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Guten Abend, gute Nacht: Eine taz-Serie über TV-Nachrichten startet heute mit Sat.1  ■ Von Achim Baum

Journalistisch sollte mit Sat.1 der ganz große Wurf gelingen. Jedenfalls hatten sich das die deutschen Verleger so vorgestellt. Als sich Mitte der 80er Jahre 165 Verlage zu „Aktuell Presse-Fernsehen“ (APF) zusammenschlossen, um für das Sat.1-Programm Nachrichten zu produzieren, schien das Ende eines konservativen Nachkriegstraumas greifbar nahe: Tagesschau und heute sollten die Konkurrenz der „pluralistischen“ Presse zu spüren bekommen, das „Monopol“ der öffentlich- rechtlichen Sender endlich gebrochen werden.

Lang, lang ist's her. Inzwischen haben Leo Kirch und der Axel-Springer-Verlag das medienpolitische Mobiliar von Sat.1 zertrümmert, die Einschaltquoten des Kommerzsenders sinken. Und die Nachrichtensendungen, seit langem ein Streitobjekt der Gesellschafter, sind zum Billigsten verkommen, was in diesem Genre über deutsche Bildschirme flimmert.

Wer bei Sat.1 Blick und Guten Abend Deutschland etwas genauer hinsieht, kommt jedenfalls kaum auf den Gedanken, daß hier irgend jemandem eine seriöse Konkurrenz droht. Dafür haben diese Nachrichtenleute viel zu viel mit sich selber zu tun. Und ihr größtes Problem scheint darin zu bestehen, die Zuschauer bei der Stange zu halten. Auswahl und Präsentation der Themen unterliegen nämlich einem permanenten Zwang zur Dramatisierung. Wenn es auf den Autobahnen spektakulär kracht, ist das bei Sat.1 immer ein Filmchen wert, ebenso, wie ein brennendes Haus stets sogenannte „gute Bilder“ abgibt. Nachrichten hingegen, die nur schlecht zu bebildern sind, haben auch schlechte Chancen, erwähnt zu werden. Und wenn sich einzelne Meldungen dennoch nicht umgehen lassen, werden ihnen oft irgendwelche Archivaufnahmen untergeschoben — freilich ohne, daß man es dem Publikum durch ein entsprechendes Insert mitteilt.

So werden die Zuschauer, die zwischen der Bezaubernden Jeannie und Falcon Crest eher zufällig einen Blick auf das Weltgeschehen erhaschen , von einer Szene in die nächste gehetzt. Dabei bleibt nicht nur das journalistische Handwerk auf der Strecke, auch die Sorgfalt, die gerade im deutschen Nachrichtenjournalismus immer als ethisches Muß galt, kommt oft genug zu kurz: Das Gewimmel von Demonstranten in Wismar und Brüssel, von Kindern mit abgerissenen Händern, verbrannten Bergarbeitern und armenischen Menschenklumpen wird zusammengehalten durch einzelne Schlagzeilen, die auf einem Monitor hinter der Nachrichtensprecherin erscheinen.

Was aus anderen Sendern als „Hintergrundgraphik“ bekannt ist, die zusätzliche Informationen liefert, liest sich bei Sat.1 Blick wie die Zutatenliste für eine Kriminalserie: Anschlag, Feuer, Diebstahl, Stasi, Unglück, Raub ist da fett zu lesen. Und wenn es politisch wird, geht es meist um Demo, Streik, Besetzung, Asyl. Verbrechen und andere Kleinigkeiten, nach diesem Prinzip werden die Nachrichten bei Sat.1 Blick ausgewählt und dargestellt.

Um die handfesten und großen Dinge der Welt geht es dann in der Hauptsendezeit, wenn um Viertel vor sieben, zwischen Bingo und Glücksrad die ganze Nation angebaggert wird. Mit „Guten Abend allerseits!“ begrüßt ein kernig entschlossener Dieter Kronzucker dann sein Publikum zu Guten Abend Deutschland. Und wie er sich denn dreht und windet, seinen Hals fast verrenkt vor der Kamera, ist er nicht zu beneiden, der gute alte Kronzucker. Er muß nämlich nun das Kunststück fertig bringen, die 1,2 Millionen Zuschauer, die ihm durchschnittlich zusehen, nicht nur fünf Minuten, sondern beinahe eine halbe Stunde lang zu unterhalten. Dabei allerdings wird er von der Phantasie seiner Redaktion eifrig unterstützt. Sie liefert mit schöner Regelmäßigkeit journalistische Kurzkrimis, etwa über einen „Taxikrieg“ in Südafrika („ein blutiger Kampf ums Wegerecht“, „ein Krieg Schwarze gegen Schwarze“), über den privat organisierten Widerstand gegen Dealer in Washington (Fazit:diese kleine Schlacht haben die Guten gewonnen“) und nicht zu vergessen: das journalistische Kleinod über einen Privatdetektiv in Polen („der Rambo von Warschau“, „Rudkowsky kämpft weiter!“). Gemütvoll werden die Kollegen jedoch immer dann, wenn es um die Bonner Regierungspolitik geht. So darf sich etwa Minister Günther Krause, der bei Sat.1 auch schon mal Wolfgang Krause genannt wird, jede Peinlichkeit erlauben — in der Redaktion von APF hat er einen Stein im Brett („der Verkehrsminister verspricht eine Lösung“). Und als der Kanzler sich durch Prag quälte, ließ Reporter Udo Philipp sich tröstend von der Muse küssen: „Wo Helmut Kohl Hände schüttelt, verschwindet der Haß aus den Gesichtern.“ Auch so etwas bindet ein gewisses Publikum natürlich ans Programm. Und wenn anschließend Heino ruft oder gar Werder gegen die Türken gewinnt („live auf Sat.1“), dann bleibt die Fernsehwelt in Ordnung. Von „Pluralismus“ ist da allerdings wenig zu spüren.

Daß beim kommerziellen Fernsehen die Nachrichten als Unterhaltung daherkommen, scheucht die öffentlich-rechtlichen Anstalten immerhin auf. Jüngst erst verlor das ZDF seinen „heute-journal“-Chef, Ruprecht Eser, an einen neuen Privatsender. Wolf von Lojewski, ehemals für die ARD in Washington im Dienst, ist nun an seine Stelle getreten — ein neues altes Gesicht beim ZDF. Am nächsten Samstag ist nachzulesen, wie er seinen neuen Job im „heute-journal“ macht.