Metallharte Doppelmoral

■ In Berliner Betrieben herrscht helle Aufregung: Die IG Metall hat eindeutige Beschlüsse gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gefaßt, doch im eigenen Haus weigert sie sich durchzugreifen. Jetzt ermittelt...

Metallharte Doppelmoral In Berliner Betrieben herrscht helle Aufregung: Die IG Metall hat eindeutige Beschlüsse gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gefaßt, doch im eigenen Haus weigert sie sich durchzugreifen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.

VON UTE SCHEUB

Das können wir nur begrüßen. Solche Kollegen gehören vor die Tür gesetzt“, kommentierte zufrieden ein Gewerkschaftssekretär, als das Berliner Landesarbeitsgericht im Mai 1991 die Kündigung eines Metzgermeisters bestätigte. Daß dieser seine Kolleginnen wiederholt in Busen und Po gekniffen hatte, werteten die Richter als „Störung des Betriebsfriedens“. Doch was in einem Lebensmittelunternehmen möglich war, stellt sich jetzt als unmöglich heraus, nachdem ein Gewerkschaftssekretär selbst als Täter angesehen werden mußte. Die Chefs der Berliner IG-Metall-Verwaltungsstelle weigern sich, einem Mitarbeiter zu kündigen, der sogar der Vergewaltigung ohne Penetration beschuldigt wurde.

Eine der Frauen in der Verwaltungsstelle hatte einen Politischen Sekretär der Gewerkschaft bezichtigt, sie nach einer Betriebsfeier am 29. November 1991 im Auto gewürgt und zu oralem Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. Die Polizei habe sie in verwirrtem Zustand nach Hause fahren müssen. Dieser Vorfall dürfte der schlimmste, aber nicht der erste in einer ganzen Reihe gewesen sein. Denn in der ersten Dezemberwoche wurde der aus drei Frauen bestehende Betriebsrat, wie er später in einem Schreiben an alle MitarbeiterInnen formulierte, „von mehreren betroffenen Frauen angesprochen, daß es durch einen unserer Beschäftigten zu sexuellen Belästigungen gekommen ist“.

Für die IG Metall war der Fall hochnotpeinlich. Immerhin hat sie sich als erste Einzelgewerkschaft den Kampf gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auf ihre Fahnen geheftet, und nun schien sich einer ihrer Politischen Sekretäre dem Kampf für sexuelle Belästigung und Schlimmerem verschrieben zu haben. Bei einer „Gegenüberstellung“ mit dem Opfer behauptete er allerdings, es sei gegenseitige Zuneigung im Spiel gewesen. Kurz vor Weihnachten wurde er bis auf weiteres beurlaubt.

Eigentlich hätte selbstverständlich sein müssen, die gesamte IGM- Ortsverwaltung zu diesem Zeitpunkt zu informieren — auch um die Frage einer Kündigung zu erörtern. Manfred Foede und Volker Fiebig, die beiden Bevollmächtigten der Verwaltungsstelle, hätten sich in solch einem Fall nicht nur auf den zitierten Berliner Richterspruch, sondern auch auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom Januar 1986 berufen können. Die Richter hatten die fristlose Kündigung eines Ausbilders wegen „Störung des Betriebsfriedens“ für rechtens erklärt, der einem Lehrmädchen Pornohefte gezeigt hatte. Außerdem hätten die beiden auf den Tendenzschutz für Gewerkschaften verweisen können, der bei gravierenden Abweichungen von der politischen Linie einen Rausschmiß erlaubt. Zum dritten hätten sie sich überlegen müssen, ob sie nicht wegen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber allen Mitarbeiterinnen von sich aus eine Strafanzeige erstatten.

Doch nichts von alldem geschah. Im Gegenteil: Der Fall sollte offenbar über Monate geheimgehalten werden. Das scheiterte jedoch, als Ende Januar im Lokalteil der taz ein erster Artikel erschien. Der Frauenausschuß der IG Metall forderte daraufhin die Kündigung des Mannes, die Frauenausschüsse von DGB, HBV und ÖTV schlossen sich an. Und unter der Überschrift „Sexuelle Nötigung — in der IG Metall nur ein Kavaliersdelikt?“ kursiert inzwischen eine Unterschriftensammlung unter Gewerkschafterinnen. Zitat: „Die vermeintliche Hilfeleistung, die dem Mann gewährt werden soll, ist Ausdruck der plumpen Männerkumpanei“.

Dieser Verdacht scheint in der Tat berechtigt. Zu einer Ortsverwaltungssitzung am 4. Februar wurde extra der höchste Arbeitsrechtsexperte der Bundesgewerkschaft, ihr Justitiar Michael Kittner, aus Frankfurt eingeflogen. Er riet von einer „Verdachtskündigung“ ab. Beschluß also: Der Beschuldigte wird versetzt. Der eingeschaltete Frankfurter Hauptvorstand solle ihm eine neue Arbeitsstelle suchen. Der Mann wird demnächst in einer kleinen Stadt nördlich von Berlin weiterwirken.

Es bedurfte einer weiteren Februarwoche und des Drucks durch diverse Presseveröffentlichungen, bis die Geschäftsleitung eine windelweiche und in sich widersprüchliche Erklärung abgab: Von der Unschuld des Kollegen sei „bis zum Beweis des Gegenteils auszugehen“, hieß es darin, obwohl die Bezirksbevollmächtigten gleichzeitig versicherten, daß „die Glaubwürdigkeit der Aussage der Kollegin nicht angezweifelt wurde“. Im übrigen, behaupteten sie, handele es sich „um einen erstmaligen, äußerst bedauerlichen Vorfall, der sich außerhalb der Verwaltungsstelle und außerhalb der Arbeitszeit zugetragen hat“. Ist ein Politischer Sekretär nach 16 oder 18 Uhr keiner mehr? fragten sich verwundert viele Berliner GewerkschafterInnen.

Und während man(n) noch in der Verwaltungsstelle die taz-Informanten herauszufinden versuchte, um sie gegebenfalls zu disziplinieren, ermittelte auf Grundlage der taz-Artikel schon die Staatsanwaltschaft gegen den Sekretär. Allerdings soll inzwischen auch der Mann selbst Strafanzeige gegen den Ortsjugendausschuß der IG Metall gestellt haben, weil dieser in einem offenen Brief seinen vollen Namen genannt hatte.

Fazit des Lehrstücks: Geheimhalten verschlimmert alles nur. Durch denkbar dummes und doppelmoralisches Taktieren hat es die Geschäftsführung geschafft, den Vorfall überhaupt erst zu einem Skandalfall der IG Metall zu machen.