Frankreichs Grüne sind sich nicht grün

Bei den französischen Regionalwahlen am 22. März treten zwei grüne Parteien an: „Les Verts“ und „Génération Ecologie“, eine Kreation des Umweltstaatssekretärs Brice Lalonde/ Radikal und rein gegen staatstragend und höflich  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Zwei Farben beherrschen die politische Frühjahrsmode in Frankreich: Neben Braun liegt Grün im Trend. Niemand zweifelt mehr daran, daß bei den Wahlen im März sowohl die rechtsextremen Anhänger der Front National als auch die Öko-Politiker Triumphe feiern werden. Doch während die Ultrarechte wie ein Mann hinter Jean-Marie Le Pen steht, konkurrieren die Umweltschützer in zwei Parteien: Neben „Les Verts“ stellt sich „Génération Ecologie“ zur Wahl, eine Bewegung im Schlepptau des populären Umweltministers Brice Lalonde.

Nicht einmal zwei Jahre ist es her, daß Lalonde seine Partei wie aus dem Hut gezaubert hat — der Telefonauskunft ist Génération Ecologie noch heute unbekannt, die Nummer des Pariser Hauptquartiers erfährt man im Umweltministerium. Präsident Mitterrand gab seinem damaligen Staatssekretär den Segen; in seinen Augen bildete Génération Ecologie vor allem ein Gegengewicht zu den Grünen. Heute fühlt sich mancher sozialistische Politiker von der neuen Partei herausgefordert, denn Lalonde fängt die Sympathien vieler enttäuschter PS-Anhänger auf und schießt neuerdings noch gegen seine Regierung: Nach den Regionalwahlen brauche Frankreich „vielleicht einen Premierminister, der nicht Sozialist ist“, sinnierte der Minister dieser Tage. Zugleich bietet Lalonde PS-Politikern gute Listenplätze, die in ihrer eigenen Partei zu kurz kommen. Sie brauchen die PS dafür nicht einmal zu verlassen, denn Génération Ecologie erlaubt die doppelte Parteimitgliedschaft.

Viele Grüne sehen in der Minister-Partei immer noch das U-Boot der regierenden Sozialisten, das die Umweltbewegung spalten oder gar die Grünen schlucken soll und nun auch noch vom Unmut der Franzosen an den etablierten Parteien profitiert. Hinzu kommen massive Vorwürfe gegen Lalonde selbst, angestaut in 20 Jahren gemeinsamen Kampfes in der Umweltbewegung. „Er ist kein Demokrat“, urteilt Yves Cochet, in der Führungsriege der Grünen ein pragmatischer Gegenpol zu dem eher fundamentalistischen Antoine Waechter. „Lalonde hält es in einer Partei nur aus, wenn er der Chef ist. So hat er auch die Wahllisten autoritär von Paris aus zusammengestellt.“ Die Grünen werfen Lalonde außerdem Wankelmut und seiner Partei mangelnde Kohäsion vor.

Zu den persönlichen Animositäten kommen politische Differenzen. „Wir waren gegen den Golfkrieg“, erinnert der Grünen-Politiker Cochet. Lalonde hingegen unterstützte den „schnellen und sauberen Krieg“. Auch bei der Gretchenfrage: „Wie hältst du's mit der Atompolitik?“ gehen die Meinungen auseinander. Während die Grünen den schnellen Ausstieg fordern, trägt der Umweltminister die Atompolitik der Regierung mit. „Zur Kernenergie stehen wir kritisch positiv“, heißt es bei Génération Ecologie. Mit den bestehenden AKWs kann die Partei leben, lediglich die Schnellen Brüter „Superphönix“ sollen abgeschaltet werden, steht im Programm, wenn auch selten in den Ministerreden. Was geschehen soll, wenn die Kernkraftwerke ausgedient haben, so nach dem Jahr 2010, müsse „national debattiert“ werden.

„Wir sind keine Revolutionäre wie die Grünen, sondern Reformer“, erklärt Joel Roret, Mitglied im Nationalbüro der Partei. „Unser Motto heißt: Handeln, nicht jammern. Indem wir zeigen, daß man sofort etwas verändern kann, geben wir den Leuten Hoffnung. Das ist die beste Politik gegen das Erstarken der Front National.“ Das Programm von Génération Ecologie? „Wir wollen 20 Prozent Ökologie in allen Bereichen der Gesellschaft.“ Sehr viel präziser äußern sich die Lalonde-Anhänger nicht. Der Energieverbrauch etwa möge eingeschränkt werden, doch „ohne den Lebensstandard zu senken“. Verringerung der Arbeitszeit, ja, aber nur „unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realitäten“, das heißt ohne Kosten für die Unternehmen. Illegale Einwanderer? Bitte „höflich und menschlich“ abschieben. Integration der legalen Einwanderer? Sie sollen Franzosen werden, Génération Ecologie will die Einbürgerung erleichtern, Ausländer sollen jedoch „nicht das Wahlrecht erhalten“.

Ganz anders Les Verts. Sie wollen keine Schönheitskur, sondern radikalen Wandel. Zur Integration der in Frankreich niedergelassenen Ausländer verlangen sie für diese passives und aktives Wahlrecht bei allen lokalen Wahlen. Neben der Atompolitik steht der Verkehr weit oben in ihrem Programm: Neue Autobahnen darf es nicht geben. In ihrem Wirtschaftsprogramm fordern sie eine schleunige Verringerung der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche mit Einkommenseinbußen für die Besserverdienenden. Eine „gewisse materielle Verarmung“ — Tabu eines jeden Realpolitikers — wollen sie bewußt in Kauf nehmen. Der Chefökonom der Grünen, Alain Lipietz, räumt ein, daß ein solches „Programm gegen die Logik der Produktivität“ einen radikalen Wandel von Kultur und Mentalitäten voraussetzt, „deshalb wollen wir auch nicht zu schnell an die Macht kommen“. Ob es ihnen recht ist, daß Génération Ecologie in der Wählergunst offenbar vorne liegt?

Steigender Einfluß wächst beiden Öko-Parteien zu, weil die großen Parteien nicht mehr mit klaren Mehrheiten rechnen. Die Grünen unter dem kompromißlosen Antoine Waechter werden derzeit von Konservativen, Liberalen, Sozialisten und selbst von Génération Ecologie hofiert. Noch vor einem Jahr schien Lalonde an einer Union wenig interessiert, er beschimpfte die Grünen als Sektierer und unterstellte ihnen neutralistische Tendenzen gegenüber der Front National. Der Grund: Im Gegensatz zu den übrigen Parteien lehnen die Grünen eine Bevormundung der Wähler bei Entscheidungen nach dem Mehrheitswahlrecht ab; sie weigern sich daher, wenn sie selbst ausgeschieden sind, noch Wahlempfehlungen für die zweite Runde zu geben. Erst auf ihrem letzten Parteitag entschlossen sie sich endlich, eindeutig gegen die FN Stellung zu beziehen, sofern diese in die Stichwahl kommt.

Inzwischen hat der Pragmatiker Lalonde den „lieben Fundis“, wie er sie in einem offenen Brief tituliert, die Wahlunion angetragen. Diese beharren auf der reinen Linie und lehnen Vermischung mit den feindlichen Brüdern ab. In den wenigen Departements, wo es doch Absprachen gibt, laufen die gemeinsamen Listen unter dem Namen Les Verts und nicht als „Union der Ökologisten“, wie es Lalonde gewünscht hätte. Mit seiner Sturheit hat sich Waechter bisher immer noch durchgesetzt. Vielleicht werden die Wähler die Grünen in Bewegung bringen: „Wenn wir im nationalen Durchschnitt von Génération Ecologie überflügelt werden, dann müssen wir über unsere Strategie neu nachdenken“, meint Cochet. Doch trotz aller Unterschiede ist fraglich, ob die Franzosen Les Verts und Génération Ecologie überhaupt unterscheiden können.