Greifswald droht ein Atommüllberg

Stromwirtschaft besteht auf bundesweitem Zwischenlager in Greifswald und lockt mit Tauschgeschäft: Zuerst Ostmüll nach Westen, dann Westmüll nach Osten/ Heute Demonstration in Greifswald  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) — Die Planungen für das atomare Zwischenlager am Greifswalder Bodden nehmen zügig Gestalt an. In den letzten Wochen wurden die Vermessungsarbeiten für eine Anlage von etwa 270 mal 140 Metern Grundfläche abgeschlossen. Eine Reihe von Probebohrungen sollen nun Aufschluß über die Tragfähigkeit des Bodens geben, die letztlich über die Kapazität der Lagerhalle entscheidet. Die in Essen ansässige „Gesellschaft für Nuklearservice (GNS)“ besteht als vorgesehene Betreiberin weiter auf einer bundesweiten Nutzung der Atommüllkippe. Ein entsprechend formulierter Antrag soll schon im April bei der Schweriner Umweltministerin Petra Uhlmann (CDU) auf dem Schreibtisch liegen. Unter dem Motto „Keine Atommüllkippe in Vorpommern“ hat die Greifswalder „Bürgerinitative Kernenergie“ für den heutigen Samstag um 15 Uhr zu einer Demonstration aufgerufen.

In dem Lager mit einer Kapazität von bis zu 150.000 Kubikmetern sollen unter einem Dach schwach- und mittelaktive Abfälle und hochradioaktive verbrauchte Brennelemente untergebracht werden. Das erklärte GNS-Manager Dieter Rittscher im Gespräch mit der taz. Er gehe davon aus, daß die Schweriner Landesregierung „vorerst“ bei ihrem Standpunkt bleibe, an der Ostsee nur Atommüll aus den DDR-Atomkraftwerken Greifswald und Rheinsberg zuzulassen. Darüber müsse spätestens dann „geredet werden, wenn das Genehmigungsverfahren läuft“. Er habe den Eindruck, daß die Regierung in Schwerin „allmählich merkt“, daß das Land auch eine gesamtstaatliche Verantwortung zu tragen habe. „Wir leben schließlich nicht auf Inseln“, meinte Rittscher.

Der Druck auf Umweltministerin Uhlmann, auch westdeutschen Atommüll nach Vorpommern zu holen, nimmt unterdessen weiter zu. Entfaltet wird er nicht nur von der westdeutschen Stromwirtschaft, sondern auch von der Berliner Treuhandanstalt, seit der Wende unfreiwillige Eigentümerin der atomaren Altlast in Greifswald. Treuhand- Vorstand Klaus Schucht erinnerte vor wenigen Tagen daran, daß 1995 die atomrechtliche Genehmigung für den stillgelegten Atomkomplex Greifswald auslaufe. Spätestens dann müßten die bisher in anlageninternen „Abklingbecken“ abgestellten hochradioaktiven Brennelemente entladen werden. Da aber das geplante Zwischenlager in Greifswald so schnell nicht betriebsbereit sein werde, bleibe nur der Transport nach Westdeutschland. Die Stromwirtschaft werde sich darauf nicht einlassen, wenn nicht im Gegenzug ein Ausweichquartier für Westmüll in Greifswald geschaffen werde.

Diese Lesart bestätigt auch GNS- Manager Rittscher. Das Greifswalder Behälterlager für hochradioaktive Brennelemente sei wegen des vorgeschalteten atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens bis 1995 „unmöglich machbar“. Möglicherweise müßte der heiße Strahlenmüll dann in die bestehenden Brennelementelager in Ahaus (NRW) oder Gorleben (Niedersachsen) transportiert werden. Es gebe allerdings auch andere „Denkmodelle“: Die sowjetischen Brennelemente könnten ohne größere Probleme auch — wie bisher die westdeutschen — in Frankreich wiederaufgearbeitet werden. Denkbar sei außerdem eine Verlängerung der Greifswalder Genehmigungen über 1995 hinaus oder die Zwischenlagerung in dem sicherheitstechnisch umstrittenen sogenannten Naßlager auf dem Kraftwerksgelände, das die Brennelemente zu DDR-Zeiten aufnehmen sollte.

Unabhängig davon sei die GNS auch bereit, schwach- und mittelaktiven Strahlenmüll aus Greifswald „schon in den nächsten Jahren“ in das Faßlager in Gorleben zu übernehmen, erklärte Rittscher. Eng werde es in Westdeutschland nämlich erst, wenn die für 1996/97 anvisierte Inbetriebnahme des Endlagers „Schacht Konrad“ sich zerschlage. Da bezüglich dieses Termins weithin Skepsis herrsche, strebe man „vorsorglich“ eine Erweiterung des Zwischenlagers Gorleben auf die etwa dreifache Kapazität an. Auch am Standort des aufgegebenen Schnellen Brüters von Kalkar suchen die Atommüllmanager weiter nach Stellplätzen für ihre strahlenden Hinterlassenschaften. Ein entsprechender Antrag werde aber voraussichtlich erst „Mitte nächsten Jahres“ gestellt, wenn die Planungsarbeiten in Kalkar abgeschlossen seien, betonte Rittscher.