Zeugen des Golfkriegs

■ „Wiedergefundene Gesichter“, ARD, 23.00 Uhr

Kein Krieg wurde durch restriktive Zensur der Berichterstattung so kosmetisch aufbereitet wie der Golfkrieg. In wenigen Momenten nur durfte das wahrscheinlich für immer verborgen bleibende Ausmaß des Infernos in den Gesichtern einiger Beteiligter aufblitzen. Das Fernsehen verbreitete diese Momente über die ganze Welt. In ihrem Dokumentarfilm Wiedergefundene Gesichter hat Andrea Morgenthaler diese Medienauftritte von Soldaten und Opfern festgehalten und zum Ausgangspunkt einer Archäologie jener Gedanken und Empfindungen gemacht, die zu diesen Gesichtern gehören.

Am zweiten Kriegstag ging eine Filmszene durch die Medien, die einen eben vom Einsatz zurückgekehrten britischen Bomberpiloten zeigt. Als er vom Abschuß zweier Kameraden berichten will, hält er sich plötzlich die Hände vors Gesicht und weint. Von den Bildern, die veröffenlicht werden konnten, waren jene am grausamsten, die von den Bergungsarbeiten vor einem zerstörten Bunker in Baghdad berichteten. Unvergessen ist der Anblick eines jungen Mannes mit verbrannter Haut, der zitternd auf einer Bare liegt. Als schließlich im März 1991 eine Truppenmaschine mit den ersten Kriegsheimkehrern auf dem Frankfurter Flughafen landet, werden zwei telegene GIs wie im Brennglas als jubelstrahlende Sieger hervorgehoben.

Sechs Monate hat die Suche nach den Menschen gedauert, deren Sekundenauftritte die öffentliche Meinung mitgeformt und Emotionen der Fernsehzuschauer freigesetzt haben. Vor der Kamera berichten sie nun von ihrem Schicksal. Vier zu Ikonen des Golfkriegs gewordene Bilder werden zum sprechen gebracht. „Inzwischen habe ich erkannt, daß Leben etwas Wertvolles und Heiliges ist“, sagt der britische Staffelkomandeur, der einen Absturz überlebt und seitdem die Royal Airforce verlassen hat. Auf die berufliche Bestätigung, daß er sich im Ernstfall bewährt hat, möchte er dennoch nicht verzichten. Der verbrannte Junge wurde in Frankfurt behandelt. Er ist der einzige Überlebende von 300 Bunkerinsassen. Das hartes Schicksal deutet er als Bestätigung der Doktrin Saddam Husseins. Die beiden GIs stammen aus niederen sozialen Schichten. Von Armut und Drogenproblemen bedroht, bedeutete der Eintritt in die Army und die Zerstörung des Iraks für sie Existenzsicherung. „Wir sind eine Familie, und Gerorge Bush ist unser Vater“, sagt einer.

Weder Landsergeschichten noch reißerische Enthüllungen kommen zum Vorschein, sondern nur die ganz normale Widersprüchlichkeit menschlichen Verhaltens angesichts eines Krieges, der im nachhinein immer fragwürdiger wird. Andrea Morgenthaler ist ein in einer beklemmenden Nüchternheit faszinierender Dokumentarfilm gelungen, der aufzeigt, wie die Maschinerie dieses Krieges in den Köpfen der Beteiligten weiter funktioniert. Manfred Riepe