Moment der Deplaziertheit

■ Gerhard Midding befragte William Klein nach Mode, Cassius Clay, Black Panther, Schnitt, Ton und den sechziger Jahren

Gerhard Midding: Mr.Klein, Sie haben als Fotograf angefangen und sind später auch Filmemacher geworden. Empfinden Sie die Filmkamera als ebenso aggressives Instrument wie die Fotokamera?

William Klein: Was verstehen Sie unter „aggressiv“?

Viele Ihrer Fotos, zumal in Ihrem New-York-Buch, wirken wie eine Herausforderung an die fotografierten Passanten. Bei dem berühmten Foto mit dem kleinen Jungen, der eine Waffe auf Sie richtet, kommt gar so etwas wie Gewalt ins Spiel.

Das ist ein Foto von vielen, und es wurde auch nicht in einer Gewaltsituation aufgenommen. Es zeigt einen Jungen, der gern wie ein harter Bursche wirken möchte; für uns war das ein Spiel. Daß deshalb so viele Leute glauben, meine Fotos lebten von der Wechselwirkung der Aggression zwischen Fotograf und Objekt, stört mich eher. Schauen Sie sich den anderen Jungen auf dem Foto an: der sieht aus wie ein Engel. Es ist also ein sehr zweideutiges Foto über die Simulation von Gewalt. Würde ich es allerdings heute in New York aufnehmen, wäre die Gewalt sehr real: Der Junge hätte wahrscheinlich einen echten Revolver und würde mich erschießen. Aber damals war das nur ein Spiel.

Dennoch scheint mir Ihre Arbeit grundlegend auf der Idee der Konfrontation zu beruhen, auf der immer spürbaren Spannung zwischen dem Fotografen und seinem Objekt.

Ich bin versucht, zusammen mit Ihnen meine Fotobände durchzugehen, um zu sehen, ob dies wirklich ein vorherrschendes Moment ist. Lassen Sie mich versuchen, meinen Werdegang und meine Position innerhalb der Entwicklung der Nachkriegszeit zu bestimmen.

Ich fing als abstrakter Maler an, ich beschäftigte mich mit einer Ästhetik, die in Paris von Leuten wie Picasso und Léger entwickelt worden war. Meine Bilder waren sehr geometrisch, in ihnen steckte nicht die geringste Reflexion des Alltagslebens. In meinen Fotos bemühte ich mich um das genaue Gegenteil: Ich entschied mich für eine realistische Fotografie, die sich auch aus meinen Eindrücken und Erinnerungen, die ich als Heranwachsender gesammelt hatte, speiste. Als ich das Buch über New York machte — ich hatte zuvor sechs Jahre in Paris gelebt —, wollte ich meine Reaktionen bei der Rückkehr dokumentieren. Dabei stellte ich mich ganz bewußt auch gegen den damals vorherrschenden Stil: Das war der Stil Cartier-Bressons, der auf der Objektivität beruhte; es gab keine Wechselwirkung zwischen Kamera und Objekt, die Kamera sollte beinahe unsichtbar sein und keine Partei ergreifen.

Ein Bezugspunkt für mich war ein sehr vulgäres New Yorker Boulevardblatt, die 'New York Daily News‘: deren Fotos waren schmutzig, düster. Meine Fotos waren als Parodie dieses Paparazzi-Stils gedacht.

Die Geschichte dieses Buches erinnert mich an einen Satz von Berenice Abbot: „Wenn ich Amerika nicht verlassen hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, New York zu fotografieren.“

Fortsetzung des Interviews auf der nächsten Seite

Ich erinnere mich, daß ich als Zwölf-, Dreizehnjähriger mit Vorliebe in der Bibliothek surrealistische Zeitschriften und Dada-Magazine las. Auf einem Umschlag war etwas abgebildet, was mich sehr beeindruckte: ein Packung Kaugummi. Ich dachte: „Was für eine wunderbare, verrückte Idee!“ Und merkte, daß hier plötzlich eine ganz neue Bedeutung entstanden war. Für mich als Amerikaner war ein Kaugummi nur ein Kaugummi, aber plötzlich hatte jemand anderer entdeckt, daß so etwas sehr bezeichnend sein konnte. Es stimmt sicher, daß mein Blick europäischer geworden war. Ich entdeckte Dinge, die einem New Yorker nie aufgefallen wären.

Ich möchte noch einmal auf das Motiv „Konfrontation“ zurückkommen. In Ihrem Dokumentarfilm über Cassius Clay/Muhammad Ali (1974) gewinnt es einen sehr witzigen Zug, da Clay immer auf die Kamera reagiert, aber die Person dahinter demonstrativ ignoriert.

Dieses Ignorieren war interessant. Bei den Weißen in den USA gab es immer diese Haltung, herablassend gegenüber Schwarzen zu sein und so zu tun, als könne man den einen nicht vom anderen unterscheiden. Man nannte die Schwarzen einfach immer nur „Boy“. Und Ali pflegte ganz bewußt eine solche Haltung gegenüber weißen Journalisten. Er tat so, als könne er sich nie an ihre Namen erinnern und rief sie deshalb immer beim Namen ihrer Zeitschrift: „He, 'Life Magazine‘, komm mal her!“ Mich nannte er immer „England“, weil er wußte, daß ich von irgendwo aus Europa kam und das war für ihn gleichbedeutend mit diesem einen Land. Das gehörte zu seinem Spiel.

Wie war Ihr Verhältnis zueinander?

Wir kamen uns persönlich nie sehr nahe, obwohl er es zuließ, daß mein Team und ich ihm überall hin folgen konnten: zum Sparring, in die Garderobe, in die Dusche. Es amüsierte ihn, daß ein Kamerateam jedes Wort von ihm aufnahm. Nach dem Kampf waren wir — außer seiner Gang, seinen Freunden, die einzigen, die bei ihm waren. Er hatte gerade den Weltmeistertitel errungen und war fast allein: keine Presse, kein Fernsehen. Deshalb fuhr er mit dem Bus durch Miami, einfach, um Leute zu treffen, die ihn bewundern konnten und denen er Autogramme gab. Unsere Beziehung war eine stillschweigende Komplizenschaft: Er wußte, daß ich mich nicht über ihn lustig machte. Natürlich war er nicht der Typ, mit dem man sich bei einem Glas Wein zusammensetzt und diskutiert.

Beim zweiten Kampf in Zaire kamen wir dann an ihn heran, obwohl er völlig abgeschirm war, weil wir den ersten Film mitbrachten. Von dem waren er und seine Freunde so begeistert, daß sie sich ihn gleich dreimal vorführen ließen. Sie machte eine richtige Party daraus, mit Steaks und Eiskrem und Ali schwärmte: „Seht nur, wie gut ich damals ausgesehen habe!“

Die Struktur des Film ist höchst interessant: Das gesamte Portrait stützt sich lediglich auf Material, daß Sie bei zwei Boxkämpfen aufgenommen haben.

Boxkämpfe und ihr ganzes Drumherum waren damals sehr aufschlußreich. Über die Kämpfe sprach man manchmal monatelang, sie waren wirkliche Ereignisse. Eine Konfrontation auf einer solchen Ebene hat viele Implikationen, da kristallisiert sich sehr viel heraus: Das Verhältnis von Schwarz zu Weiß, die Verstrickungen der Geschäftswelt, die Politik, im Grunde gar der Kampf zwischen Gut und Böse. Sonny Liston, Clays Gegner im Kampf in Miami, hatte damals Patterson geschlagen, der im Bewußtsein der Öffentlichkeit der „Good Guy“ war: ein Olympiasieger, der keinen Kontakt zur Mafia hatte etc. Liston war ein Mann mit Mafia-Kontakten, das war also ein Kampf zwische Gut und Böse, und das Böse hatte gewonnen. Aber Clay verärgerte das Publikum mit seiner großen Klappe so sehr, daß er zum „Bad Guy“ wurde. Diese Verschiebung im Bewußtsein der Öffentlichkeit fand ich sehr interessant.

In Paris hatte ich den Eindruck gewonnen, daß ihn niemand ernst nahm. Aber im Flug von New York nach Miami saß ich neben einem Schwarzen mit Ziegenbart, der sich als Malcolm X entpuppte. Wir kamen ins Gespräch — einen Teil davon sieht man auch im Film —, und er erzählte mir über die Hintergründe des Kampfes und verriet auch, daß sich Clay entschlossen hatte, sich zum Islam zu bekennen, sollte er den Kampf gewinnen. Ich ahnte also, daß bei dem Kampf weitaus mehr mitschwang als das Publikum wußte.

Haben Sie es bedauert, daß Sie entscheidende Phasen in seiner Biografie nicht mit der Kamera festhalten konnten? Ich denke z.B. an seinen Protest gegen seine Einberufung nach Vietnam.

Selbstverständlich! Er wurde aus dem Boxerverband ausgeschlossen und war von einem Moment auf den anderen völlig isoliert. Viele Dinge bekam ich leider nicht mit, weil ich in Paris lebte und auf Zeitschriften als Informationsquellen angewiesen war. Das wäre ein sehr interessanter Moment in meinem Film geworden: Er ist kaum 27, man hat ihm den Titel weggenommen, er ist aus dem Rampenlicht verbannt. Er war ja ein Typ, der nicht wußte, was er mit der ganzen freien Zeit anfangen sollte. Er konnte sich nicht einfach hinsetzen, ein Buch lesen oder Musik hören. Oft ist er zur Reinigung gegangen, einfach, um auf der Straße ein paar Leute zu treffen, denen er ein Autogramm geben konnte.

Interessant an Ihrem Porträt des Black-Panther-Führers Eldridge Cleaver (1970) ist, wie häufig Ihre Haltung ihm gegenüber wechselt: mal scheint er Ihre Sympathie zu gewinnen, mal verliert er sie, aber bei aller Ironie ist die Sicht seiner Person und seiner Ideen letztlich positiv.

(lacht) Das war ein Propaganda- Film, er stammt aus meiner Agitprop-Phase. Ich fand, daß man seine Sache unterstützen mußte. Ich wußte natürlich, daß er ziemlich verrückt war und in Algier auch ein reichlich bizarres Leben führte. Er verhielt sich arrogant gegenüber den Algeriern, die er für ein zurückgebliebenes Dritte-Welt-Volk hielt. Er verlangte ständig nach Drogen, nach eine besseren Hi-Fi-Anlage, nach einem größeren Auto. Er hatte große Schwierigkeiten, mit dieser Exilsituation klar zu kommen, denn tatsächlich wollte er vor allem ein Star in Amerika sein. Viele Black-Panther-Führer waren dort zu Medienberühmtheiten geworden, und darum beneidete er sie. Ich habe dann sehr viel Verrücktes aus dem Film herausgeschnitten. Einmal bedrohte er mich mit einem Revolver und verlangte, daß ich die Kamera wegwarf. Dann richtete er sie an seine eigene Schläfe. Ich sagte zu ihm: „Wie kannst du erwarten, daß die Leute dich ernst nehmen, wenn du dich so aufführst?“ Das war ihm scheißegal. Dennoch war ich der Ansicht, daß er viele wichtige Dinge sagte und deshalb war mir letztlich an einem positiven Bild dieses „Black Panther“ gelegen. Daß ihn der American Way of Life so verdorben hatte, war ja auch nicht seine Schuld. Und wenn er verrückt und gefährlich war, wie verrückt und gefährlich waren dann erst Johnson und Nixon?

Ihre Montage verwundert mich sehr häufig. Sie schneiden mitten in seinen Sätzen, so wie Sie später in Ihrem Little-Richard-Film häufig die Lieder mitten in den Strophen abbrechen.

Gott weiß, was er in der zweiten Satzhälfte von sich gegeben hätte! Meist lasse ich ihn doch aussprechen. Machen wir uns aber nichts vor: Er war clever, aber ein MalcolmX war er nicht gerade.

In Ihren Dokumentarfilmen verwenden sie bisweilen Stilmittel, bei dem sich Fotograf und Filmemacher treffen: Sie beginnen Szenen mit Standbildern, in die dann die Bewegung zurückkehrt.

Das ist ein typisches Sechziger- Jahre-Stilmittel. Damals glaubte ich wohl, es sei interessant. Aber seitdem habe ich es, glaube ich, nicht mehr benutzt.

Ein anderes Stilprinzip ist die Trennung von Ton und Bild: Sie verwenden sehr häufig Voice-over- Kommentare, etwa in den Straßenszenen in Algerien.

Für den Eldridge-Cleaver-Film hatte ich nur drei Drehtage zur Verfügung. Da mußte ich beim Schnitt improvisieren, denn ich hatte furchtbar wenig Material. Man hat eine Straßenszene mit Cleaver, also legt man dann eben irgendwelche Interviewpassagen drüber.

Dennoch zieht sich diese Technik durch viele Filme. In „Loin du Viêt- nam“ überwinden Sie auf diese Weise sogar die Kluft zwischen den kriegführenden Parteien: dort legen Sie die Äußerungen der Amerikanerin, deren Mann sich aus Protest verbrannt hat, über Bilder einer vietnamesischen Familie, die in Paris lebt.

In The French, dem Film über das French Open, mache ich etwas Ähnliches. Da konstruiere ich einen „falschen Dialog“ zwischen Borg und Noah, die ich beide getrennt voneinander interviewt habe. Die beiden hätten sonst nie miteinander ein Wort gewechselt, aber bei der Montage fallen einem manchmal solche Dinge ein.

In dieser Hinsicht scheint mir auch eine Beschreibung Ihres ersten Spielfilms „Qui êtes-vous, Polly Maggoo?“ zutreffend: „Ein Stummfilm mit Ton.“

(lacht) Ein Stummfilm mit Ton? Weshalb haben Sie diesen Eindruck?

Weil Bild und Ton selten eine harmonische Beziehung eingehen in diesem Film und dadurch auf die Künstlichkeit der Beziehungen verweisen.

Der Film entstand Mitte der Sechziger — damals war die Frage nach Realität und Fiktion ein entscheidendes Thema des französischen Kinos. Das Spiel mit diesen Ebenen amüsierte mich, ich hatte eine Parodie von Filmen wie Marienbad im Sinn. Dieses Gemisch aus Referenz und Parodie war allerdings noch nicht so populär wie heute — denken Sie nur an Barton Fink — deshalb warf man damals meinem Film vor, man könne ihn im Grunde gar nicht kritisieren, denn er enthielte schon selbst sämtliche Kritikpunkte. Der Ton spielt da eine wichtige Rolle. Ganz bewußt habe ich die Tonspur so gestaltet, daß sie den Zuschauer irritiert, daß er sich geradezu unwohl fühlt. In der langen Szene zwischen Polly und dem Fernsehregisseur habe ich beispielsweise auch den Ton aus zwei Nachbarwohnungen verwandt: in einer hörte man eine Fernsehansprache De Gaulles, in der anderen stritt sich ein Ehepaar. Bei der Aufnahme wußten das nur mein Tonmann und ich, die Schauspieler hatten davon keine Ahnung. Hinter der Idee, diese verschiedenen Töne gleichzeitig aufzunehmen, steckte die Haltung, daß alles gleich wichtig und gleich unwichtig ist. Die Dinge sind in der Welt des Films austauschbar. Denken Sie nur an das Happy-End des Films: Während der ganzen Zeit wartete man auf das Treffen zwischen Polly und ihrem Traumprinzen, und er trifft stattdessen ihre Nachbarin und verliebt sich in sie.

Sie haben bei Ihren Spiel- und Dokumentarfilmen meist mit sehr renommierten Kameraleuten gearbeitet: mit Jean Boffety, Pierre Lhomme und Etienne Becker. Wie sahen diese Zusammenarbeiten aus?

Sehr unterschiedlich. Meine ersten Filme drehte ich fürs Fernsehen. Da durfte ich die Kamera selbst nicht führen, denn es verstieß gegen die Bestimmungen der Gewerkschaft. Da ich selbst drehen wollte, umging ich diese Bestimmungen: Ich ließ den Kameramann Bild und Ton aufnehmen und drehte gleichzeitig mit meiner „stummen“ Kamera. Dann versuchte ich, meine Aufnahmen mit dessen Tonspur zu synchronisieren. Beim Film über Cassius Clay hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, alles selbst aufzunehmen. Ich hatte eine der ersten leichtgewichtigen Kameras, mit denen man auch den Ton aufnehmen konnte. Die Mitglieder der Boxkommission von Miami kannten sie noch nicht, waren aber alle begeisterte Amateurfilmer. Deshalb luden sie mich zu ihren Verhandlungen ein. Sie merkten nicht, daß ich gleichzeitig auch den Ton aufnahm, sonst hätten sie sich sicher nicht so angeschrieen und wie Verrückte aufgeführt!

Für Polly Maggoo suchte ich einen Kameramann, der genau nach meinen Vorstellungen arbeitete — einen, der keinen Stil hatte. Und den fand ich in Jean Boffety. Wenn Sie ihm eine Kamera gaben, drehte er bereitwillig die banalsten und langweiligsten Einstellungen, die Sie sich vorstellen können. Nachdem Alain Resnais den Film gesehen hatte, verlangte er für seinen nächsten Film auch Boffety. Er erlebte eine ziemliche Überraschung, denn der hatte überhaupt keine eigenen Vorstellungen.

Die meisten Kameraleute, deren Namen in den Vorspännen autauchen, haben nie durch die Kamera gesehen. Sie waren meine Assistenten und luden die Kamera. Außer ihnen brauchte ich dann nur noch einen Tonmann. Ich kam also mit einer ganz kleinen Crew aus. Es gibt jedoch eine interessante Ausnahme: den Film über das Festival Panafricain in Algier. Das war ein derart ambitioniertes Projekt, daß ich lediglich verschiedene Kamerateams koordinierte. Während des Festivals passierten derart viele Dinge gleichzeitig, daß ich die Teams ganz unabhängig arbeiten lassen mußte. Ich habe das Material dann am Ende lediglich montiert.

Sie haben auch Modefotografien gemacht. Wie ist Ihre Haltung gegenüber dieser Welt? Haben Sie sich da nicht immer etwas deplaziert gefühlt?

Bei der Modefotografie hatte ich immer ein Gefühl, das am ehesten einer amerikanischen Redensart entspricht: „Look, Ma, I'm dancing!“ Das ist ein feststehender Ausdruck, der auf einen gewissen Kindheitsstolz anspielt: „Schau her, ich fahre Rollschuh ohne hinzufallen!“ Ich hatte immer das Gefühl: „Look Ma, I'm taking a fashion photo!“ Für mich war das Ganze ein Witz, denn ich wußte nichts über die Mode und interessierte mich auch nicht dafür. Damals war das für mich ein Lebensunterhalt und ich hätte es kaum ertragen, mich mit Modeschöpfern zu unterhalten oder mir ihre Kollektionen und Modeschauen anzusehen. Neben dem Geld interessierten mich vor allem die fotografischen Techniken. Das war eine „reiche“ Fotografie im Gegensatz zu der „armen“, die sich in meinen Büchern zeigt. Was ich meine, ist folgendes: das Material für meine Bücher habe ich mit einer Kamera und zwei Objektiven geschossen. Hier konnte ich aber mit den verschiedensten Techniken experimentieren, mit großen Scheinwerfern, komplizierten Arrangements in Studios, ausgefallenen Dekors und Requisiten.

Die technischen Möglichkeiten begeisterten mich, vor allem, weil ich immer im Hinterkopf behielt, daß dies Training mir fürs Filmemachen nützlich sein könnte. Also gewöhnte ich mich an den Umgang mit Darstellern, mit großen Crews. Als allein arbeitender Fotograf hätte ich mich mit diesen Arbeitsmethoden nicht vertraut machen können. Ich hatte das Glück, bei 'Vogue‘ einen Art Director zu haben, der selbst Maler war und meine Arbeit kannte. Er schirmte mich vor den Redakteuren und der ganzen Branche ab. Ich machte einfach meine Bilder, wählte sie aus und besprach mit ihm das Layout.

Das Moment der Deplaziertheit ist ja auch ein Motiv Ihrer Modefotos: Ihren Modellen geht es ebenso, mal finden sie sich als Phantasiegeschöpfe in einem realistisch-urbanen Ambiente wieder, mal sind sie von gesichtslosen Statisten umringt...

Die ganze Idee der Modefotografie erschien mir absurd. Deshalb habe ich immer mindestens einen Hinweis in die Bilder eingebaut, daß der Zuschauer merkt: „Hier stimmt etwas nicht.“ Ein Moment des Unmöglichen oder Surrealen.

In „Polly Maggoo“ und später in Ihrem Dokumentarfilm „Mode in France“ haben Sie sich auf sehr unterschiedliche Weise mit der Modebranche auseinandergesetzt: Im Spielfilm sehr bissig-satirisch, in der Dokumentation sehr viel nachsichtiger. Liegt der Unterschied auch in den verschiedenen Medien begründet?

Beide Filme hatten natürlich völlig verschiedene Intentionen. Polly Maggoo war eine Stilübung, eine parodistische Vermischung aller damals möglichen Stilrichtungen. Mode in France (1985/86) war eine Auftragsarbeit für das Kultusministerium, da ging es nicht darum, satirisch mit dem Gegenstand umzugehen. Bei einem Dokumentarfilm hat man es natürlich mit wirklichen Personen zu tun, zu denen man ja irgendeine Art von Beziehung haben muß. Ich habe nichts gegen diese Leute und will sie auch nicht vor den Kopf stoßen. Die Modebranche hat sich ja auch sehr stark gewandelt. In den sechziger Jahren interessierten mich die Leute nicht, deren Kleider ich abfotografierte. Es kümmerte mich nicht, worauf es ihnen ankam, was sie ausdrücken wollten. Heute gibt es durchaus interessante Modeschöpfer, mit denen man sich ernsthaft unterhalten kann, die bemerkenswerte Ideen haben.