„Wir werden nicht gefragt. Ich opfere mein Leben“

■ Detlev Dalk vom Neuen Forum in Bernau beging Selbstmord, weil sein Haus rückübereignet werden sollte

Berlin (taz) — Mit Verzweiflung über die Eigentumspolitik der Bundesregierung und die politischen Verhältnisse im Osten Deutschlands hat der Brandenburgische Kommunalpolitiker Detlev Dalk in einem nachgelassenen Brief an Bundeskanzler Kohl seinen Selbstmord begründet. Der Fraktionsvorsitzende des Neuen Forums/ Bündnis 90 im Kreistag Bernau erhängte sich in der Nacht zum Mittwoch in seinem Haus in Zepernich, im Norden Berlins. Auf das Haus hatte ein Alteigentümer aus dem Westen Anspruch auf Rückübertragung gestellt.

Dalk schreibt in seinem Brief an den Kanzler, er „persönlich“, die CDU und die „Kräfte, die hinter dieser Partei stehen“, hätten mit dem Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ einen „Vermögensabfluß größten Ausmaßes von Ost nach West eingeleitet“. Es gebe in der ehemaligen DDR „Reinemachefrauen, Müllmänner und Maurer, also ganz einfache Leute, die ein Haus mit Grund und Boden besitzen“. Diese Leute seien „weder hohe Parteibonzen noch Stasispitzel“. In ihrem Interesse bittet Balk in seinem Brief den Kanzler: „Setzen Sie bitte die gesamte Autorität Ihres hohen Amtes ein, diesen Abfluß zu stoppen, und sorgen Sie dafür, daß im politischen Handeln das Prinzip ,Rückgabe vor Entschädigung‘ nicht in so verheerendem Maße durchschlägt.“

Die Entscheidung, seinem Leben ein Ende zu setzen, so Dalk an den Kanzler, sei ihm „nicht leicht gefallen“. Er „hänge am Leben, an einem Leben in Wahrheit, einem Leben in Selbstachtung und eigenen Gestaltungsmöglichkeiten“. Diese Möglichkeiten jedoch sah Dalk, der sich als „Querulant“ in der alten DDR beschreibt — „mehr Bedeutung maße ich mir nicht an“ — in der neuen Republik weitgehend beschnitten. Seine Erfahrungen in der Gemeindevertretung und im Kreistag resümiert Detlev Dalk deprimiert: „Was ich in diesen Parlamenten erlebte, ist das Aufgeben jeder eigenständigen Politik, ich erlebte nur Anpassungsvorgänge an die Strukturen der alten Bundesrepublik... Wir haben eine neue Gesellschaft. Wir erhielten sie vor die Nase gesetzt. Sie ist keine schlechte, aber nicht ,unsere‘. Wir werden gar nicht mehr gefragt. Aus diesem Grunde, Herr Bundeskanzler, opfere ich mein Leben. Alle anderen Wege des Wachrüttelns bin ich gegangen.“ Abschließend bittet Dalk den Kanzler, er möge dafür sorgen, daß „die Masse der Anspruchsberechtigten, gemessen an den Realitäten, ausgewogen entschädigt werden“.

Der Bundeskoordinierungsrat des Neuen Forums nahm den Selbstmord Dalks zum Anlaß für eine scharfe politische Erklärung: „Sein Selbstmord ist eine Anklage gegen die eiskalte, sich um kein menschliches Schicksal kümmernde Boden- Rückübereignungspolitik.“ Die Wiedervereinigung stelle sich als „Kolonisation“ dar. Der Rechtsstaat werde zur Farce, „wenn er dazu mißbraucht wird, Menschen um die Ergebnisse eines 40jährigen Arbeitslebens zu betrügen.“ Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Thierse, dessen Partei in der letzten DDR-Regierung die umstrittene Bestimmung im Einigungsvertrag mitgetragen hatte, kritisierte die „erbarmungslose Rücksichtslosigkeit“, mit der manche Alteigentümer ihre Ansprüche geltend machten, und forderte eine Änderung des Einigungsvertrages. Matthias Geis.