Im Meer von Rot-Gelb

■ „Wer ist hier eigentlich zu Hause, Ihr oder wir?“ Bengalische Feuer bei Werder

Im Stadion brodelte es schon eine Stunde vor Anpfiff. Im größten Bremer Fußballfest seit der Lachnummer von Diego Maradona machten die Grün-Weißen auf den Rängen keinen Stich. Im Meer von gelb und rot wirkten die Werder-Anhänger mit ihren paar Fähnchen in der Ostkurve wie ein rührend verlorenes Häuflein. Galatasaray schlägt Werder mit 50 Dezibel. Der Stadionsprecher Christian Günter hätte auch zu Hause bleiben können. Von seinen Ansagen waren bestenfalls Wortfetzen zu verstehen. Ruhe kehrte erst ein, wenn sein türkischer Kollege dran war. Nur einmal kamen die Deutschen akustisch so richtig groß raus: Während der Schweigeminute für die Opfer des Grubenunglücks in der Türkei krakeelte ein Teil der Ostkurve weiter.

Die Westkurve und die Hälfte der Nordgeraden, das war ein Hexenkessel für einen Abend. Und alle, alle waren gekommen. Vom distinguierten Geschäftsmann bis zu Malocher: Kaum wurde der erste Galatasaray-Spieler gesichtet, steigerte sich der Jubel zum Orkan. Die Bremer Kicker dagegen werden sich kaum an ein gellenderes Pfeifkonzert im eigenen Stadion erinnern können. Dabei war das doch erst das Warmlaufen. La Ola versandete im drögen Bremer Teil der Nordgeraden, im Anfeuerungspingpong zwischen Gerade und Kurve steigerte sich die Stimmung ins Unermeßliche.

„Wer ist hier eigentlich zu Hause, Ihr oder wir“, fragt einer von den rot-gelb Geschminkten in der Reihe hinter uns. Recht hat er, und er lacht. „Nicht für Anhänger des SV Werder“, hatte auf der Karte gestanden. Ibrahim Sczveckys, bulgarisierter Türke, hatte gewarnt, sich mitten in den Fanblock zu begeben. „So ein Schmarrn“, hatte der türkische Kartenverkäufer gekontert, „da geht jetzt eh alles durcheinander.“ So wars dann auch. Da hat auch das Transparent in der Ostkurve nichts ausgemacht: „Türken Raus“ auf türkisch. Mehr als ein müdes Grinsen rangen sich die türkischen Fans nicht ab.

Einmal wurde es dann doch noch hitzig. Als das bengalische Feuerwerk zum Spielbeginn schon längst abgebrannt war, wurde die Polizei im Innenraum munter. Mitten im türkischen Fanblock entrollten etwa 40 Anhänger der Kurdischen Arbeiterpartei PKK ihre Fahnen und skandierten Parolen. Das brachte die türkischen Fans derart in Harnisch, daß schon nach kürzester Zeit die ersten Raufhändel losgingen und Knallkörper flogen. Minutenlang war das Spielgeschehen Nebensache. „PKK raus“, zuerst auf türkisch, dann auf deutsch, und dann gab es standing ovations für die deutsche Polizei, die die PKK-Gruppe aus dem Stadion begleitete.

Mit dem Herzen zurück auf dem Spielfeld: wie groß war da die Begeisterung, als mitten in die Bremer Drangperiode der Führungstreffer für Galatasaray fiel, wie bitter war der Bremer Ausgleich, zu schweigen vom glücklichen 2:1. „Mach Schluß, wir müssen noch nach Nürnberg. Ich hab morgen Frühschicht“, stöhnte einer von hinten. Da hatte der Schiedsrichter ein Einsehen und das Fest war um. Aber schön wars. J.G.