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DEBATTEEin heiliger Krieg

■ Warum Argumente im Glaubenskrieg gegen die Drogen nichts fruchten

Im 17.Jahrhundert zahlte der Fürst von Waldeck jedem Denunzianten zehn Taler, der einen Kaffetrinker anzeigte. In Lüneburg stand zur gleichen Zeit auf Tabakrauchen die Todesstrafe. Währenddessen saßen die Holländer nachmittags schon mit dem Pfeifchen im Kaffeehaus. Ob es mit dem ersten „Coffieshop“, in dem die Holländer seit über zehn Jahren straflos Haschisch rauchen, ebenso lange dauern wird? Die deutsche Obrigkeit jedenfalls hat, wie die aktuelle Cannabis-Debatte zeigt, in Sachen Genußkultur wenig dazugelernt. Wie damals, als es hieß, die Droge Kaffee treibe den Konsumenten direkt in den Wahnsinn, tauchen als Reaktion auf juristische Zweifel am Cannabis- Verbot sofort die alten Horror-Geschichten auf — von mittelalterlichen Mördern im Hanf-Rausch über die „Cannabis-Psychose“ bis zur „Einstiegsdroge“.

Die Prohibition frißt ihre Kinder

Nun ist das alles seit Jahrzehnten widerlegt. In Holland ist durch die Entkriminalisierung der Haschisch- Konsum deutlich zurückgegangen. Allein: rationale Argumente fruchten nicht in dieser Debatte — der Krieg gegen Drogen trägt die Insignien eines Glaubenskriegs, und so geht es auch bei der Diskussion um Cannabis nicht um vernünftiges Abwägen, sondern um letzte Wahrheiten. Das zeigt schon die Wortwahl, mit der die Drogenkrieger auf das Urteil des Lübecker Landgerichts reagierten; statt sich mit den bestechenden Argumenten des Richters Neskovic auseinanderzusetzen, wird Armageddon beschworen: aufweichende „Dämme gegen die Drogenflut“, „Kapitulation vor der Drogenkriminalität“, „Bankrott der Politik“, „gefährlicher Wahnsinn“ und aus dem Zentrum des Biernebels entsetzt sich Bayerns ranghöchster Rauschgiftritter Stoiber über das Ende des heiligen „Konsens“: „Wenn Richter Selbstverständlichkeiten in Frage stellen, droht sich der Rechtsstaat ad absurdum zu führen.“ Die Selbstverständlichkeiten sind ein immer schneller wachsender Berg von Leichen, sowie ein stetiges Wachstum des Elends und damit des Zwangs zur Kriminalität — Ergebnis der tödlichen Sackgasse, in die der Drogenkrieg weltweit geraten ist: er produziert längst die Opfer, die er lautstark zu retten vorgibt. Die Prohibition frißt ihre Kinder.

„Stünde Frankenstein dem Monster Marihuana gegenüber, er würde vor Schreck tot umfallen“ — so der erste US-Drogenzar Harry. J. Anslinger, dem es 1937 mit solchen Sprüchen und gegen den Einspruch der Ärzte-Vereinigung gelang, Hanf auf den Index verbotener Drogen zu setzen. Daß er dies 1970 als Jugendsünde deklarierte — „Sicher ist Marihuana eher harmlos. Aber die Sache war Beispiel dafür, daß ein Verbot die Autorität des Staates stärkt“ —, ist weniger über den großen Teich gedrungen als das Marihuana-Image vom „Mörder der Jugend“, dem hierzulande jährlich immer noch Tausende von Gerichtsverfahren geschuldet sind. Geht der oberste Rauschgiftbekämpfer der heutigen US-Regierung auf Europa-Tournee, dann spart er die Schweiz und die Niederlande aus. Dort werden nämlich Auswege aus der Sackgasse gesucht. Da hilft es auch nichts, wenn Ökonomen bis hin zum Nobelpreisträger Milton Friedman glasklar vorrechnen, daß die Drogen-Prohibition finanz- und gesundheitspolitisch mehr Schaden verursacht als verhütet und in Kürze unbezahlbar sein wird — gegen Nützlichkeitsdenken sind heilige Krieger bekanntlich immun. Was zählt ist die Einheitsfront des Glaubens — und da muß das Lübecker Urteil in der Tat wie „Wehrkraftzersetzung“ wirken.

Entsprechend fielen die Ritter von der Drogenfront auch über den Richter her: der Gerichtspräsident mußte aufgebrachten Politikern schon mit Strafverfolgung drohen, um ihren Invektiven Einhalt zu gebieten. Aber ginge es mit rechten Dingen zu, gehörte eigentlich auch bestraft, was der „Fachverband Drogen und Rauschgift“ — mit 120 Hilfseinrichtungen Groß-Lobbyist des Prohibitions-Elends, an Dummheit äußerte: Daß nämlich Haschisch ein Suchtmittel sei und „keinesfalls wie Schokololade zu betrachten.“ Abgesehen davon, daß das Suchtmittel Zucker (Einstiegsdroge: Baby-Tee!) viel größere Schäden für die „Volksgesundheit“ mit sich bringt als das Suchtmittel Haschisch, offenbart der Schokoladenwitz das erbärmliche Niveau der Verbotspolitik. „Alles ist Gift, allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist“ — das Plädoyer des Volksarztes Paracelsus für den richtigen Umgang mit den Giften stammt aus dem Mittelalter.

Die Droge als Ikone des Bösen

Doch die Drogenkrieger des 20.Jahrunderts sind von derlei Rationalität und Differenzierung weit entfernt. Die Droge ist die Ikone des Bösen, der Dealer der Dämon schlechthin — diese Mythologie reicht tiefer als der Stoff, aus dem die Hollywood-Krimis sind. Wahrscheinlich zurück bis zu dem Punkt, als Eva im Paradies gerade zur bewußtseinsverändernden Pflanze griff, und prompt in eine BTM-Razzia geriet. Am Anfang aller strafenden Autorität steht ein Drogendelikt. Noch durch die protestantisch-fortschrittliche Praxis der Methadon- Vergabe weht die Mentalität des alttestamentarischen strafenden Gottes, der dem Sünder nur das dumpfe Double, nicht aber den Kick des Originals gewährt. Wenn der drogenpolitische Sprecher der Bonner Christenfraktion zur Cannabisfreigabe bekundet, der „Staat“ könne nicht zum „Dealer werden“, dann hat ihn der heilige Ekel nicht wegen der 40.000 Alkoholtoten gepackt, die Papa Staat per annum zum letzten Mal abkassiert, sondern wegen der bösen Schlange, die seine Autorität untergräbt.

Das „Recht auf Rausch“, dessen möglichst freizügige und gesundheitsschonende Entfaltung das Lübecker Urteil einklagt, jagt Ordnungspolitikern von heute noch denselben Angstschweiß ein wie zu Zeiten des Fürsten Waldeck und treibt selbst Liberale in den Kulturunsinn: „Alkohol“, so der FDP-Rechtsexperte Burkhard Hirsch, sei „ein natürliches Rauschmittel“, während Cannabis kulturfremd usw... Vor 20 Jahren meinte die damalige Gesundheitsministerin Antje Huber entsprechend: „Alkohol wird getrunken, um in Stimmung zu kommen, während es den Haschern auf den Rausch ankommt.“ Nun hat sich in der Zwischenzeit das Haschisch, wie vor ihm viele andere „orientalische“ Genußmittel, fest etabliert und ist in Deutschland dank der GI's mittlerweile so kulturfremd wie die Pizza — doch kein Argument ist verstaubt genug, um nicht erneut und mit heiligem Zorn in die Debatte geworfen zu werden.

Dem „Kraut der Armen“ endlich Gerechtigkeit?

Bahnt sich mit dem Lübecker Cannabis-Urteil die längst überfällige „Wende in der Drogenpolitik“ an? „Wenn das Verfassungsgericht in die Details geht“, so der Richter Wolfgang Neskovic, „habe ich gute Chancen, mit meiner Auffassung durchzukommen“. Nur, was heißt das? Die hysterischen Reaktionen vor allem aus dem Regierungslager deuten es an: in Sachen Drogen „in die Details gehen“ ist schon die eigentliche Sünde — ging denn ein Inquisitionsgericht etwa in Fragen der Jungfrauengeburt jemals ins Detail?

Selbst die Freigabe sämtlicher Rauschgifte könnte das Drogenproblem nicht lösen — doch es wäre die Basis geschaffen, auf der eine Lösung überhaupt möglich wird. Denn daß der heilige Krieg als End-Lösung der Drogenfrage nur die Friedhöfe, Gefängnisse und die Säckel der Mafia füllt, kann kein halbwegs vernünftiger Beobachter übersehen. Deutschland, das die Welt einst mit so famosen Stoffen wie Heroin (Bayer KG, Elberfeld) und Kokain (Merck KG, Darmstadt) beglückte, hätte allen Grund, in der Entsorgung dieser Giftgeschäfte international voranzuschreiten. Es am Beispiel des Hanfs, einer seit mindestens 12.000 Jahren gebräuchlichen Naturdroge, zu tun, ziemte sich für die Pharma-Export-Nation Nr. 1 nicht schlecht: Am „Kraut der Armen“, das erst von den Segnungen des Industriezeitalters als meistverschriebene Universalmedizin verdrängt wurde, läßt sich legal nämlich kaum mehr verdienen als mit Kartoffeln. Es wächst auf jedem Acker... Mathias Bröckers

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