„Mit das Schlimmste, was ich je gehört habe“

■ Grausame Vergewaltigung: Mammutverfahren vor dem Bremer Landgericht mit Schuldspruch beendet

“Daß so etwas einem Menschen angetan werden kann, entzieht sich fast jeglicher Vorstellungskraft“ — das schickte Richter Werner Oetken letzte Woche seinem Urteil im bisher längsten und schwierigsten Vergewaltigungsprozeß am Bremer Landgericht vorweg: „Was da passiert ist, ist so brutal, menschenverachtend und widerlich, daß es mir schwerfällt, den Sachverhalt zu wiederholen“, sagte auch Staatsanwältin Claudia Traub.

Und doch mußten die Grausamkeiten, die die beiden Angeklagten Thomas K. (49) und Joachim R. (30) ihrem Opfer Esther M. im Juni 1990 angetan hatten, in den insgesamt 32 Verhandlungstagen immer wieder aufgezählt werden: Mehrfach wurde die Frau, die die Freundin des jüngeren Täters war, vergewaltigt, wurde angepinkelt, gezwungen, den Urin des einen zu trinken. Die sexuelle Folter ging so weit, daß die beiden Männer ihr Opfer dazu bringen wollten, sich selbst zu erwürgen. „Dich bringe ich um, du alte Schlampe, du Hure“, drohte Thomas K. der Frau. Sie schaffte es noch ins Krankenhaus — dort festgestellte Folgen des „eskalierenden Männerbündnisses“, so hieß es vor Gericht mehrfach: Die Frau war völlig verstört, über und über mit zum Teil kinderhandflächengroßen Hämatomen bedeckt und hatte Brandwunden im Genitalbereich. Bis zum heutigen Tag hat sie panische Angst vor den beiden Angeklagten.

Ein außergewöhnlicher Fall mit einem außergewöhnlichen Verfahren: Bis das Urteil von 6 Jahren Haft mit anschließender Zwangstherapie für den Alkoholiker Thomas K. und dreieinhalb Jahren für Joachim R. gesprochen war, gab es zwei Hauptverhandlungen, 32 Verhandlungstage, fünf psychologische Gutachten und ein Vergewaltigungsopfer, das erst nicht aussagen durfte, obwohl es unbedingt wollte, und dann doch gehört wurde.

Das Gericht: Verweigert die Anhörung des Opfers und ist nicht in der Lage, ein Urteil zu fällen

Nach den ersten fünf Verhandlungstagen war die Beweisaufnahme geschlossen, die Plädoyers gesprochen, das Gericht ging in die Beratung — und sah sich außerstande, ein Urteil zu fällen. Der Grund blieb Beratungsgeheimnis. Allerdings mußte sich das Gericht bis dahin einzig auf die Aussage des geständigen Joachim R. verlassen, Thomas K. berief sich auf einen „Filmriß“. Zuvor hatten die Richter sich geweigert, das Opfer zu hören. Esther M. lebt in einer betreuten Wohngemeinschaft und ist psychisch labil: „Das Gericht ist nicht zum Therapieren da“, befand Richter Oetken. Staatsanwältin Claudia Traub dazu: „Man wollte sie nicht hören, weil man sie für bekloppt hält.“

So ließ sich das komplizierte Verhältnis der beiden Männer und der Frau nicht klären: Was hatte Esther M. aus „Liebe“ zu Joachim R. getan, wann fing der sexuelle Mißbrauch an? Auch die Frage nach dem Alkoholeinfluß stand noch im Raum: „Völlig besoffen“ seien sie an diesem Tag gewesen, hatte R. angegeben. Nach der zweiten Hauptverhandlung stellte sich heraus, daß ein Rauschtatbestand nicht gegeben war: Damit konnte eine Höchststrafe von 15 Jahren statt von 5 Jahren verhängt werden.

In der Fortsetzung des Vergewaltigungsprozesses ging es dann verstärkt um das Opfer: Es wurden zwei GutachterInnen bestellt — um die Glaubwürdigkeit der psychisch labilen Frau zu überprüfen. Nach ihrer Aussage, die nach einigem Hin und Her unter Ausschluß der Öffentlichkeit und der beiden Angeklagten stattfand bemerkte Traub: „Diese Glaubwürdigkeitsgutachten hätten wir uns sparen können — sie hat so klar geredet wie kaum ein psychisch gesunder Zeuge.“ Esther M. mußte ihre Aussage übrigens auf zwei verschiedenen Terminen machen — zwischen denen lag, aus gerichtstechnischen Gründen, ein Zeitraum von zwei Wochen.

Esther M. war mit dem jüngeren Täter befreundet: Vor der sadistischen Tat, die in einem Kornfeld in Bremen-Nord stattfand, hatte sie eine Woche lang mit den beiden Männern in einer kleinen Wohnung zusammengehaust. Dort hatte sie sich — aus Liebe zu R., wie sie selber sagt — wie ein Hund halten lassen. Sie hatte den Männern Alkohol besorgt, war für ihren Freund betteln gegangen. Und wurde bereits in der Wohnung von K. das erste Mal vergewaltigt.

Mehrfach habe sie gesagt, daß sie sich gegenüber beiden Männern hörig gefühlt habe — das nahm Verteidiger Joester zum Anlaß, „die Frage in den Raum zu stellen, ob sie masochistisch veranlagt ist: Das Nachdenken einer vergewaltigten Frau, ob sie selber mit schuld ist, halte ich für einen denkbaren Punkt der Bewältigung“.

Die Angeklagten: „Das war bestialisch“. Selbsterkenntnis oder Selbstmitleid?

“Ich verabscheue diese Tat total — wenn ich Alkohol trinke, bin ich ein Schwein.“ Den Kopf zu Boden gesenkt, nahm Thomas K. Stellung zu dem, an das er sich angeblich nicht mehr erinnern konnte: „Was ich da gelesen habe, war bestialisch.“ Er weinte. Immer wieder. „Ich habe in meinem Leben nur Scheiße gemacht — aber bis jetzt konnte ich das nicht für mich annehmen.“

Thomas K. hat etwa 20 Jahre seines Lebens im Knast verbracht, mehrfach Alkoholtherapien abgebrochen. Für ihn drohte Sicherungsverwahrung: Das heißt lebenslänglich unter Haftbedingungen bei Therapieunfähigkeit. Und die bescheinigte ihm der Leiter der forensischen Psychiatrie im ZKH-Ost, Dr. Tidtgemeyer: „Nach der Vorgeschichte habe ich größte Bedenken, daß K. es schafft“, sagte er in seinem Gutachten. „Die Rückfallmöglichkeit ist hoch.“

Insgesamt wurden drei psychologische Gutachten über die Täter und die Gruppendynamik gehört — dabei wurde eine „latente Aggressivität und Mißtrauen gegenüber Frauen“ festgestellt. Auch sei der Angeklagte Joachim R., der versucht hatte, seine Beteiligung am Geschehen herunterzuspielen, stärker beteiligt gewesen, als er habe zugeben wollen.

Die Anwälte: Ratlosigkeit, ein Deal und ein „Wenn-dann“-Antrag

“Was wir hier erlebt habe, war mit das Schlimmste, was ich in bremischen Gerichtssälen gehört habe.“ Mit dieser Wortwahl war sich Verteidiger Joester mit dem Richter und der Staatsanwältin einig — er meinte damit allerdings nicht den Tathergang, sondern die Aussagen der Gutachter: „Mit meiner Westentaschen-Psychologie eines Advokaten lassen sich die Vorgänge kaum erklären — aber die Gutachter haben zu Klärung überhaupt nichts beigetragen!“ Die Gutachter hätten lediglich simple „Ja-Nein-Psychotests“ angewandt: „Das gipfelte in der Aussage eines Gutachters, daß er nur einen Test habe machen können, weil er keine Zeit mehr gehabt habe,“ meinte Joester.

Und beantragte Joester in seinem Pladoyer für K. eine Höchsstrafe von fünf Jahren und Zwangstherapie. Sollte sich das Gericht aber für Sicherungsverwahrung entscheiden, hätte der Anwalt die Gutachter für befangen erklärt und beantragt, das Verfahren — zum dritten Mal — neu aufzurollen.

Aussichtslos sei eine Therapie im übrigen nicht. Bisher seien die abgebrochenen Therapien alle freiwillig gewesen. Dann starke Worte von Joester. Angesichts der Knast-Karriere von K., der „früher noch schlimmere Knastzeiten erlebt“ habe, meinte sein Anwalt: „Wenn Sie Menschen halten wie eine Ratte, müssen Sie sich nicht wundern, wenn sie wie eine Ratte reagieren.“ Noch seien nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden. Das sah auch das Gericht so: Wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung, sexueller Nötigung und schwerer Körperverletzung verhängte es dreieinhalb Jahre für R. und sechs Jahre Haft plus Zwangstherapie für K.: „Die formellen Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung liegen vor - und wenn noch etwas passiert, sind Sie weg vom Fenster.“

Unter den zwanzig Knastjahren von Thomas K. findet sich auch eine 1982 verhängte, fünfeinhalbjährige Haftstrafe — wegen Vergewaltigung. Susanne Kaiser