piwik no script img

Japan im Sog der Korruptionsskandale

■ Eine Welle von Skandalen lähmt die japanische Regierung. Der jüngste Fall: Ein privater Paketdienst hat Schmiergelder in Rekordhöhe von einer Milliarde Mark an fast ein Drittel der Abgeordneten...

Japan im Sog der Korruptionsskandale Eine Welle von Skandalen lähmt die japanische Regierung. Der jüngste Fall: Ein privater Paketdienst hat Schmiergelder in Rekordhöhe von einer Milliarde Mark an fast ein Drittel der Abgeordneten gezahlt. Doch nicht nur die Politiker der Regierungspartei, auch die Parlamentarier der Opposition haben die Hand aufgehalten. Die innenpolitische Blockade verhindert auch Tokios Anschluß an die Weltpolitik.

AUS TOKIO GEORG BLUME

Die Zukunft des politischen Skandals in Japan, welcher auf den ersten Blick als ein Sturm im Wasserglas erscheint, ist in Wirklichkeit eine große welthistorische Affäre.“ Der Verfasser des Editorials der Tokioter Tageszeitung 'Mainichi Shimbun‘ konnte den Mund nicht zu voll nehmen, um den Sog der Skandale zu beschreiben, der Japan von Tag zu Tag tiefer in die politische Krise reißt. Noch am Dienstag vergangener Woche stand Zenko Suzuki, ein ehemaliger Premierminister, unter Bestechungsverdacht vor einem parlamentarischen Ausschuß Rede und Antwort. Tags darauf wußte sich ein einflußreicher Fraktionschef der Regierungspartei, Hiroshi Mitsuzuka, nur noch mit einer Gerichtsklage gegen die immer dichteren Vorwürfe zu wehren, denenzufolge er ein Schmiergeld von zehn Millionen Mark entgegengenommen hat. Am Freitag mußte Ex-Premier Yasuhiro Nakasone zugestehen, zuletzt im „VIP-Hubschrauber“ der Skandalfirma Sagawa Kyubin die Militärbasis Yokosuka besucht zu haben. Das Paketunternehmen Sagawa Kyubin, so wurde schließlich am Samstag bekannt, hatte auch dem amtierenden Gesundheitsminister Tokuo Yamashita drei Monate lang eine deutsche Luxuslimousine zur Verfügung gestellt.

Die Regierung steht vor einem Scherbenhaufen

Machtlos steht die Regierung vor dem politischen Scherbenhaufen. Schon seit Wochen enthält sich Regierungschef Kiichi Miyazawa jeden Kommentars. Die Enthüllungen sprechen in der Tat für sich: Der Paketaustragedienst Sagawa Kyubin, der derzeit im Zentrum der Skandalmeldungen steht, soll Bestechungsgelder in der Rekordhöhe von annähernd einer Milliarde Mark an Politiker gezahlt haben. Nach Aussagen des Firmenchefs Kiyoshi Sagawa erhielten 280 Parlamentarier, fast ein Drittel aller Abgeordneten, Schmiergelder. Im Gegenzug ratifizierte das Parlament 1990 ein Paketgesetz, das die Genehmigungspflicht für private Paketdienste durch die regionalen Behörden abschaffte und damit den Privaten die ungehinderte Ausweitung ihrer Geschäfte ermöglichte.

Der Fall Sagawa Kyubin offenbart alle Betrugsfacetten des japanischen Systems. Weil Politiker im Wahlkampf keinerlei öffentliche Gelder in Anspruch nehmen können, sind sie auf die finanzielle Unterstützung von Unternehmen angewiesen. Sagawa Kyubin nutzte diese Abhängigkeit bedingungslos aus. Zudem verfügte das Unternehmen über feste Kontakte zur Yakuza, Japans legaler Gangstermafia. Die Yakuza, die sich traditionell mit Drogenhandel und Prostitution beschäftigen, haben sich während der japanischen Boomjahre in zahlreiche Branchen, insbesondere ins Immobilien- und Aktiengeschäft, einkaufen können. So waren es zunächst Immobilienfirmen der Yakuza, die Kredite von Sagawa Kyubin erhielten, nur um später einen Teil des Geldes unterderhand an Sagawa zurückzuleiten. Diese steuerlich nicht erfaßbaren Summen zahlte Sagawa dann an die Politiker aus.

Ein „Notprogramm für die politische Reform“ soll der Regierung nun aus der Klemme helfen. Die Maßnahmen sehen einen neuen Zuschnitt der Wahlkreise mit einer gerechteren Verteilung der Wähler vor sowie schärfere Auflagen für Spenden an Parteien und Politiker. Doch auf Höchstsummen, die bisher nur bei Privatspenden an einzelne Politiker gelten, will sich die Regierung auch diesmal nicht festlegen. Eine umfassende Reform des Wahlrechts, die auch die Parteifinanzierung entflechtet hätte, war jahrelang in Vorbereitung und wurde im August letzten Jahres dem Parlament vorgelegt. Sie scheiterte am Veto der Fraktionsbosse aller Parteien.

Inzwischen ist das Versagen der Politik allen gegenwärtig. Bis hin zu den kleinsten Knoten läßt sich das Netz der Korruption verfolgen, das Japan immer enger umspannt. Aber taugt Nippons Ganovenspiel deshalb schon zur „welthistorischen Affäre“, wie die 'Mainichi Shimbun‘ so kühn behauptet?

Die Vermutung liegt gar nicht so fern. Denn solange statt der Regierung die Skandale regieren, sind Japan auch in den drängenden weltpolitischen Angelegenheiten die Hände gebunden. Der Tokioter Vorschlag für die weltweiten Handelsgespräche innerhalb der GATT-Runde lieferte vor wenigen Tagen ein Beweisstück. „Japan wird in Genf eine abwartende Haltung einnehmen“, versuchte Vize-Landwirtschaftsminister Yoshihiro Hamaguchi guten Willens das Tokioter Schweigen zum bevorstehenden Zusammenbruch gerade jener GATT-Abkommen zu begründen, die der Exportnation Japan so großen Erfolg bescherten. In dem japanischen Vorschlag bleibt Japans umstrittenes Reisimportverbot einfach unerwähnt. Denn nun ist der Tokioter Regierung anderes wichtiger.

Am 8. März findet nämlich in der nördlichen Reispräfektur Miyagi eine Nachwahl zum Parlament statt. Mit den Stimmen der Miyagi-Bauern kann die regierende Liberal-Demokratische Partei (LDP) selbstverständlich nur rechnen, solange sie das Reisimportverbot aufrechterhält. Da die LDP aufgrund der Korruptionsaffären bereits eine Nachwahl Anfang Februar verloren hat, scheut sie inzwischen jedes Risiko. Also muß die Welt in Genf auf Japan warten, bis es dort für eine Lösung möglicherweise zu spät ist. Zumal GATT-Chef Arthur Dunkel nicht mehr auf die japanische Unterstützung setzen kann, um den europäisch-amerikanischen Agrarstreit beizulegen.

Die innenpolitische Blockade verurteilt Japan auch dort zur Tatenlosigkeit, wo Tokio endlich einmal seine neue internationale Machtstellung demonstrieren wollte: nämlich vor den Vereinten Nationen in New York. Noch Ende Januar hatte Premierminister Kiichi Miyazawa auf dem Gipfel des UN-Sicherheitsrats verlangt, die UNO möge „sich reformieren und einer veränderten Welt anpassen“. Damit hatte er vor allem gemeint, daß Japan einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat erhalten müßte. Inzwischen wagt davon in Tokio niemand mehr zu reden.

Denn schon steht fest, daß Japan bei allen Großaktionen der Vereinten Nationen, sowohl beim Blauhelm- Einsatz in Jugoslawien als auch in Kambodscha, nicht dabeisein wird. Noch im November letzten Jahres bemühten sich Regierung und Opposition im Parlament um einen Kompromiß für die Entsendung japanischer Kontingente zu internationalen UN-Diensten. Die Verhandlungen scheiterten in dem Moment, als das Skandalgewitter losbrach. Bis es verklungen ist, kann mit einer Wiederaufnahme der UN-Gesetzesdebatte nicht gerechnet werden.

„In aber nicht von dieser Welt,“ kommentierte sogar die regierungsfreundliche 'Japan Times‘ das außenpolitische Versagen Tokios. Vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Handelskonflikts mit den USA und Europa begünstigt die innenpolitische Krise Japans Trend zum Isolationismus, der in diesem Jahrhundert schon einmal verhängnisvolle Folgen zeigte. Premierminister Kiichi Miyazawa, der als Diplomat der Nachkriegszeit und späterer Außenminister den Internationalismus innerhalb der LDP schlechthin verkörpert, ist wohl der letzte, der sich der isolationistischen Gefahren nicht bewußt ist. Doch auch ihn haben die Skandale entmachtet.

Schon 1987 mußte Miyazawa aufgrund dunkler Aktiengeschäfte mit der Immobilienfirma Recruit Cosmos als Finanzminister zurücktreten. Nun ist er erneut schwer belastet. Kein geringerer als der Generalsekretär von Miyazawas Parlamentsfraktion, Fumio Abe, wird beschuldigt, mit illegalen Millionenspenden der inzwischen bankrotten Stahlfirma Kyowa die Wahl Miyazawas zum Regierungschef finanziert zu haben. Vor einem Parlamentsausschuß nannte der Regierungschef den Abgeordneten Abe auch dann noch einen „Freund“, als der schon hinter Schloß und Riegel in Untersuchungshaft saß.

Die Oppositionsparteien verfügen kaum über bessere Freunde. Selbst die junge sozialdemokratische Abgeordnete Kazuko Yoshida, die noch vor zwei Jahren mit der Unterstützung feministischer Basisgruppen den Sprung ins Parlament schaffte, nahm von der Paketfirma Sagawa Kyubin rund 70.000 Mark entgegen. Am vergangenen Freitag verkündete sie ihren Rücktritt aus dem Vorstand der Partei. Auch die Medien sind nicht ohne Fehl und Tadel: Die führende japanische Tageszeitung 'Yomiuri Shimbun‘ soll für einen Grundstücksverkauf an Sagawa Kyubin annähernd 70 Millionen Mark mehr als den Marktpreis kassiert haben.

Vielleicht ist das ein Grund, warum sogar die sensationslüsterne Medienwelt derzeit Zurückhaltung bewahrt. Doch selbst wenn Medien, Opposition und Regierung vereint am liebsten schweigen würden — die Enthüllungen entwickeln längst ihre Eigendynamik. Die Staatsanwaltschaft forscht weiter, unter den Politikern grassiert die Angst, und schon beschuldigt jeder jeden.

Eine große Koalition wird nicht ausgeschlossen

Manche sehen in der Skandalserie auch die Chance für eine politische Neuordnung. Shin Kanemaru, der einflußreiche Vizepräsident der Liberaldemokraten, hat für den Fall einer Niederlage seiner Partei bei den bevorstehenden Oberhauswahlen im Juli eine große Koalition mit den Sozialdemokraten vorgeschlagen. Auf regionaler Ebene arbeitet die Regierungspartei bereits vielerorts mit der größten Oppositionspartei zusammen. Da die Oppositionsmehrheit im Oberhaus schon heute die meisten Gesetze blockiert und die Wahlen im Juli an den Mehrheitsverhältnissen in der zweiten Parlamentskammer kaum etwas ändern werden, erscheint der Gedanke einer großen Koalition vielen Kommentatoren nicht mehr abwegig. Nach 37 Jahren ununterbrochener Alleinherrschaft der LDP wäre eine solche Entwicklung freilich sensationell.

„Nur Skandale“, schöpft der Leitartikler der 'Mainichi Shimbun‘ dennoch Hoffnung, „haben überhaupt vermocht, die japanische Politik voranzutreiben und zu verändern.“ Doch wohin Japan im Skandalstrudel treibt, verrät er nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen