SCHEINKRIEG DER NAHRUNGSWELTEN Von Philippe André

Ernähre Dich gesund!“ Wie wahr ist dieser uralte Satz wieder geworden. Denn im Grunde ist doch fast nichts mehr giftfrei. Nicht mal Bio ist immer Bio. Sicher, hier in Kreuzberg gibt's eine gute alternative Infrastruktur. Obst und Gemüse satt! Doch an Biofleisch kommt man schon preislich kaum ran. Aber sündigen wir ökomäßig nicht ohnehin Tag für Tag? Da wird uns ein Steak aus dem Supermarkt ab und an auch nicht gleich umbringen, nicht wahr?

Ein Problem ergibt sich allerdings, wenn in einer WG oder Familie jemand vegetarische Symptome entwickelt. Weist die Person Charaktermerkmale auf wie der häufig anzutreffende aggressive Typus des sendungsbewußten Ex-Rauchers, ist mit unberechenbaren Verhaltensweisen auf beiden Seiten zu rechnen.

„Was gibt es heute abend?“ rief mein Kleiner letztens, als er „total hungrig“ aus dem Spreewaldbad zurückkam. „Einen feinen griechischen Salat mit Oliven und herrlichen türkischen Tomaten, Spatz“, flötete meine Gattin im Appetizer- Ton. „Und dann?“ „Dann geht's ins Bett.“ Es folgten ein paar Sätze, die ich besser nicht wiedergebe. Ich selbst bekam die Geschichte eh nur am Rande mit, starrte ich doch gerade in einen Kühlschrank, der sich über Nacht in einen schäbigen Gemüsegarten verwandelt hatte und einen brutalen depressiven Schub in mir auslöste. Kein Fleisch, nicht mal Wurst oder Käse! Das konnte kein Zufall mehr sein, wir waren offensichtlich auf dem direkten Weg in die frugale Diktatur. Tatsächlich: unser liberaler Standpunkt hielt sich im folgenden Streitgespräch keine drei Minuten. Nun leben wir also mächtig gesund. Gemüse und Obst, Obst und Gemüse. Kein Fleisch, wenig Salz, kaum Zucker. Wir lassen uns viel einfallen, damit es eßbar aussieht.

Doch heute abend sind wir unter uns: „Was hast Du besorgt“, zischt mein Kleiner schräg aus dem Mundwinkel. „Wiener Schnitzel“ raune ich mit hungrigem Lächeln. Seine Augen strahlen. „Vorspeise?“ hechelt er. „Oliven provençal und Butterflöckchen in Bündnerfleisch“, säusele ich mit nasser Stimme. „Als Entrée dachte ich übrigends an ein großzügig angelegtes Charolais-Carpaccio unter Pecorino-Splitter, okay?“

„Du kuckst ja wie ein Kannibale“, platzt meine Gattin in unsere Unterredung. Doch sie trägt bereits Schal und Mantel. „Ihr könnt Euch ja die Vollkornspätzle warm machen, Jungs, Salat ist auch noch da. Ich muß los.“ Zehn Minuten später brutzeln Pfanne und Backofen auf Hochtouren. Der Kleine deckt liebevoll den Tisch mit Ketchup, Meerettich und Mayonnaise. Zur Sicherheit mache ich noch Pommes. Als Getränke wählen wir Fanta und Sprite. Es ist herrlich! Schnell und routiniert beseitigen wir später alle Spuren.

„Was aßest Du“, scherze ich, als meine Frau heimkehrt. „Ein großes Filetsteak — englisch — und herrliche Pommes“, schwelgt sie. „Entschuldige, aber es mußte mal wieder sein. Haben Euch denn die Spätzle geschmeckt?“ „Jaa, doch“ näsele ich mit vorwurfsvollem Blick. Sie sagt nichts. Doch ich bin sicher: morgen gibt's ausnahmsweise Steaks.