Wer die Wahl hat, beschäftigt lieber einen Mann

Frauen in Mecklenburg-Vorpommern identifizieren sich nur wenig mit den klassischen weiblichen Berufstätigkeiten und suchen Arbeit in ihren gelernten Berufen/ Die neuen Arbeitgeber wollen Frauen jedoch nur für Küchenarbeiten oder verwandte hausfrauliche Tätigkeiten einstellen  ■ Aus Lichtenberg Angelika Pfalz

Die Hausfrau ist nicht zufrieden. Die frische Tischdecke mit den braunen Streifen hat die Knicke an der falschen Stelle. Also runter damit und die mit den gelb-weißen Karos aufgelegt. Vermutlich hätte Rita Stephan früher großzügig darüber hinweggeschaut. Früher nämlich spielte sich Hausarbeit nur am Wochenende ab. Jeden Morgen mußten schon das eigene Vieh, Mann und Kinder versorgt sein, bevor es um sieben auf der LPG mit der Arbeit losging. 26 Jahre lang, Milchkontrolle, Steine sammeln, im Winter Tüten kleben, Trecker fahren, Mähdrescher, schließlich an der Waage. Dann mit 57 das Aus: Vorruhestand.

Zehn, elf Frauen waren sie in ihrer Brigade. Schwere Arbei bei Wind und Wetter — und trotzdem: Leben kommt in die zierliche Frau mit den kräftigen Händen, wenn sie vom Frauentag, den Brigadefeiern, Ausflügen oder dem gemeinsamen Mittagessen erzählt. „Wir sind zusammen alt geworden. Jetzt ist alles weg.“

Lichtenberg im Kreis Neustrelitz, Mecklenburg-Vorpommern. Die Felder liegen zum großen Teil brach. Die Frauen in der Feldarbeit wurden als erste nicht mehr gebraucht. Zur Landwirtschaftlichen Kooperative Lichtenberg gehörten zwei LPG, die eine mit Tier-, die andere mit Pflanzenproduktion, und ein Volkseigenes Gut VEG Conow. 400 Menschen hatten hier über mehrere Dörfer hinweg ihr Auskommen, davon rund 100 Frauen. Doch das ist gut ein Jahr her.

Das Auto braucht jeden Tag der Mann

Mit der neuen „Agrarprodukt Lichtenberg“ sind andere Zeiten angebrochen. Nur noch 33 ackern dort, sieben Frauen. Wenn in Kürze der Computer Einzug hält, ist eine der beiden Bürofrauen überflüssig. Nicht besonders rosig sieht Inge Albrecht ihre Zukunft. Und das, obwohl sie noch mit 40 die Fachschulbank gedrückt und sich von der Wirtschaftskauffrau zur Ökonomin qualifiziert, vor kurzem erst eine Fortbildung zur Agrarmanagerin mit Computerkenntnissen draufgesetzt hat. Vor allem: „Ich habe immer gleichwertig das Geld verdient für die Familie.“ Verliert sie ihre Stelle, gilt sie mit ihren 47 Jahren als schwer vermittelbar.

Heilfroh war sie deshalb, ihre Arbeit in der neuen Genossenschaft im Dorf zu behalten. „Sonst hätte ich nicht einmal eine Umschulung machen können.“ Dafür hätte sie nach Neustrelitz oder Neubrandenburg fahren müssen, die nächsten Kreisstädte, eine dreiviertel Stunde mit dem Auto. Das aber braucht der Mann jeden Tag, wie in den meisten Familien. Ohnehin hat längst nicht jede Frau einen Führerschein. Der Bus fährt nur montags, mittwochs und freitags. „Wer sich das alles unter die Haut gehen läßt, der geht kaputt. Ich verdräng's.“

„Manchmal möchte ich sie schütteln, damit sie begreifen, daß sie selbst etwas tun müssen.“ Dorothea Niemann klingt energisch. Obwohl die Beauftragte für Frauenbelange des zuständigen Landesarbeitsamtes Nord in Kiel aus ihrer Erfahrung nur zu gut weiß, wie wenig Möglichkeiten erwerbslose Frauen auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern haben, setzten sie ihrer Meinung nach oft auf das falsche Pferd. Viel zu viele begnügten sich mit kurzfristigen Maßnahmen, hätten beispielsweise Erzieherin gelernt und machten schnell irgendeinen EDV-Kurs, ohne daß sie in ihrem Beruf etwas damit anfangen könnten.

Männer, berichtet Dorothea Niemann aus der Praxis der Arbeitsverwaltung, kombinierten viel sinnvoller. „Frauen greifen nach dem Strohhalm. Die Aussichten, vermittelt zu werden, steigen damit nicht sonderlich an.“ Da stehen sie sowieso hintenan: Bei nur 43,7 Prozent lag ihr Anteil an den Vermittelten im Februar (s. Kasten). Eine Umschulung mit Kammerabschluß dauert ihre zwei Jahre. Dagegen sprächen bei so mancher Familienarbeit, Zeitdruck und auch finanzielle Gründe.

Das Nachsehen haben Frauen ebenso bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Lediglich 36,9 Prozent der ABM-Stellen sind mit Frauen besetzt. Das, vermutet die Kieler Beauftragte, hänge mit den schweren köperlichen Arbeiten wie Bäumepflanzen zusammen, die in ländlichen Gebieten bei ABM im Vordergrund stehen. Zum anderen entfalle ein hoher Anteil auf die Beschäftigungsgesellschaften aus den Männerbranchen Werften und Metall. Obwohl ABM am Monatsende mehr Geld als andere Maßnahmen aufs Konto bringt, ist dies keine Dauerlösung.

Knochenjobs für wenig Geld

Einen Silberstreif für neue Arbeitsplätze auf dem Land sieht die Beauftragte für Frauenbelange in den Bereichen Tourismus und Gastronomie. „Dort werden Frauen gesucht. Aber es ist nicht einfach, sie für Qualifizierungsmaßnahmen im Hotel- und Gaststättengewerbe zu motivieren. Die Frauen in der ehemaligen DDR identifizieren sich schwer über Küche und die Berufe darumherum.“ Wen wundert's, sind doch diese aus westlicher Sicht „typischen weiblichen“ Berufe, verglichen mit anderen Branchen, Knochenjobs für wenig Geld, krisenanfällig und ein Saisongeschäft.

In der derzeitigen Situation bestehe keine Alternative; produzierendes oder verarbeitendes Gewerbe siedelten sich in größerem Umfang bis jetzt nicht an. Vor einem Jahr noch hätte Dorothea Niemann den Frauen Chancen im Dienstleistungsbereich wie Handel, Banken und Versicherungen bescheinigt, bekennt sie. Inzwischen jedoch zeige sich, daß die Männer auch hier das Rennen machen, wenn die Arbeitgeber die Wahl zwischen den Geschlechtern hätten — und die haben sie.

Kleine Einzelinitiativen statt Strukturpolitik

„Auf VW zu warten, ist zwecklos“, bekäftigt Christiane Sparr, die im Sozialministerium Mecklenburg- Vorpommern für Gleichstellungsfragen zuständig ist. „Wir müssen auf den Dörfern anfangen. Dort fehlen die Strukturen.“ Das Projekt „Landfrauenberatung“ betrachtet sie als einen Ansatz in die richtige Richtung. Gemeinsam mit dem Landfrauenverband ist geplant, 23 Beratungsstellen einzurichten. Um möglichst viele zu erreichen, sollen Kleinbusse über die Dörfer zuckeln und so Informationen über Weiterqualifizierung im Beruf, Tips zu Anlaufstellen für soziale Hilfen oder Kinderbetreuung direkt an die Frau bringen.

Zum Aufbau regionaler Strukturen werden außerdem die 43 kommunalen Gleichstellungsbeauftragten beitragen, beispielsweise Anstöße geben, wo im Dorf Arbeitsplätze für Frauen neu entstehen könnten. Markieren von Wanderwegen, Betreuen von alten und kranken Menschen, „Ferien auf dem Bauernhof“ auf die Beine stellen — einige Beispiele, was sich alles für ABM anbietet, penibel aufgelistet in der „Broschüre zur Beschäftigungsförderung für Frauen im ländlichen Raum“ des Sozialministeriums in Schwerin. Doch mit dem Aufstellen von Bänken und Papierkörben in ABM ist es sicher nicht getan. Christiane Sparr: „Darüber hinaus wird es notwendig werden, das Angebot von Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen forciert aufs Land zu bringen.“

Wo im Grunde eine Strukturpolitik hergehörte, zählt im Moment noch jeder Anlauf eines einzelnen. Das ehemals Volkseigene Gut Conow der Kooperative Lichtenberg hat ein Unternehmer für Spezialisierungsbau aus Dortmund gekauft. Fritz Jäger möchte dort weiter Landwirtschaft betreiben, Kleingewerbe und Tourismus in Gang bringen. Den zehn Frauen aus der Buchhaltung des Gutes wollte er nicht den Schreibtischstuhl vors Hoftor stellen, plant vielmehr, eine Steuerberatung aufzuziehen: erst eine Buchungsstelle für Berliner Steuerberater, später einen Service für die Region, aus dem sich eigenständige Steuerberatungsbüros mit angeschlossener Buchhaltung entwickeln könnten. Einige Frauen aus dem Dorf hatten auch an seinen Umschulungen zum Tockenbaumonteur und zum Isolierer-Industrie Interesse signalisiert. Abgeschreckt hat sie letztendlich nicht der „Männerberuf“, sondern der schlichte Hinweis „Einsatz im gesamten Bundesgebiet“.

Weil kaum eine Frau auf Achse gehen kann, solange Haushalt und Kinder an ihr hängen, hat Fritz Jäger ganz bewußt 15 von 20 Arbeitsplätzen in seiner Fernsterproduktion, die ab Juli anlaufen wird, für Frauen vorgesehen. Allerdings: keine qualifizierte Ausbildung, nur ein Anlernberuf. Wer mehr will, muß Abstriche machen.

Nach Hamburg müßte sie ein halbes Jahr während des Praktikums, erzählt die junge Frau im Warteraum des Arbeitsamtes Neustrelitz. Zur Handelsfachwirtin umschulen will die 25jährige Verkäuferin. Im Bereich „Warenkaufleute“ stellen Frauen Ende vergangenen Jahres 94 Prozent der erwerbslos Gemeldeten. Daß auch sie arbeitslos werde, sei schon absehbar, so lange will sie gar nicht erst warten.

Gerade zum zweitenmal ohne Stelle ist die junge Lichtenbergerin ein paar Stühle weiter im Arbeitsamt. Jetzt hat die 28jährige Buchhalterin die Annonce eines westdeutschen Finanzberaters in der Zeitung entdeckt. Sie würde kurz eingewiesen, könnte bald Kunden beraten, zu Hause oder in einem eigenen Büro. Um ihre Sprößlinge muß sie sich indes keine Sorgen machen; im Gegensatz zu anderen Dörfern gibt es in Lichtenberg den Kindergarten noch. „Aber ich hab' mich noch nicht entschieden. Das läuft auf Provisionsbasis.“ Auf einen windigen Geschäftemacher will sie nicht hereinfallen. „Ich seh' das alles gelassen. Notfalls gehe ich als Reinigungskraft.“

Das ist nicht gerade der Traumjob der gelernten Krankenschwester, und plötzlich ist der Zweckoptimismus verflogen: „Mit Rentnern möchte ich gerne etwas machen. Um die kümmert sich kein Mensch.“ Beim Rat der nächsten Kleinstadt, ereifert sie sich, habe sie's schon x- mal versucht, aber für das Sozialwesen sei kein Geld da. Dann muß sie los, der Kollege nimmt sie im Auto wieder mit aufs Dorf.