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Anschluß an den Westen gesucht

Die baltischen Airlines symbolisieren die neue Souveränität, sind aber von der Staatslinie Aeroflot abhängig  ■ Von Matthias Lüfkens

Die Neonreklame der Aeroflot am graubraunen Bürogebäude in der estnischen Hauptstadt Tallinn mußte als erstes weichen. Sie wurde kurzerhand abmontiert und durch ein neues Werbeschild ersetzt. In dem ehemaligen Buchungsbüro der sowjetischen Luftfahrtgesellschaft sitzt nun die unabhängige Fluggesellschaft Estonian Airlines, die nach der Unabhängigkeit aus der ehemals größten Fluglinie der Welt hervorgegangen war. Stolz zeigt eine Schautafel in der Eingangshalle die vier Flugverbindungen des neuen Carriers ins westliche Ausland. Doch über den Schaltern hängen immer noch vergilbte Aeroflot-Plakate, und hinter den Kassen schweben weiter die Flügel mit Hammer und Sichel.

Doch nicht nur die alten Symbole belegen, wie eng die beiden Fluggesellschaften miteinander verbunden sind. Die Airline hat 28 Maschinen, darunter 16 Großraumflugzeuge von der ehemaligen sowjetischen Linie geleast. „Die Tupolev-134 und die vier Jakovlev-40 sowjetischer Bauart werden uns bald gehören“, gibt sich Illar Vaks, Vizedirektor der neuen Gesellschaft, optimistisch. Doch wo das Geld herkommen soll, weiß auch er nicht. Ohne staatliche Hilfe können die jungen Fluggesellschaften kaum vom Boden abheben.

Auch in Lettland ist die neue nationale Fluggesellschaft noch nicht ganz unabhängig, wie ein Sprecher der Latvian Airlines sagt. Die Latvian hatte einen schlechten Start, denn wegen chronischem Benzinmangel sind seit einem Monat alle Verbindungen in Richtung Osten eingestellt. Nur die litauische Fluggesellschaft Lithuanian Airlines scheint den zwei baltischen Nachbarn um einiges voraus zu sein. Die junge Fluggesellschaft hat bereits Ende letzten Jahres die Genehmigung der Internationalen Flugaufsichtsbehörde (IATA) erhalten, und am 21. Dezember startete eine litauische Boeing 737-200 mit dem blauen Schriftzug der Lithuanian Airlines zum Jungfernflug. Für die zehn Jahre alte Boeing mußte eine ungarische Crew angeheuert werden, bis die 12 eigenen Piloten ihre Ausbildung auf der für sie neuen Maschine in Irland abgeschlossen haben.

Doch wie in Estland fliegen längst nicht alle der rund 70 litauischen Maschinen, darunter 21 Großraumflugzeuge, unter der litauischen gelb- grün-roten Flagge. Zur Zeit tragen nur die Boeing sowie eine der antiquierten Anuschkas, wie die Litauer liebevoll die sowjetischen Flieger AN-24 nennen, den neuen Schriftzug. „Das Überstreichen kostet rund 35.000 Dollar pro Maschine“, schätzt Alvydas Stricka, Leiter des Buchungsbüros, deshalb sieht man vorerst lieber davon ab. Die Unabhängigkeit der Fluggesellschaft von Aeroflot kam die Litauer schon teuer genug zu stehen. Am Tage des Jungfernfluges schaltete die ehemalige Moskauer Zentrale das Reservierungssystem der Staatslinie Aeroflot ab. Auch die ausländischen Aeroflot-Büros verkaufen seither keine Flugscheine für die unabhängigen Airlines mehr. Ein neues Reservierungssystem mußte her. Man wurde in London fündig; ein britischer Experte lehrt die Angestellten derzeit die Benutzung des neuen Systems.

Im Ausland haben die österreichische, schweizerische und skandinavische Fluggesellschaft den Verkauf von Flugscheinen für Lithuanian Airlines übernommen. Die junge Gesellschaft, die noch nicht einmal über eigene Flugscheine verfügt, muß sich außerdem Vordrucke von einer dänischen Luftfahrtgesellschaft leihen.

Mit den anderen zwei baltischen Fluggesellschaften gibt es nur wenig Kontakte. Bisher versucht jedes Land, die Unabhängigkeit am Himmel im Alleingang zu meistern. Die Leiter der drei baltischen Fluggesellschaften wollen sich zwar Anfang März treffen, doch eine Baltic Airways steht in weiter Ferne. „Eine gemeinsame Fluggesellschaft ist zur Zeit unmöglich“, so der Este Illar Vaks, der zuerst die Probleme im eigenen Land lösen will. „Wir haben unterschiedliche Ansichten über die Unabhängigkeit“, meint der Generaldirektor der litauischen Gesellschaft, Edmundas Janusas.

Lithuanian Airlines fliegt derzeit in 43 Städte der ehemaligen Sowjetunion. „Doch diese Flüge lohnen sich für uns nicht, denn sie werden weiterhin mit Rubeln bezahlt“, klagt Alvydas Stricka, der mit der baldigen Entlassung von 400 der bisher 1.600 Angestellten rechnet. In den nächsten Monaten will die Fluggesellschaft einen großen Teil der östlichen Verbindungen aus dem Flugplan streichen und die Verbindungen mit dem Westen, bei denen mit Valuta bezahlt wird, ausbauen. Die litauische Gesellschaft, die unter anderem dreimal pro Woche nach Berlin, Frankfurt und Kopenhagen fliegt, verhandelt zur Zeit über Landerechte auf dem Londoner Flughafen Heathrow, um einen Teil des Touristenstroms der Exillitauer aus Nordamerika mitzunehmen.

Doch die internationale Konkurrenz kennt im Kampf um die Passagiere keine Skrupel. Die litauische Boeing aus Kopenhagen ist zur Zeit gähnend leer, denn die skandinavische Fluggesellschaft SAS, die ebenfalls Vilnius anfliegt, verkauft in erster Linie ihre eigenen Tickets. Und die Luftfahrtexperten geben den neuen Linien ohnehin keine Chance: Die Fluggäste aus dem Westen fliegen lieber mit den West-Carriern; die heimische Kundschaft kann nur mit wertlosen Rubel bezahlen.

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