: Messe für Gabelstapler-Produzenten
Leipzig versucht, mit neuem Fach- und Öko-Konzept den 827 Jahre alten Messestandort zu retten ■ Aus Leipzig Heide Platen
Margarethe Zielke redet sich in Zorn. Die ganze „scheene Messe“ ist nicht mehr. Jedes Jahr im Frühjahr und Herbst hat sie in ihrem Siedlungshaus bei Leipzig Zimmer vermietet, „noch und nöcher“. Und nun? Rund 600.000 Einwohner hat die traditionsreiche Messestadt an der Pleiße, fast ebenso viele Messebesucher kamen jedes Jahr im Frühling. Und im Herbst noch einmal 300.000. Das waren, sagt Geschäftsführer Uwe Görlt anläßlich des Messebeginns, allerdings die offiziellen „globalen Zahlen“, deren Authentizität er vorsichtig anzweifelt.
Die Vorsitzende der neuen Messe-Geschäftsführung, Cornelia Wohlfahrt versucht, die von einst 9.000 (SED-Angabe) über 3.160 im vergangenen Jahr auf 1.500 gesunkenen Ausstelleranmeldungen aus der Vergangenheit heraus zu interpretieren. Westliche Anbieter hätten Vorurteile gegen Leipzig, weil sie, um mit den Ostblockstaaten Verträge abschließen zu dürfen, „immer nach Leipzig kommen mußten“. Diese Zwangsverpflichtung wirke jetzt eben negativ nach. Eine Prognose darüber, wie die Messe vom Publikum aufgenommen werden wird, wagen weder Görlt noch sein Kollege Siegfried Mattern zu geben. Dies sei „schlichtweg objektiv unmöglich“. Die Frühjahrsmesse nennen sie vorsichtshalber ein „Experiment“ mit unbekanntem Ausgang.
Die Messe hat sich nicht nur vom „Leipziger Allerlei“, der Universalmesse für die neugierige und staunende Bevölkerung, in eine Industriemesse gewandelt. Sie hat sich den Schwerpunkt Umweltschutz verordnet und ist dreigeteilt in „Terratec“, „Unitec“ und „Translogo“, also Umwelt-, Industrie- und Verkehrstechnik. Pressesprecherin Brigitte Huhn hofft: „Leipzig wird der Umweltschutz-Messeplatz.“ Das Angebot sei ganz an den „Bedürfnissen der Bevölkerung hier ausgerichtet“. Leipzig werde eine „Vorreiterrolle spielen“ und außerdem, in Konkurrenz zu Frankfurt und Hannover, mit den Pfunden wuchern, die es traditionell — seit dem Jahr 1165 — hat: Kontakte nach Osteuropa.
1.500 Gäste aus der GUS, aus Polen, Ungarn, der CSFR sind geladen. Es gibt einen Messeflugdienst Moskau-St.Petersburg-Leipzig. Das Ost-West-Kontaktzentrum soll die Begegnung befördern. Huhn sieht das als „Investition in die Zukunft“: „Die reisen hierher und nicht zu einer westdeutschen Fachmesse.“
Die Anbieter kommen vorwiegend aus dem sächsischen Raum, aus Thüringen und Sachsen-Anhalt. Mattern erklärt die geringe Beteiligung von nur 23 Ländern vor allem damit, daß das Messejahr 1992 für Anbieter aus der EG zu knapp terminiert gewesen sei, um sich die Reise aus dem Export-Förderungstopf noch subventionieren lassen zu können. Die Messe bietet außerdem im „Dialog 92“ 125 Vorträge, Seminare und Fortbildungsveranstaltungen für das Publikum an.
Die Messebereiche sind in den Farben Violett, Grün und Blau gekennzeichnet. Daß Leipzig einen schweren Gang in die industrielle wie ökologische Zukunft geht, ist mit den Füßen zu erarbeiten. Die Angebote in Umwelttechnik und -schutz unterscheiden sich nur wenig von denen in den Hallen für Indstrie- und für Verkehrstechnik. Ein oberflächlicher Blick läßt den Eindruck zurück: Dies ist die Fachmesse für Gabelstapler-Produzenten. Da wird allzu vieles für mittlere und kleinere Industriebetriebe angeboten, das einen Zusammenhang zu ökologischer Produktion nicht erkennen läßt.
Meß- und Regeltechnik, computerkontrollierte Produktionsprozesse, in denen zum Beispiel Strom- und Wasserverbrauch registriert und somit reduziert werden können, sind gut präsentiert und noch am ehesten in diesen Kontext einzuordnen. Auch, daß es dafür Kabel und Stecker-Hersteller braucht, leuchtet ein. Baugeräte, Pumpen aller Art und Maschinen für den Braunkohletagebau geben in Sachen Umweltschutz eher Rätsel auf, zumal die meisten Firmen weder ihre möglicherweise umweltfreundlichen Produktionsmethoden ausweisen noch erläutern, was ihre Produkte als zukunftsweisend auszeichnet.
Die Tendenz ist eher defensiv. Schadstoffe werden durch widerstandsfähigere Plastikröhren und Abdichtungen strenger von der Umgebung getrennt. Frühwarnsysteme warnen, filtern, sichern, messen schon eingetretene Schäden und beseitigen sie im Blitzeinsatz. Darüber kann auch der Stand des Verkehrsministers Krause, der von einem Dia lächelt, nicht hinwegtäuschen: Die westdeutsche Großindustrie schwimmt in Leipzig ganz oben auf der sanften Welle mit platzsparenden Chemieverpackungen und Transportkosten senkenden Preßanlagen für Abfallballen. Über allem schwebt am zweiten Aufbautag der Duft von Abgas und Lacken. Und eine Versicherungsgesellschaft empfiehlt sich klassisch: „Das beste ist eine gute Versicherung.“
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