Mit Totenkult, ohne Liedgut

■ „Elefantentreffen“ am Nürburg-Ring / Winterfahrer aller Länder trafen sich im Eifelschnee

Rasthof Münsterland, Freitag mittag. Papenburg ist schon da mit seiner BMW Farbe „Eigenschwarz“, wärmt sich die Knochen. Ein Dong-Hai-Gespann rotchinesischer Bauart haben wir eben überholt. FRI rollt auf Japsenhobel heran. Es tut sich was auf der A1: Für die kalte Jahreszeit untypisch viele Kraftrad- Fahrer sind unterwegs. Besonders bei dem skurrilen Fortbewegungsmittel Gespann (= ideale Verbindung der Nachteile eines Motorrads mit den Nachteilen eines Autos) treten den Audifahrern die Augen aus den Höhlen. — Die Maschinen ächzen unter der Last der Wollsocken und Zelte. Denn zum fröhlichen Zelten geht's, und Schnee ist versprochen.

Je näher die Eifel rückt, desto dichter wird das Elefantentreiben und desto röter werden die Nasen. Das Alte Elefantentreffen am Nürburgring beginnt programmgemäß mit Schnee und vereister Auffahrt. Hei ist das ein Schleudern, Stürzen, Aufrappeln, Schieben und hämisches Gejohle der Umstehenden. Schnell zeigt sich der wahre Winterkönig: die Gespannfahrer klettern bergan wie die Kühe beim Hangauftrieb. Steif vor Kälte und vom Schleuderkurs zutiefst bewegt (wann hat man schon mal in Norddeutschland Schnee?) errichtet die taz- Motorsport-Abteilung ihr Zeltchen.

Elefantchen

Zum Schluß sind es fast 1.000 Biker, die den Weg in die Eifel gefunden haben. Die weiteste Anreise hatte ein französisches Pärchen auf der Rückreise vom Nordkap. Und auch Ingo, der aus Rostock auf einer japanischen Reiß-Schüssel herangeritten ist (Profil bis auf Gesetzesrille reduziert), hat gut 800 km hinter sich. Beim letzten Tageslicht über dem Campingplatz am Ring wird das pittoreske Ensemble aus Maschine, Zelt und Schnee um jeweils ein Lagerfeuer ergänzt. Glühwein-Zeit.

Elefantchen bitte

Der Zusammenhang zwischen harter Schale und weichem Kern ist besonders bei Motorradfahrern ein proportionaler. Der erschröcklichste Ledermann, behängt mit schepperndem Blech bis an die Ledermütze, ist weich wie Butter, wenn's um seine Seitenwagenaufhängung oder den TÜV geht. Das Flüssige und das Warme: „Benzingespräche“ bei Glühwein und Lagerfeuer im Kreis der (Männer-)Freunde, that's it. Je später der Abend, desto stärker der Eindruck: Winterfahrer sind entweder Mechani

hier bitte die Karikatur hin

ker oder Polizeibeamte. POM Heito, Diepholz (!), hat ein Motorrad wie ein Ohrensessel (Honda Gold Wing) und bereichert die Nacht mit Witzen wie dem, wo ein Mantafahrer immer wieder seinen Kopf in eine Friteuse steckt (“Wer fährt wie Niki Lauda, soll auch so aussehen!“ Lauda übrigens verunglückte pikanterweise just hier auf dem Ring).

Elefantchen bitte!

Abendessen auf Gas (Softies) oder Benzin (die Kernigen) ist in der Regel Aldiessen: Auf 50 Feuern schmurgeln Pichelsteiner Eintöpfe. Sangeslust kitzelt die Männerkehlen. Kulturhistorisch interessant: die Szene kennt noch keine eigenen Lieder, die etwa das Schaukeln der Gummikühe besängen oder das aufgeregte Hüsteln der MZ-Motoren im Drehzahlloch. „Wir lagen vor Madagaskar“: Das ist der Renner!

Heulen und Zähneknirschen bringt uns der junge Morgen. Verschiedene Restalkohole bekämpfen sich in den Schädeln, die Lungen revoltieren gegen den Holzfeuer-Qualm. Da hilft nur: Programm! Mit dem für altgediente Motorradfahrer üblichen Humor, der sich aus der Überlegenheit dem Wetter und den Audifahrern gegenüber nährt und den jeder Kolbenklemmer noch heiterer macht, moderiert Karl- Heiz Preß die Geschicklichkeits- Wettbewerbe. Die Temperaturen sind gestiegen, wo Schnee lag, ist Matsch, hier zeigen sich die Meister des Langsamfahrens und der Spurtreue. Hervorragende Über

sicht über ihr Fahrzeug beweisen die Fahrer von MZ-Gespannen der Ex-DDR-Marke aus Zschoppau, billig und unverwüstlich. Neben BMW die meistvertretene Marke am Platz. Wir lernen auch kennen, wie man sich für ungerechte Punkteverteilung durch den Punkterichterrächt: Vollgas auf der Stelle! Die Schlammfontäne ist zehn Meter lang.

Elefantchen!

Die Sonne bringt es an den Tag: Zwei echte Elefanten sind angekommen. Jahrelang sah man sie nicht mehr auf den Elefantentreffen. Doch nun stehen sie treu und glänzen grünlich: Zündapp KS 601-Gespanne mit Lenkerstulpen wie Ohren. Alte Männer stehen daneben mit feuchten Augen.

Elefantchen

Kopfschütteln eher an einemn Gespann, dessen „Boot“ aus einem Ölfaß gesägt worden ist. Das rote Kennzeichen macht's möglich, der TÜV-Mann würde kollabieren. Kühnste Eigenbauten stehen neben einem Motorrad, das Neckermann seinerzeit vertrieb, russische DNEPR-Gespanne demonstrieren, so oft es geht, ihren Rückwärtsgang. Jetzt hat Eitelkeit ihre Chance, aus der Tiefe der „Boote“ tauchen Vorkriegs- Ledermäntel auf. Wenn man einen kurzen Moment vergißt, wie toll und aufregend das alles hier ist, spürt man eine ekle Kälte und Nässe und den Matsch bis zur Halskrause.

Elefantchen bitte!

Wenn deutsche Männer sich treffen, kommt unweigerlich der Moment, da sie ihrer Toten gedenken. Die um der gemeinsamen Sache willen gestorben sind. Es ist Nacht. Fackels sind ausgegeben worden. Mit sonorer Stimme verliest Henning eine Liste von Namen. Im Kampf mit der algerischen Wüste gefalle ist ..., auf dem Weg zum Elefantentreffen 1990 kam ums Leben ..., zehn für uns alle. Schweigeminute. Kein Lachen, kein Husten, tausend mal Tiefsinn: Steht nicht der Motorradfahrer dem Tode in besonderer Weise nahe? Zur tiefen Nacht erhebt sich von einem deutschen Lagerfeuer getragen das herrliche „Hohe Tannen weisen die Sterne“. Prompt setzt eine Meute ungezogener Schweizer noch lauter dagegen: „Leck mich am Arsch, Marie, mein Geld das kriegst du nie.“

Elefantchen!

Sonntag morgen, kalt ist's, der Schlamm ist gefroren und so hart, wie die Nacht war, in der Ferne winken Zentralheizungen. Mehr Beweise für den Mann im Winterfahrer braucht's nicht. Mittags ist der Platz leer. Das Bergische Land wartet mit einem gewaltigen reinigenden Regen auf, der Rasthof Münsterland liegt im Sonnenschein, Vögel schreien vor Frühling.

Die Elefanten haben mit ihrem Großen Ratschlag erfolgreich den Winter vertrieben. Burkhard Straßmann