Springer frißt seine Stiefkinder

Mit dem 'Spandauer Volksblatt‘ trägt der Konzern die zweite Berliner Tageszeitung zu Grabe  ■ Von Claus Christian Malzahn

Berlin (taz) — Der Kampf um die LeserInnen hat in Berlin innerhalb von neun Monaten sein zweites Opfer gefordert. Ohne Vorwarnung hatte die Verlagsleitung des 'Spandauer Volksblatts‘ vor einer Woche angekündigt, die kleine Tageszeitung in eine wöchentlich erscheinende Heimatzeitung umwandeln zu wollen. Betriebsrat, Gewerkschaft und Belegschaft sprechen von einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ des Verlegers — noch am Tag vor Bekanntgabe der Entscheidung hatte die Geschäftsleitung eine Umstellung des Blattes heftig dementiert.

Nachdem der Springer-Verlag im Juni 1991 schon den Ostberliner 'Morgen‘ eingestellt hatte, war der Pressegigant nun auch daran beteiligt, dem 'SpaVo‘ sein Grab zu schaufeln. Vor zwei Jahren stieg Springer mit 24,9 Prozent in den angeschlagenen Spandauer Verlag ein. Die Hoffnung der Verleger, der Untergang der kleinen, einst renommierten sozialdemokratisch orientierten Tageszeitung könne damit aufgehalten werden, erfüllte sich nicht. Mehrere tausend LeserInnen bestellten das Blatt ab: Sie hatten das 'SpaVo‘ in den 70er und 80er Jahren abonniert, weil sie es für eine Alternative zum damals konservativen 'Tagesspiegel‘ hielten. Ein „linkes“ Blatt, an dem Springer beteiligt ist, wollten sie nicht mehr lesen. Mit diesen Verlusten hatte die Verlagsleitung gerechnet, sie wollte sie durch Zuwächse im Havelland, das an den Randbezirk Spandau angrenzt, wieder ausgleichen. Doch die potentiellen LeserInnen aus dem Berliner Umland interessierten sich überhaupt nicht für das neue Blatt, die Auflage sackte weiter ab.

Am vergangenen Mittwoch versammelte sich die Belegschaft des in Abwicklung befindlichen Verlages im Spandauer Ratskeller. Empörung wollte nicht recht aufkommen. Die Forderung des Betriebsrates, die Zeitung sofort wieder täglich erscheinen zu lassen, das 'SpaVo‘ am besten in die Hände der Beschäftigten zu geben, ist rhetorisch — auch die Angestellten haben kein erfolgversprechendes Konzept. „Sie planen einen Tod auf Raten!“ warf ein Redakteur dem Verleger, Rainer Lezinsky, vor. Das neue Produkt rechne sich nur, wenn es in absehbarer Zeit 40.000 KäuferInnen fände, hielt er dem Geschäftsführer vor. Der widersprach nicht. Die Auflage von zuletzt 23.000 auf 40.000 Exemplare mit einem Blatt zu steigern, dessen inhaltliche Konzeption der neue, aus dem Hause Springer kommende Chefredakteur mit den Worten „Spandau, Spandau, Spandau!“ beschreibt — kaum einer wollte am Mittwoch daran glauben.

Um das 'SpaVo‘ geht es in Wirklichkeit längst nicht mehr. Der Springer-Verlag baut auf einem Gelände des kleinen Verlages eine moderne Druckerei für 18 Millionen Mark. Der Pressemulti braucht dringend neue Druckkapazitäten für seine in Berlin erscheinenden Anzeigenblätter. Im Sommer soll die Mega- Maschine in Betrieb gehen, viele MitarbeiterInnen rechnen damit, daß das Wochenblatt 'SpaVo‘ das Sommerloch nicht überleben kann. Gleichzeitig tauchten auf der Betriebsversammlung Gerüchte auf, nach denen die Geschäftsführung ihre fast 24.000 Namen umfassende Abonnentenkartei schon an die große 'Berliner Morgenpost‘ (ebenfalls Springer) verkauft haben soll. Lezinsky dementierte das zwar heftig, doch es bleibt merkwürdig, das seit Montag viele 'SpaVo‘-LeserInnen anrufen und sich wundern, daß sie plötzlich ein Freiabonnement der 'Morgenpost‘ in ihrem Briefkasten gefunden haben.

Der Zeitungskampf in Berlin kostet Millionen — und immer mehr Beschäftigten den Arbeitsplatz. Nicht nur die taz steckte im Herbst '91 in der Krise. Auch der 'Tagesspiegel‘, die 'Junge Welt‘, die 'Neue Zeit‘ und der 'Kurier am Abend‘ haben Geldprobleme; welche der zwölf Zeitungen als nächstes dran glauben muß, wissen nicht mal die Verleger. Die einzige gute Nachricht: Dem Blut-und-Busen-Blatt 'Super‘ soll es schlecht gehen, das Anzeigengeschäft läuft trotz der hohen Auflage (über 400.000) nicht so, wie geplant. Burda muß jede verkaufte Zeitung mit zwei Mark bezuschussen.

Falls der neue Chefredakteur des 'SpaVos‘, der die Zeitung jetzt mit einer schnellen Eingreiftruppe aus dem Springer-Verlag macht, wider Erwarten erfolgreich sein sollte, wäre das kein Grund zum Jubeln. Wenn das Experiment gelinge, werde er sich das patentieren lassen, verkündete er bei Arbeitsbeginn. Der Springer-Verlag ist noch an vielen anderen kleinen Tageszeitungen beteiligt, die keinen Gewinn mehr abwerfen. Die Abwicklung des 'Spandauer Volksblatts‘ von einer Tageszeitung zu einem Wochenblättchen würde dann auch andere Zeitungen drohen.

Die Belegschaft des 'SpaVo‘ kämpft nicht mehr für eine Wiederaufnahme der Tagesproduktion. „Wir wollen möglichst viele Arbeitsplätze erhalten und einen nach oben offenen Sozialplan durchsetzen“, erklärt Werner Goldmann, Betriebsratsvorsitzender des Verlages. Zwei Millionen Mark hat die Geschäftsführung bisher angeboten — eine lächerliche Summe, wenn man bedenkt, das von 300 Beschäftigten etwa 200 ihren Job verlieren werden. Die Stimmung im Haus beschreibt Goldmann als miserabel, nicht nur wegen der Einstellung des Blattes, sondern auch wegen der neuen Kollegen: Die achtköpfige schnelle Eingreiftruppe von Springer, darunter auch ein 'Bild‘-Chefredakteur, zeigt den altgedienten 'SpaVo‘-Machern nun, wo der Bartel den Most holt. „Die kennen Spandau doch überhaupt nicht“, empört sich ein Redakteur. Tatsächlich: In der ersten Ausgabe der Wochenzeitung, die gestern erschien, kritisierte ein Springer- Schreiber die „unübersichtlichen Tarifzonen der Berliner U-Bahn“. Unübersichtliche Tarifzonen mag es in Hamburg geben. In Berlin kostet eine U-Bahn-Fahrt noch immer drei Mark für zwei Stunden, egal wohin.

Siehe auch Kommentar Seite 12