„Das Gift der Stasi nicht in die Grünen getragen“

Der langjährige MfS-Mitarbeiter und frühere deutschlandpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Dirk Schneider, diskutiert mit Petra Kelly und Gerd Bastian: Politik und Stasi-Mitarbeit hatten angeblich nichts miteinander zu tun  ■ Aus Berlin Matthias Geis

„Der offene Weg war meiner Meinung nach der bessere.“ — Mit dieser überraschenden, von Selbstzweifeln unangekränkelten Einschätzung, charakterisiert Dirk Schneider, ehemals deutschlandpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion und langjähriger Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit sein politisches Selbstverständnis. Das neunte „Täter-Opfer-Gespräch“ am Montag abend im Haus am Checkpoint Charlie — diesmal zwischen den ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Dirk Schneider, Petra Kelly und Gert Bastian — drohte zu platzen. Nicht nur daß Schneider da — IM-notorisch — seine geheimdienstliche Tätigkeit relativierte und herunterspielte; nein, der Deutschlandpolitiker im Dienste des MfS ging in die Offensive und wollte seine „offene, ehrliche Politik“ positiv unterschieden wissen von Petra Kellys und Gert Bastians früheren Versuchen, die DDR „mit klandestinen Aktionen“ zu unterwandern. — „Wenn ich dir zuhöre, dann kommt mir doch wieder das alte Kotzen hoch“, beschwor Bastian empört sein Gefühl aus gemeinsamen grünen Fraktionstagen. „Du bist jetzt der Offene und wir sind die Klandestinen?“ fragte Petra Kelly sichtlich fassungslos. „Das darf ja wohl nicht wahr sein.“ Das Gespräch stand vor dem Abbruch.

— Dabei hätte schon allein das bekannte Foto vom Besuch der Grünen-Delegation bei Honecker, das an diesem Abend hinter dem Podium hängt, ausgereicht, die Vermessenheit von Schneiders Verteidigung sinnfällig zu machen: Petra Kelly steht im weißen T-Shirt mit dem inkriminierten Emblem der unabhängigen Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ vor Honecker; dahinter — neben Antje Vollmer und Otto Schily — Dirk Schneider, dem man nicht ansieht, daß ihn noch etwas anderes als seine politische Überzeugung mit dem SED-Regime verbindet und von seinen Parteifreunden trennt.

Doch aus der Position dessen, der seine politische Rolle heute klar und eindeutig von seiner Stasi-Mitarbeit abschneidet, glaubt Schneider die alte deutschlandpolitische Auseinandersetzung innerhalb der Grünen quasi ungebrochen fortsetzen zu können. Auf der einen Seite finden sich dann diejenigen, die offen für gleichberechtigte Verhandlungen zwischen beiden deutschen Staaten eintreten; auf der anderen die, die offizielle Delegationsreisen dazu nutzten, das Regime „mit subversiven Aktionen“ zu unterwandern. Was Schneider da noch heute empörend findet? — Am Abend nach dem Treffen mit Honecker verteilte Petra Kelly während eines Oppositionsmeetings bei Pfarrer Rainer Eppelmann verbotene Bücher aus dem Westen. „Empörend“ fand Schneider, daß man die offizielle Einladung dafür mißbrauchte. Schlicht „selbstverständlich“ findet das Petra Kelly. Sie habe sich insgesamt siebenmal mit Honecker getroffen, nicht um Verhandlungen zu führen, sondern um ungeschminkt gegen die Unterdrückung der DDR-Opposition zu protestieren, deren Arbeit man gleichzeitig aktiv zu unterstützen suchte. Daß es den Grünen nicht gelungen ist, sich deutschlandpolitisch in diesem Sinne eindeutig zu verhalten, das — so Petra Kelly — geht zu Lasten linker Grüner, die, auch ohne Stasi-Mitarbeit, die Position von Dirk Schneider mitgetragen hätten. „Es ist ihnen gelungen, die grüne Idee blockübergreifender Durchsetzung der Menschenrechte abzuschwächen.“ Hier werde eine „geistige Spaltung“ deutlich, „die die Grünen bis heute nicht überwunden haben“.

Mit seiner Unterscheidung offener versus klandestin-subversiver Politik gelingt es Dirk Schneider, von Anfang an die Auseinandersetzung provokativ aufs deutschlandpolitische Feld zu lenken. Da macht er zwar keine gute Figur; aber die eigentliche Frage des Zusammenhangs zwischen Schneiders damaliger Politik und seiner MfS-Zuarbeit gerät über weite Strecken aus dem Blickfeld. „Es heißt jetzt, ich hätte das Gift der Stasi in die Grünen getragen“, wehrt sich Schneider gegen den Vorwurf, Einflußagent des MfS gewesen zu sein. „Das hat mit mir nichts zu tun.“ Er habe immer „offen und ehrlich seine Auffassung in die Grünen getragen“. Er habe weder Weisungen entgegengenommen noch jemals seine politischen Freunde ausspioniert.

Man möchte ihm das abnehmen. Doch an Schneider irritiert nicht nur sein Versuch, das herrschende Stasi-Bild als „verbrecherische Organisation, die Frühgeburten in den Eimer schmeißt“, zu pointieren und damit unter der Hand zu relativieren; da ist auch die von anderen Mitarbeitern bekannte, nebulös-verharmlosende Selbsteinschätzung, die mehr Fragen aufwirft als klärt: „Es gab politische Gespräche, die dann in verfestigte Form geraten sind“, beschreibt er seinen Werdegang zum Inoffiziellen Mitarbeiter; er habe lediglich „Interpretationen über Erlebnisse im öffentlichen Raum“ geliefert.

„Ich habe offene Politik gemacht und hatte zugleich dieses Geheimnis“, versucht Schneider noch mit seinem Eingeständnis am Ende der Veranstaltung die Sphären auseinanderzuhalten; „Das war ein schwerer Fehler, das ist meine Belastung, daran habe ich zu tragen.“ Die Stasi-Mitarbeit gerät ihm zur schmerzlichen Privatsache – jenseits seiner politischen Rolle. Das ist — Schneider stellt sich ja freiwillig der Auseinandersetzung — keine bloß billige Taktik, um sich der Frage einer MfS-gesteuerten Politik zu entziehen. Vielmehr markiert die allzu glatte Scheidung von Politik und Spionage für Schneider die Hoffnung, zwanzig Jahre politischer Biographie über seine IM- Enttarnung zu retten. Er hat Angst vor Ächtung und politischer Isolation: „Können wir nicht gemeinsam einen argumentativen Weg finden, der uns nicht als schlimme Leute erscheinen läßt?“ Von Rachegefühlen war an diesem Abend nichts zu spüren. Doch Vertrauen zurückgewonnen hat Dirk Schneider nicht.