Krach auf Mielkes Verteidigerbank

Verfassungsschutz wittert Mordkomplott gegen den Ex-Stasi-Chef Erich Mielke/ Mielke schweigt weiter/ Schnelles Mandat für den Nachfolger des geflüchteten Wahlverteidigers Wetzenstein  ■ Aus Berlin Heide Platen

Erich Mielke brach auch gestern sein Schweigen nicht. Still und unbehütet hockte er in seinem Glaskasten hinter den Verteidigern Dreyling und Graubner und dem neu hinzugekommenen Rechtsanwalt König, die offensichtlich bei der Verteidigungsstrategie in unterschiedliche Richtungen gehen wollen. Sie lieferten sich auf der Verteidigerbank ein heftiges Rededuell. Pflichtverteidiger Dreyling interpretierte Mielkes Schweigen, dessen Ende er selbst vollmundig angekündigt hatte, als Intrige von außen. Wenn auch unausgesprochen, stimmte er damit mit einer Berliner Boulevardzeitung überein, die gestern unter Berufung auf den Verfassungsschutz ein Mordkomplott gegen Mielke durch „zwei Stasi-Seilschaften“ angekündigt hatte: „Mielke nächsten Mittwoch tot“.

Dreyling teilte dem Gericht mit, daß neuerdings seine sämtlichen Telefonleitungen blockiert seien. Er griff dann den für den wegen Millionenbetrugs verdächtigten und untergetauchten vormaligen Wahlverteidiger Mielkes, Wetzenstein-Ollenschläger, eingesprungenen Rechtsanwalt Stefan König an. Dieser, so Dreyling, habe sich das Mandat kurzfristig „erschlichen“ und auf der Verteidigerbank nichts zu suchen. Dies gelte ebenso für einen Kanzleimitarbeiter, der vormals für Wetzenstein im Gerichtssaal saß und der jetzt Wahlverteidiger Graubner zuarbeitet. Vorsitzender Richter Theodor Seidel versuchte sich vergeblich als Schlichter. Er bestätigte den neuen Anwalt König, merkte aber an, daß bei der Mandatserteilung durch Mielke „vielleicht etwas nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen“ sein könne. König nannte die Auseinandersetzung knapp „ein unwürdiges Spektakel“.

Für die nur halbstündige Prozeßdauer hatte gestern der Fund neuer Akten gesorgt, die sich mit der eigentlich angeklagten Tat, der Erschießung von zwei Polizisten am 9. August 1931 in Berlin, befaßte. Die neuen Akten, erläuterten Gericht und Staatsanwaltschaft, seien nicht identisch mit jenen, die im Zuge des Ermittlungsverfahrens verschwunden waren, sondern vom Gericht neu entdeckt. Sie lagerten in den Archiven unter dem Namen eines damals Geschädigten, der 1970 einen Antrag auf Entschädigung gestellt hatte, und müssen den Verfahrensbeteiligten erst noch zugänglich gemacht werden.

Die anschließende Verlesung des Vernehmungsprotokolls des bei der Schießerei mit Arbeitern am Tattag 1931 verletzten Polizisten Willig brachte keine konkreten Hinweise auf die Täter. Willig hatte 1933 zu Protokoll gegeben, er habe niemanden erkennen können, seinerseits aber, nachdem sein Vorgesetzer Paul Anlauf, Spitzname „Schweinebacke“, tödlich getroffen zu Boden ging, ein Magazin aus seiner Pistole in die kurz vorher noch friedlich flanierende Menschenmenge abgefeuert.

In dem Verfahren gegen 15 Angeklagte waren 1933 drei Männer zum Tode verurteilt, einer von ihnen hingerichtet worden. Mielke, der zusammen mit seinem Genossen Erich Ziemer als Haupttäter galt, hatte sich aus dem Moskauer Exil zur Entlastung der damals Angeklagten selbst bezichtigt. In einem Zeitungsinterview vom vergangenen Wochenende erklärte er dagegen, in Wirklichkeit sei er damals aus Angst weggerannt.