 Uhr ein nach außen hin geheimgehaltenes und sogar den Anwohnern unbekanntes Lager Ihrer Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) in Höhenkirchen bei Ottobrunn betrat, um dort lagernde, an die irakische Luftwaffe und „Volksarmee“ adressierte, versandfertige Ersatzteile für Kampfhubschrauber Öffentlichkeit und Massenmedien vorzuführen. MBB hatte seit 1978 über 50 Hubschrauber der Typen BK 117 und BO105 an den Irak geliefert und zuvor im Ausland zu Kampfhubschraubern umrüsten lassen. Es ist ungeheuerlich, daß Sie duldeten, daß noch während des Irak-Embargos der Vereinten Nationen fünf MBB- Techniker im Irak eine eigene Hubschrauberwerkstatt für die irakische Luftwaffe fertigstellten.

Es war Ihnen nicht zuletzt aufgrund von Presseveröffentlichungen der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) über Jahre hinaus bekannt, daß die von Ihnen gelieferten Kampfhubschrauber von Saddam Hussein bei der Verfolgung und Vernichtung der Kurden und assyrischen Christen im Nordirak eingesetzt wurden. Aus MBB-Kampfhubschraubern sollen nach kurdischen Angaben am 28.August 1988 3.000 kurdische und assyrische Flüchtlinge in der Schlucht von Bazeh mit Giftgas bombardiert worden sein. Zuletzt sollen am 2.April 1991 zwei irakische Kampfhubschrauber vom Typ BO105 in der Schlucht Galie Dola 250 kurdische Flüchtlinge mit Napalm angegriffen haben.

Sehr geehrter Herr Reuter, ich bin fassungslos darüber, daß Sie die bayerische Staatsanwaltschaft eingeschaltet haben, um meine Verurteilung wegen Hausfriedensbruch durchzusetzen. Dabei hatte ich lediglich versucht, die Beteiligung der Daimler-Benz-Holding am Völkermordverbrechen des irakischen Diktators an mindestens 300.000 Kurden und assyrischen Christen bekanntzumachen und Ihre Beihilfe zum Genozid zu beenden.

Als einer der Initiatoren eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin wollen Sie gemeinsam mit Persönlichkeiten wie Lea Rosh und Eberhard Jäckl der Opfer des Genozids von gestern gedenken. Doch als jemand, dessen heutiges Handeln gegenwärtigen Völkermord ermöglichen hilft, haben Sie keinerlei Konsequenz aus der Vergangenheit gezogen. Sie sollten das Andenken der jüdischen Opfer nicht beschmutzen. Tilman Zülch

Bundesvorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker