Wem nutzt es, wenn die Welt wegsieht?

■ betr.: "Mißtrauen ist angebracht", taz vom 28.2.92

betr.: „Mißtrauen ist angebracht“, Kommentar von Ömer Erzeren, taz vom 28.2. 92

Ömer Erzeren ärgert sich, daß Nachbarn wie Nichtnachbarn der transkaukasischen Republiken Armenien und Aserbaidschan im Karabach- Konflikt vermitteln wollen und zieht dann das Fazit: „Die kaukasischen Völker litten stets unter der imperialistischen Machtpolitik.“ Das bringt dem Schreiber Sympathien, denn wer ist schon für Imperialismus? Und dann schnell einen dicken Gleichheitsstrich gezogen zwischen den kaukasischen (Erzeren meint transkaukasischen) Völkern, die es jedoch in dieser Gleichheit nie gab. Die Tücke liegt im Detail.

Lassen wir mal beiseite, wer wen im Ersten Weltkrieg massakrierte und ob Emer Özeren hier nicht die alte Auschwitzlüge à la turque fortspinnt. Was die Gegenwart betrifft, liegen die Kräfteverhältnisse ebenfalls sehr unterschiedlich. Und auch die Anteile am Leiden. Der geschundenen armenischen Bevölkerung von Arzach („Karabach“) ist es jedenfalls keineswegs recht, wenn sie allein gelassen wird. Sie hat mehrfach an die internationale Öffentlichkeit, zuletzt an die UNO, appelliert. Die Motive der vermittlungswilligen Staaten mögen zweifelhaft sein. Das gilt in erster Linie für die unmittelbaren Nachbarn Iran und mehr noch für die Türkei. Aber das Leiden der seit vier Jahren eingeschlossenen, von Strom- und Wassersperren immer wieder betroffenen und nun zunehmend unbarmherziger zusammengeschossenen Einwohner Arzachs ist authentisch. Wem nutzt es, wenn die Welt wegsieht?

Der armenisch-aserbaidschanische Konflikt in und um Arzach wurde nicht allein vom russischen Kolonialismus geschaffen. Ihn aus eigenen Kräften zu lösen, sind die Konfliktparteien offenbar unfähig. Es ist weder ein Territorial- und schon gar kein Religionskrieg. Es ist ein Konflikt, der sich aus dem fehlgeschlagenen Emanzipationsversuch einer Minderheit entwickelt hat, die seit 1921 unterdrückt wird. Denn solange sind den Armeniern in Arzach elementarste Grund-, Bürger- und Minderheitenrechte vorenthalten worden. Mit seinem Beitritt zur KSZE hat sich Aserbaidschan zur Einhaltung eines recht anspruchsvollen Katalogs derartiger Rechte verpflichtet. Und wir sollen wegschauen, sollen nicht fragen dürfen, wie es die sich selbst auferlegten Verpflichtungen einhält? Als Menschenrechtlerin kann ich nur umgekehrt auf verstärkte Einmischung und kritisches Nachfragen hoffen. Alles andere spielt einer Konfliktlösung nach dem einzigen Kriterium der militärischen Überlegenheit in die Hände. Dr. Tessa Hofmann, Gesellschaft für bedrohte Völker, Koordinationsgruppe Armenien, West-Berlin