Du bist die Rotweinspur

■ Wie der große Dichter Hans Carl Artmann bei Seinsoths lustig wurde

hierhin bitte

das Portrait

von dem alten Herrn

mit Schnauzbart

H. C. ArtmannFoto: Jörg Oberheide

O Jegerl, der HC! Alt is er worden und nuschelig, er, der Sprachmagus: Früher genügte ein einziger Blitz aus seinen wasserblauen Augen, und das schönste Partizip Präsens legte sich im Passiv zu seinen Füßen. Heute liest er vor allem aus alten Zeiten, und hier bei Seinsoths, wir schreiben ei

nen denkwürdigen Mittwoch, umlagert ihn immerhin eine Verehrerschar. Voll wie selten ist das Antiquariat Beim Steinernen Kreuz; sogar der Heimatsender hat noch Mikrophone übrig für einen Großen.

Lange liest er so dahin, der Dichter, Wunderbares und Langweiliges nacheinander; er kann es nicht unterscheiden, er konnte es nie. H. C. Artmann, der Oberromantiker unter den Avantgardisten, hat zur Sprache ein Verhältnis wie der röm.-kath. Sünder zu seiner Religion: eine ziemlich ausschweifende und umso blindere Liebe zum Experiment.

Lange liest er so dahin, der Dichter, undeutlich, wenig achtsam, huscht von Robin zu Batman, fabuliert über die erste Teekanne in Amerika, läßt einstmals polierte Worte fallen ganz nebenher; und während schließlich die Gemeinde, wie es sich gehört, ab und zu einnickt, sieht er wirklich aus wie ein alter, von allen Häresien geläuterter Diakon, welcher der Sprache seine abendliche Andacht liest.

Aber dann, endlich, kredenzt man ihm das geforderte Bier, und sogleich erblüht der Siebzigjährige zu dem launigen Hallodri, der, soweit es poetisch war, unser ganzes Leben begleitet hat: med ana schwoazzn Dintn oder auch einem Lilienweißen Brief aus Lincolnshire oder auch passenden Kinderreimen: Daumenlanger Hansel, schädelrunde Dirn / Gehn wir in das Schauhaus, tauschen wir das Hirn! usw.

Da war er wieder und fuchtelte und gurrte, der Meister Artmann, der aus vielen Sprachen, und notfalls erfundenen, sein großes Ringlgschbüü zauberte, da war er wieder, der Fabulant, den wir allerdings vor allem liebten, weil er nebenbei so schlichte wahre Sätze schuf, auf die wir angesichts von Nachbars Michaela leider nie gekommen sind: Du bist die Rotweinspur auf einem Liebesbrief, zum Beispiel. Langes Leben, HC! schak