Schlechte Karten für Bleichgesichter

Ärzte befürchten einen vehementen Anstieg der Hautkrebserkrankungen als Folge der Ozon-Ausdünnung in der Stratosphäre  ■ Von Gerd Rosenkranz

An den weißen Traumstränden der australischen Ostküste erwartet Sonnenhungrige seit einigen Jahren eine neue, zugegeben etwas ernüchternde Attraktion: Zwischen Erfrischungsbuden und Surf-Brett-Verleih sitzen Hautärzte in Holzhäuschen und informieren über die Gefahren des Sonnenbadens im Zeitalter des Ozonlochs. Seit Wissenschaftler der US-Raumfahrtbehörde Nasa vor Monatsfrist Alarm schlugen und einen kräftigen Ozonlochfraß erstmals auch an den Himmel der Nordhalbkugel malten, scheint es nur eine Frage der Zeit, wann Dermatologen auch in den „Touristen-Grills“ Europas und Amerikas Einzug halten.

Das Menetekel, das am vergangenen Wochenende auch den 10. Kongreß der „Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW)“ in Berlin beschäftigte, läßt in der Tat an Dramatik nichts zu wünschen übrig. Lester Brown, Präsident des renommierten Washingtoner World Watch Instituts, rechnet für die kommenden fünfzig Jahre allein in den USA mit 200.000 zusätzlichen Hautkrebsfällen aufgrund der beschleunigten Vernichtung der Ozonschicht. „Weltweit“, mahnte Brown in Berlin, „stehen Millionen Menschenleben auf dem Spiel.“

Tatsächlich ist seit langem bekannt, daß ein bestimmter Spektralbereich des nicht sichtbaren, ultravioletten Sonnenlichts zu den wichtigsten auslösenden Faktoren verschiedener Formen des Hautkrebses gehört. Gegen diese sogenannte UV- B-Strahlung mit einer Wellenlänge von 280 bis 320 Nanometer (Milliardstel Meter) bildete die Ozonschicht in der Stratosphäre bisher einen wirksamen Schutzschild. Nur ein geringer Anteil der Strahlen erreichte die Erdoberfläche. Die Wissenschaftler fürchten, daß schon bei einer Ausdünnung des stratosphärischen Ozons um ein Prozent die Hautkrebserkrankungen jährlich um 2,7 Prozent zunehmen. Frank-Matthias Schaart, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin, nannte beim IPPNW-Kongreß für Europa Schätzungen von 1.000 zusätzlichen Fällen im Jahr pro Prozent Ozonverlust. In Australien gehe man sogar von jährlich 10.000 zusätzlichen Hautkrebspatienten aus.

Daß die Erwartungen der Wissenschaftler realistisch sind, zeigt die Entwicklung der Vergangenheit. Die Häufigkeit des sogenannten „schwarzen Hautkrebses“ (Malignes Melanom) verdoppelt sich in Deutschland alle 15 Jahre. Die Hautkarzinome stehen hierzulande schon an zweiter Stelle aller bösartigen Tumore, bei Männern nur noch übertroffen von Lungenkrebs, bei Frauen von Brustkrebs. Die rasante Zunahme wird von den Ärzten bisher allerdings vor allem geänderten Lebensgewohnheiten und wachsendem Wohlstand zugeschrieben: Nie zuvor ließen sich soviele Deutsche an den Stränden dieser Welt soviele Tage die Sonne auf den Bauch knallen. Und die grassierende Schönheitspflege in Sonnenbänken? Die Betreiber solcher Wohlstandsetablissements weisen natürlich jede Mitschuld weit von sich. Bei ihnen werde die Haut der Kunden nur kontrolliert malträtiert. Am Klinikum Steglitz, wo seit einigen Jahren auch das „deutsche Hautkrebsregister“ geführt wird, ist man offenbar skeptisch. „Wir raten grundsätzlich jedem davon ab, in Sonnenbänke zu gehen“, sagt Schaart.

Ob die aktuelle Zunahme der Hautkrebsfälle in unseren Breiten schon etwas mit der Zerstörung der Ozonschicht zu tun hat, kann niemand mit Bestimmtheit sagen. „Noch ist eine Hautkrebsepidemie durch das Ozonloch nicht nachweisbar“, räumt Schaart ein. Als Entwarnung will er die Aussage keinesfalls verstanden wissen. Immerhin ist die Ozonkonzentration in den hohen Atmosphärenschichten bis 1988 im weltweiten Mittel schon um zwei bis drei Prozent zurückgegangen. Bis zum Jahr 2030 rechnen die Wissenschaftler mit einer Reduzierung um sechs Prozent und bis 2050 um zehn Prozent. An dieser Prognose wird sich selbst dann nur wenig ändern, wenn der weltweite Produktionsstopp der hauptverantwortlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) binnen weniger Jahre tatsächlich gelingt. Bis zu 110 Jahre „überleben“ die extrem beständigen Ozonkiller in der Atmosphäre.

Besonders gefährdet an Hautkrebs zu erkranken sind schon heute die europäischen und amerikanischen Bleichgesichter. Insbesondere, wenn sie sich häufig in Regionen mit ohnehin erhöhter Sonneneinstrahlung wie den Südstaaten der USA oder Australien aufhalten. Vor allem sollten hellhäutige, rothaarige „Boris-Becker-Typen“ ihre — ohnehin zum Scheitern verurteilten — Versuche einstellen, durch extensives Sonnenbaden, eine „gesunde“ Bräune auf die Haut zu locken. Ihr Krebsrisiko liegt bis zu achtmal höher als das der anderen „Hauttypen“.

Er habe in seiner Klinik schon Zwanzigjährige an der furchtbaren Krankheit sterben sehen, sagt Schaart. Und man merkt, daß das nicht spurlos an dem jungen Arzt vorübergegangen ist. „Bleibt uns keine Wahl? Müssen wir künftig die wohlige Sonnenwärme meiden?“ Diese Patientenfrage bringe ihn immer wieder „in die Bredouille“, weil er „selbst auch gern in der Sonne liegt“. Doch unausweichliches Schicksal sei die bösartige Hautkrankheit auch in Zeiten des Ozonlochs nicht. Vor allem müsse man im Urlaub „unbedingt darauf achten, ohne Sonnenbrand davonzukommen“. Sonnencremes mit zweistelligen Lichtschutzfaktoren sind angesagt, besonders bei Kindern und Jugendlichen. Denn zu den wenigen wirklich gesicherten Erkenntnissen gehört, daß das Risiko, später am „schwarzen Hautkrebs“ zu erkranken, mit der Zahl der Sonnenbrände in der Jugend rapide ansteigt.

Lauter als bisher Alarm schlagen, darüber waren sich alle in Berlin einig, ist das Gebot der Stunde — und der Aufstand gegen die Ozonkiller.