Besinnungslos um die Welt

■ Der Tourismus visioniert in neue Dimensionen. Lifestyle als sinnstiftende Lebensform

Der Tourismus visioniert in neue Dimensionen.

Lifestyle als sinnstiftende Lebensform.

VON CHRISTEL BURGHOFF

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er Steinbock ist fasziniert von der unberührten Natur der schottischen Highlands“, steht in einem Lifestyle-Horoskop geschrieben, denn „auch das Ambiente des Steinbocks ist rein, klar und reduziert.“ 'Harper's Bazaar‘ würde den Steinbock, wenn es um die Urlaubsplanung '92 geht, in den kalten Norden schicken. Dann doch lieber „Fisch“: „Dieser muß zwangsläufig schwimmen“, schreibt das Magazin weiter, „in diesem Jahr nicht nur in duftenden Schaumbädern mit Algenextrakt, sondern außerdem in den sanften und türkisgrünen Wellen des Indischen Ozeans um die Inseln der Malediven.“ Dem Widder wird das feurige Spanien angeraten: Fiestas, Pferde, Expo, olé. „Jeans, T-Shirts und das fesche Bolero von Moschino reichen völlig.“

Hochglanzmagazine wie 'Harper's Bazaar‘ verstehen sich selbstredend als Lifestyle-Magazine für einen „gehobenen“ Geschmack. Sie wollen Verbrauchergruppen bedienen, denen Geld wie Lifestyle so selbstverständlich sind, daß sie neben vielerlei anderen Konsumtrips auch noch Urlaub „Bei Maharadschas in Rajasthan“ machen, per Hubschrauber in den Rocky Montains „wandern“ gehen oder über die „karibischen ABS-Inseln“ jetten.

Neuerdings soll die Geld-und-Lifestyle-Liaison aber auseinandergebrochen sein. Wie von Zauberhand sind die Sterne des „gehobenen“ Geschmacks auf die Erde niedergegangen. Trendforscher haben herausgefunden, daß mittlerweile die Gesamtheit der Bevölkerung über Lifestyle verfügt. Den Erhebungen des Meinungsforschungsinstituts Sinus und der Werbeagentur MC+LB zufolge lassen sich in unserer Gesellschaft insgesamt zwölf Lifestyle- Gruppen ausmachen. In ihrer Gesamtheit repräsentieren sie das gesellschaftliche Konsumuniversum. Welchen sozialen Standort die jeweilige Gruppe darin einnimmt, ob sie sich noch traditionell oder schon modern orientiert, ob sie gesellschaftlich „oben“ oder weiter „unten“ angesiedelt ist, erklärt sich über Merkmalskombinationen im Netz von Freizeit, Interessen, Stilpräferenzen, Konsum, Outfit und anderen Faktoren.

Es gibt eine Reihe von Indizien, daß sich das Konsumverhalten der Bundesbürger in der Tat gewandelt hat: statt banaler Warenfixierung ist der Konsum von „Sinn“ stark im Kommen, die käufliche Religiosität boomt; statt reiner Statuskäufe gibt es jetzt immer mehr den Erlebniskonsum — egal worum es sich handelt, ob Kultur oder Kulturen, geistige Werte oder noch mehr Fernsehen. „Es ist eine Lust, Geld auszugeben“, soll die Devise heißen, Hauptsache, es macht Spaß.

Manche Gesellschaftswissenschaftler erklären die Veränderungen im Verhalten der Bundesbürger mit einer starken Individualisierungstendenz im Gefolge gesellschaftlicher Auflösungserscheinungen. Der Freizeitsoziologe Opaschowski spricht in der neuesten BAT-Studie Freizeit 2001 gar von einem „Paradigmenwechsel von einer Arbeitsgesellschaft zu einer Lebensgesellschaft“. Kurz und bündig erklärt er, daß man jetzt nicht mehr lebt, um zu arbeiten, sondern arbeitet, um zu leben. Freizeit noch als „Regenerationszeit“ oder „Anhängsel der Arbeitswelt“ zu begreifen sei theoretisch völlig überaltet und würde nur noch von Linken und anderen Verfechtern einer protestantischen Berufsethik so verstanden. Das Leben des Bundesbürgers strukturiere sich jetzt über ihre Freizeitorientierung — „insbesondere die Bereiche Tourismus, Medien, Kultur, Konsum“.

Die Prognosen versprechen ungeahnte Expansionsmöglichkeiten. Aber gejubelt wird noch selten — gestandene Touristiker und Tourismusforscher geben sich reserviert, andere brauchen noch Zeit zum Umdenken für die Masse der einfachen Touristen. Von den vorherrschenden phantasielosen Katalogangeboten sind zuvorderst die Clubanbieter abgerückt. Mit sogenannten „Philosophien“ wie Robinson und den erbarmungslosen Spaßtouren liegen sie ebenso im diagnostizierten neuen Trend wie andere Erlebnissimulatoren à la Center-Park und Disney- Land. Hermetisch dicht nach innen wie außen lassen sie auch nichts anderes zu als Spaß.

Welche zündenden Angebote im lifestylegerechten Tourismus künftig noch auf uns zukommen werden, wissen am besten die Marketingstrategen. Während der Soziologe Ulrich Beck das zwischenmenschliche Konfliktpotential in unserer Gesellschaft rapide anwachsen sieht, reagiert die Touristikerin Romeiß- Stracke offensiv mit der Empfehlung, im Urlaub „angstfreie Räume“ und Angebote für „Entlastungstherapien“ wie zum Beispiel „Traumseminare“ zu schaffen; die Naturentfremdung soll mit „Naturerlebnisräumen“ kompensiert werden; Romeiß-Stracke fordert Hochglanzmagazine für alle und zur Rettung des „seelischen Transportmittels“ Auto „intelligente Systemlösungen“ im Verkehr. In Zusammenarbeit mit dem ADAC erging an Fremdenverkehrsgemeinden bereits die Empfehlung zum bewußten Management „touristischer Kulturen“, was im Grunde soviel bedeutet, wie ein vielfach ausgesuchtes „Ambiente für Lebensstile“ und „Lebensstilexperimente“ zu schaffen.

Der konsequenten Bedürfnisvermarktung ist wenig entgegenzusetzen. Die „neuen“ Tourismusstrategen wie Frau Romeiß-Stracke segnen nicht allein die touristischen Mammutprojekte als gelungene Antworten auf die „Herausforderungen der Zukunft“ ab, sie haben sich mit ihren Argumenten und Vorschlägen auch ungeniert auf die Seelen-Ebene eingerichtet. Ob als perfekte Spaß- oder Seelentröstungsmaschine: der touristische Markt schickt sich an, den Massenbetrug an den Urlaubswünschen zu perfektionieren. Längst verspricht man nicht mehr die Befriedigung einfacher Reisebedürfnisse; selbst der Slogan von den „schönsten Tagen des Jahres“ ist veraltet. Die große Umarmung arbeitet jetzt mit der Primitiv-Logik eines sinnstiftenden Glücksbringers. Wenn am „Paradigmenwechsel“ von der Arbeitswelt- zur Freizeitorientierung, wie Opaschowski behauptet, etwas Wahres dran ist, dann stehen die Chancen für die Industrie gut, über ihre Trendsetter hinaus immer größere Verbraucherkreise zu erreichen und ihnen Lifestyle als sinnstiftende Lebensform diktatorisch vorzugeben.

Eine „Pflicht zum Genuß“ vermutete bereits vor einigen Jahren der Franzose Pierre Bourdieu — zumindest innerhalb einer städtischen kleinbürgerlichen Avantgarde, die als Lifestyle-Protagonisten jetzt immer lautstarker in Erscheinung tritt. Mit derselben verbissenen Pflichtschuldigkeit, mit der das traditionelle Kleinbürgertum dem Arbeitsethos huldigte, habe die kleinbürgerliche Avantgarde das Amüsement entdeckt, analysiert er. Die Alten mühten sich noch mit Arbeit ab, um den gesellschaftlichen Aufstieg zu bewerkstelligen, die kleinbürgerliche Avantgarde versuche es heutzutage über die Aneignung der „konstitutiven Attribute“ eines gehobenen Lebensstils. Modernes Lifestyle — eine Erscheinung des kleinbürgerlichen Zwangscharakters? Die damit verbundene Konsumspirale wird sich dann zwangsläufig so lange drehen, wie der Wohlstand reicht und die Ökosysteme das mitmachen.

Tourismuskritiker werden es künftig schwer haben. Mit Forderungen nach einem „sozialverantwortlichen Tourismus“, die vor etlichen Jahren immerhin für etwas Unruhe gesorgt hatten, wird man im Erlebnistaumel der Freizeitler auf immer taubere Ohren stoßen. „Bei sozialen Verpflichtungen hört für viele Bundesbürger der Spaß auf“, stellt Opaschowski in einer Freizeitstudie lakonisch fest. Die soziale Sensibilität nimmt rapide ab. Forderungen nach einem umweltverträglichen Tourismus kommen dagegen besser an und lassen sich als Öko-Chic und Qualitätsnachweis bestens in eine gebotene Angebotspalette einbinden. Das Modell „sanfter Tourismus“ gerät — unter anderem torpediert von „neuen“ Touristikern wie Romeiß- Stracke — zunehmend ins Abseits. Als Relikt kleinbürgerlichen Miefs steht es den Visionen aufstrebender Modernisierer notgedrungen im Wege. Das Leben soll Spaß machen. Nach dieser Devise machen sich Lifestyler daran, uns selbst im Urlaub noch den Rest an Besinnung zu rauben.

Literatur:

Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede, Frankfurt 1987;

Ulrich Beck: Risikogesellschaft,

Frankfurt 1986;

Life Style Research 1990, Sinus-Meinungsforschungsinstitut, Heidelberg, und Michael Conrad & Leo Burnett-Werbeagentur, Frankfurt;

Horst W. Opaschowski: Freizeit 2001, BAT-Forschungsinstitut, Hamburg 1992;

ADAC (Hrsg.): Neues Denken im Tourismus, München 1989;

Felicitas Romeiß-Stracke: Künftige Entwicklungen der Nachfragestrukturen im Tourismus, Vortrag auf der DRV-Jahrestagung 1991;

Studienkreis für Tourismus: Kurzfassung der Reiseanalyse 1990, Starnberg 1991.